Spurensuche aus der Luft

Eigentlich kamen wir zu den Römern über die Sicherheit. Während eines Fluges macht es immer Sinn, sich nach einem Notlandeplatz umzusehen. „In case of“ – wo würde man jetzt aus dieser Höhe (ohne Motor) landen (können). Denn das Flugzeug fällt auch ohne einen Antrieb nicht wie ein Stein zu Boden, sonst würden ja Segelflugzeuge etwa, die von Haus aus keinen Motor haben, gar nicht fliegen können.

Gras
Ein alter Straßenverlauf und ein früherer Flusslauf – aber keine archäologisch interessante Fundstelle.
Luftbild: hkl

Allerdings hat ein (normalerweise) mit einem oder mehreren Motor(en) angetriebenes Flugzeug einen Gleitwinkel von 1: plumps. Zu gut deutsch, es sinkt vor allem und fliegt dann eher weniger. Man schätzt also in etwa den Radius zu den Stellen ein, die man am Boden noch sinnvoll erreichen könnte und sucht dann nach Windrichtung und weg von Hindernissen wie Häusern, Stromleitungen, Gewässern, die beste Möglichkeit für eine (potentielle) Notlandung aus.

Dabei nimmt man als Pilot die Bodenoberflächenstruktur sehr schnell und sehr intensiv wahr: Strassen im Gegensatz zu Feldern; was wächst auf den Feldern, ist das gut oder eher schlecht (hohes Getreide oder dicht verschlungenes Bohnengestrüpp). Das ermittelt man aus der Luft und der Entfernung über die Farbe und eventuell der Bewegung im Wind oder der Struktur. Mit dem späteren realen Abgleich am Boden wächst die Erfahrung. Die jahrelange Übung kommt zum Einsatz „in case of“, wenn die Zeit drängt und richtige Entscheidungen schnell getroffen werden müssen.

Römische Villa
Das könnte man als Grundriß für eine edle Villa nehmen. Dieser hier stammt aus der Römerzeit.
Foto: Archiv Universität Frankfurt

Dem aufmerksamen Beobachter fällt mit der Zeit auf, dass sich aus der Luft bei bestimmten Lichtverhältnissen und Jahreszeiten am Boden Strukturen erkennen lassen, die sich durch eine andere Farbe, eine Rinne mit höherem oder schlechter gewachsenen Getreide auszeichnen. Nein, es geht hier nicht um irgendwelche „esoterische“ Kornkreise, die in der letzten Nacht von Menschen erzeugt wurden, sondern um Veränderungen in der Bodenstruktur, die über Jahrhunderte und Jahrtausende im Boden ihre Spuren hinterlassen haben.

Je ebenmäßiger die Form (Rechtecke, Kreise, Fünfecke) und die Anordnung der Spuren bei mehreren Objekten, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie auf frühere Besiedlungen zurückgeht. Ehemalige Flussläufe, gerade hier im Rhein-Main-Gebiet, sind allerdings ebenso sichtbar aus der Luft wie Spuren der Beackerung und ungleichmässiger Bewässerung.

Foto: hkl
Joseph Beuys lässt grüßen…
Foto: hkl

Während der Laie (Pilot) da noch rätselt, was genau hinter der dunklen Stelle am Boden steckt, kann der Fachmann schon einiges als irrelevant für prähistorische Funde ausschließen. Dr. Thomas Maurer (im Artikelbild oben) vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Frankfurt ist einer derjenigen, die mit tiefem geschichtlichem Wissen, jeder Menge an unterschiedlichen geologischen Karten und jahrelanger Erfahrung auch aus Luftbildern schon ziemlich genau sagen können, ob sich eine Grabung an dieser Stelle lohnt: „Ja, das ist eine Erdgasleitung, die bekommen wir immer wieder präsentiert“, meint er zu einem unserer Fotos. „Leider ist die auf den meisten Karten nicht verzeichnet“. Hat aber mit seiner Forschung, dem Nördlichen Hessischen Ried in römischer Zeit eher wenig zu tun.

Generell unterscheidet der Wissenschaftler negative und positive Bewuchsmerkmale. Das Getreide wächst also an einer bestimmten Stelle entweder weniger schnell und weniger gut als überall sonst auf diesem Feld oder es schießt da geradezu in die Höhe und ragt über alle anderen Halme hinaus.

