Felix Baumgartners Sprung vom Rande der Stratosphäre war ein gut inszenierter Medienhype – per Fernsehen und Internet in die ganze Welt übertragen. Baumgartner stellte dabei den Rekord für den höchsten bemannten Ballonflug (39 068 Meter) auf, den für den höchsten Absprung
(38 969 Meter) und einen fürs Durchbrechen der Schallmauer mit 1358 Kilometern in der Stunde (Mach 1,25). Während die Zuschauer gespannt die Berichterstattung verfolgten, begleiteten zwei kleine Kästchen mit viel technischem KnowHow den Sprung und sammelten die Daten des rekordträchtigen Fallschirmsprunges.
Es folgt ein informativer Einschub, der das Verständnis von Teil 2 dieses Blogbeitrages unterstützt. Zumindest für alle (Noch-)Nichtspringer. 🙂
Wie wird ein Fallschirm manuell aktiviert und was macht ein automatisches Notauslösegerät?
Wenn die sichere Öffnungshöhe nach dem freien Fall erreicht ist, zieht ein Springer einen kleinen (ungefähr vom Durchmesser eines Autoreifens) Hilfsschirm in den Luftstrom, der über eine Verbindungsleine den Verschluss-Pin des Containers herauszieht und damit wird die Öffnung des Hautfallschirmes eingeleitet. (Vereinfacht). Ist der Springer der Überzeugung (und das muss er in Sekundenbruchteilen entscheiden), dass der Hauptschirm nicht gut geöffnet oder nicht so in Ordnung ist, dass der Springer damit sicher landen kann, dann trennt er den Hauptschirm vom Gurtzeug, geht kurzzeitig wieder in den Freien Fall und aktiviert seinen Reserveschirm (im oberen Teil des Gurtzeugs). (Vereinfacht.)
Kann der Springer aus irgendeinem Grund nicht selbst aktivieren oder „vergisst“ er die Zeit (Freifallzeit ist Höhe ist Sicherheit), dann wird sofort der zweite (Reserve-)Schirm mit einem automatischen Öffnungsgerät geöffnet. In Baumgartner’s Stratosphärensprung mussten aus Sicherheitsgründen beide Schirme – Haupt- und Reserveschirm – abtrennbar sein.
Hätte sich beim Stratosphärensprung der Reserveschirm ungeplant zu hoch oben geöffnet, hätte der Sauerstoff aufgund der längeren Zeit bis zur Landung nicht ausgereicht. Baumgartner hätte die Reserve abtrennen müssen und wieder in den Freien Fall zurückkehren. Die Aktivierung des Hauptschirms in geplanter Höhe über Grund wäre dann der letzte Fallback gewesen – eine für einen Springer absolut abnormale Situation.
Fallschirmsprünge beginnen sonst meist in einer Höhe von rund 4 Kilometern (13500 Fuß) über Grund ohne zusätzliche Sauerstoffversorgung. Automatische Öffnungsautomaten waren noch vor Jahrzehnten nur bei Schülergurtzeugen eingesetzt. Als 1986 bei einem bayerischen Rekordversuch einer seiner Mitspringer weder Haupt- noch Reserveschirm aktivierte und zu Tode stürzte, dachte Techniker und Fallschirmspringer Helmut Cloth: Ein automatisches Öffnungsgerät hätte dies verhindern können. Vier Tage brauchte er zur Lösung, die Umsetzung dauerte zwei Jahre.
Der Techniker wollte die bis dahin bekannte fehleranfällige mechanische Öffnungsautomatik durch eine absolut zuverlässige, elektronisch gesteuerte ersetzen. 1991 präsentierte Cloth den ersten elektronischen Öffnungsautomaten namens Cypres. Helmut Cloth’s erfolgreiche Idee, seither in 22 Jahren eingesetzt bei über 100 Millionen Sprüngen rettete bisher 3000 Menschenleben. Sie wurde von anderen nachgeahmt. Cypres blieb aber Marktführer und zwar soweit vorne, dass sich der Name Cypres als Synonym für Notauslösegeräte beim Fallschirmspringen etablierte, wie der Name Tempo für Taschentücher.
Trotzdem wurde die Entwicklung des Stratos Cypres für das Team um Helmut Cloth zur absolut neuen Herausforderung: Ein Gerät, das mit Luftdruckmessungen in Echtzeit arbeitet, sollte in einer nahezu druckfreien Umgebung funktionieren. In der Stratosphäre, knapp 39 Kilometer über unseren Köpfen. Und: Es sollte nicht nur als Notauslösegerät funktionieren, sondern zuätzlich noch als Datenlogger, um die Rekordwerte festzuhalten.
Anforderungen an die Messungen