Positive Merkmale entstehen durch tiefe Furchen unter der Oberfläche. Da war also vielleicht mal ein Haus- oder Pfostenfundament, das aber schon vor vielen Jahrhunderten abgetragen wurde.

Zeichnung copy
Foto: hkl

Entweder, weil die Nachfahren die Steine anderweitig einsetzten oder, weil das Holz einfach verrottet ist. Die Furche jedenfalls füllte sich über die Zeit mit Nährstoffen und wurde zu einer Stelle von mit Humus angereicherten Boden. Die Getreideähren heute freuen sich.

Anders, wenn einige Meter unter der Erde das Steinfundament erhalten bleibt und damit die Stelle zu einem weniger Feuchtigkeitspeichernden kargen Bodenteil führt. Der Pflanzenwuchs darüber verkümmert, die Farbe wird fahl.

Wenn man dann noch weiß, wie der Grundriss einer römischen Villa auszusehen hat, oder wie und wie oft der römische Grenzwall Limes von Wachtürmen gesäumt wurde, dann sieht der Fachmann schon, wo es sich lohnt, nach weiteren Fundorten zu suchen. Übrigens: Bereits die Suche nach archäologischen Kulturdenkmälern bedarf der Genehmigung, auch Zufallsfunde sind zu melden. In Hessen ist die zuständige Behörde das Ministerium für Wissenschaft und Kunst.

Marschlager Hochheim
Übertrag der Konturen als Zeichnung.
Foto: Archiv Universität Frankfurt

Aus den Luftbildern entstehen dann sogenannte Übertragsskizzen. Diese sind von Verzerrungen befreit und zeigen die Fundstelle(n) schematisch, eingeordnet in geografische Merkmale wie umgebende Straßen oder Häuser. Am Boden sieht man die geringen Farbunterschiede nämlich nicht, die zwei Zentimeter höheren Ähren auch nicht wirklich. Gegraben wird auch erst nach der Ernte des Feldes, in Absprache mit dem Eigentümer. Viele Stellen sind aber auch einfach nur notiert und bekannt, die finanziellen Mittel fehlen, um alles ans Tageslicht zu befördern, was unsere Vorfahren hinterlassen haben. Die Dokumentation ist aber schon einmal dazu gut, um weitere Bauten und damit Vernichtung von Kulturschätzen zu verhindern.

Nun werden wir in diesem Frühsommer gezielt drei potentiellen Fundstellen bei unterschiedlichem Licht, unterschiedlicher Feuchte und Bewuchsgrad unter die Linse nehmen. Vom Flugzeug aus, mit etwas mehr Übersicht aus der Luft als bei der Begehung am Boden.

Auch mit dem Auto lässt sich das Römer-Such-Feeling im Rhein-Main-Gebiet durchaus umsetzen: Die A66, nach Westen aus Frankfurt raus, liegt ziemlich genau über einem alten Römerweg: Der führte einst vom heutigen Wiesbaden in Richtung Frankfurt.

unten
Eine ganz normale Litfaßsäule am Boden…
Foto: hkl

Aus der Vogelperspektive sieht man – mit mehr Überblick, was einem am Boden alles entgeht.

Litfassaule
…und aus der Luft. Mit Überblick.
Foto: hkl


Kommentare

10 Antworten zu „Spurensuche aus der Luft“

  1. Joseph Beuys lässt grüßen…

    Schöne Reminiszenz an die Wanne 😉 Zum Inhalt der Kiste: Als Anfang der 70er in Neuß-Innenstadt eine recht große Baugrube ausgehoben wurde, fanden sich darin ungemein viele Töpferwaren aus der Römerzeit, die in einer unglaublichen Geschwindigkeit in die Neußer Haushalte diffundierten. War für die Kinder der Kracher der Saison.

    1. Findest Du das gut?

      1. Das war eine Feststellung, keine Wertung — aber wenn Du eine möchtest: Auch wenn ich es negativ einschätze, als Kind hätte ich es höchstwahrscheinlich trotzdem für ungemein spannend und abenteuerlich gehalten.

        Doch bevor jetzt Stimmung gegen die ach so ‚unbedarften zerstörerischen Plünderer‘ gemacht wird: Wie findest Du es denn, daß damals nach kurzer oberflächlicher Sichtung von offizieller Seite und der erfolgten Einschätzung ’nicht würdig‘ mit Bagger und Caterpillar alles zu Krümeln gegraben wurde?