Extreme Temperaturen
Luftdruck ist keine isoliert zu behandelnde Größe sondern in Abhängigkeit zur Temperatur zu sehen. Die extremen Temperaturen von unter -50°C beeinflussen somit auch die Messwerte, die entsprechend umfassender zu interpretieren sind als das beim normalen Sprungeinsatz notwendig ist. Aber auch das Material selber unterliegt den Temperatureinflüssen. Deshalb wurde das Gerät vorher extremen Temperaturtests ausgesetzt und dabei getestet, Teile des Notauslösesystems (Cutter) mit flüssigem Stickstoff bis auf -180°C gekühlt.
Schallgeschwindigkeit und starke Beschleunigung
Für die Auswirkungen auf Druckmessungen lagen bisher noch keine wissenschaftlich fundierten Analysen für den Überschallbereich vor. Um die mögliche Bedeutung für die Auslösekriterien zu beurteilen, unternahm Cloth eigene wissenschaftliche Forschung.
Mit zunehmender Höhe schwindet die Schutzwirkung der Atmosphäre vor kosmischer Strahlung. Neben der kosmischen Teilchenstrahlung können energiereiche Gamma und Betastrahlung elektronische Systeme erheblich schädigen. Nicht nur der Mensch Baumgartner sondern auch das Datenlog-Gerät musste gegen solche Gefahren geschützt werden.
Welche Auswirkungen hat extrem niedriger Luftdruck ausserhalb der unteren Spezifikation des Drucksensors? Umfangreiche Testszenarien, Simulationen und Anpassungen mussten vor dem Sprung beweisen, dass das Stratos Cypres in seiner Funktion dadurch nicht beeinträchtigt wird.
Konstruktion der Notauslösung

Auch der Container des Reserveschirmes wird durch einen Pin gesichert. Während bei einer vom Springer ausgelösten (normalen) Öffnung des Containers (Rigs) der Pin aus einer Schlaufe herausgezogen wird – man will die Schlaufe (Loop) ja beim nächsten Sprung wieder verwenden – wird bei der automatischen Aktivierung im Notfall der Loop von einem sogenannten Cutter (Messer) durchgetrennt.
Das kleine Kästchen namens Stratos Cypres hatte also mehrere Aufgaben
Über eine Kontrolleinheit konnten Funktionsbereitschaft und Selbsttest geprüft werden. Es gibt jedoch keine fest eingestellt Auslösehöhe, diese muss vor dem Sprung am Gerät eingestellt werden.
Während man ein normales Cypres nach Höhe (über Grund) auf dem Ort einstellt, auf dem der Sprung gelandet werden soll, wird das Stratos Gerät direkt in Form eines Luftdruckwertes eingegeben. Hier waren das 812 Millibar. Das entsprach 810 Meter über Roswell. Die Auslösegeschwindigkeit war mit 35 m/s die gleiche wie beim normalen Cypres, da Rig und Schirme für ein normales Sinkverhalten an die Sprungbedingungen angepasst waren.

Und da ein Cypres schon jede Menge Daten sammeln muss für die eigene Funktionsfähigkeit, war es prädestiniert dazu, auch die Daten zum Beweis für die Rekorde zu liefern.
Insgesamt wurden die Daten in drei Einheiten erfasst: dem kleinen Kästchen mit den Kabeln auf dem Foto oben (entspricht dem üblichen Notauslösesystem mit weiteren Funktionen für den Stratos-Sprung), einem Datenlogger, vorne neben das Lebenserhaltungssystem von Felix Baumgartner geschnallt, und dazu ein weiterer Datenlogger in der Kapsel.
Links
Red Bull veröffentlichte Anfang Februar einen Stratos Summary Report, der zukünftigen Weltraumnahen Unternehmungen als Basis und/oder Referenz dienen soll.
Fundierte, aber etwas tröge Hintergrundinfo zum Springen steht in der Wikipedia.
( 🙂 Das liegt vielleicht auch daran, dass Fallschirmspringen zu den Tätigkeiten gehört, die man nur durch Zusehen auf dem Sofa weder begreifen noch nachvollziehen kann.)
Der Wiki Link zu Felix Baumgartner.
Und jetzt geht es weiter in Teil 2, mit den ausgewerteten Daten…
[…] neuen Blog Flug und Zeit wird der Rekordsprung von Felix Baumgartner nochmal unter die wissenschaftliche Lupe […]