      2. Um das selber zu beurteilen, müsste ich wissen, was „alles“ bedeutet, meaning, wer war der Eigentümer, wie lief das ab, welche Entschädigungen wurden gezahlt usw.

        Aber es ist auch ziemlich egal, wie ich das finde, denn Tatsache ist, dass das Recht des staatlichen Eigentums (welchen Ministeriums auch immer im jeweiligen Bundesland) an Kulturschätzen verbrieft ist, das Klauen aber nicht. Das kann man mögen oder nicht, an der rechtlichen Situation ändert es nichts.

        Wenn ich einen Garten/eigenen Grund besitzen würde, und mich das persönlich treffen würde durch Verzögerungen bei baulichen Massnahmen, würde ich dem Ganzen auch sehr grimmig gegenüberstehen. Verständlich. Aber Klauen halte ich trotzdem für keine gute Antwort. (Just my 5 cent)

      3. Hi Helga, auch wenn es nach Reparatur von ‚Auch wenn es‘ zum richtigen ‚Auch wenn ich es‘ etwas besser verständlich ist – schon vorher kann ich in meinen Kommentaren beim besten Willen kein Gutheißen von Fundstellenplünderung im Besonderen noch von Diebstahl im Allgemeinen finden.
        Dafür einen Zuordnungsfehler: Auf der bewußten Baustelle fand sich eine Töpferei aus der Zeit Karl des Großen, Baustellenvermischung meinerseits.

        welche Entschädigungen wurden gezahlt

        Wie bitte? Worum geht’s? Die Bürgergesellschaft Neuß baute ihr neues Gesellschaftshaus, bei den Ausschachtungen fand sich besagte Töpferei, Baustop, bei einigen der Anwohner brach IndianaJones durch, Absperrung, Landesmuseum sichtet, entnimmt Weniges und der Rest wird im Rahmen der üblichen Bauarbeiten unter Aufsicht geschreddert, auf daß kein halbwegs ansehnliches Teil mehr entnommen werde. Dergleichen ward in NE unter Brüdern unglaublich schnell geregelt, das lief wie geschmiert.

        btw: Bin ja mal gespannt, wie weit noch eingerückt wird…

      4. Hi Rolak,
        ok, das wollte ich auch nicht unterstellen, der Urspungskommentar kam für mich nur etwas locker flockig daher.

        Für Schreibfehler bin ich auch bestens aufgestellt ;-), je kreativer der Mensch, umso leichter überliest man seine eigene Wortkreationen… Die anderen Dreher aber sieht man immer 🙂 Mit Verlaub: dann ergänze ich mal das ich.
        Funktioniert übrigens auch im Cockpit: der in der zweiten Reihe (da sitzt meistens der Checker, aber es funktioniert auch bei anderen Piloten) sieht Fehler und kleinere (größere kommen nicht vor 😉 ) Nachläßigkeiten der verantwortlichen Piloten in der ersten Reihe auch eher…

        –> Karl der Große: Für die gerade diskutierten Sachen ist es eh egal aus welcher Zeit das Häferl ist, solange es als Geschichte gewertet wird. Ich habe mein Interview halt mit einem Dozenten des Instituts für Archäologische Wissenschaften: Abteilung II: Archäologie und Geschichte der römischen Provinzen sowie Hilfswissenschaften der Altertumskunde gemacht. (Herzlichen Dank nochmals an Prof. Dr. Hans-Markus von Kaenel und Dr. Thomas Maurer.)

        –> Einrücken: Bin Experimentalphysiker…
        Schaun wir mal.

      5. ..und was fällt mir bei einem der diesjährigen Osterbesuche auf: Tadaaaa!, wie gesagt, Jahrgang so bummelig 800±; weniger geklaut als in der letzten Nacht vor dem Schreddern ‚gerettet‘. Da ist kein Töpfchen ganz, manche stehen nur geschickter – und das ganz rechts ist irgendein Urlaubsmitbringsel.

        Frohe Rest-Ostern!

  2. advanced space propeller

    ->Luftbildarchäologie
    http://de.wikipedia.org/wiki/Luftbildarch%C3%A4ologie

  3. In diesem Zusammenhang kann man auch die Bilder der Feldflieger des Asien-Korps aus dem ersten Weltkrieg erwähnen. In jüngster Zeit wurden diese wieder für Archäologen interessant, da dort Monumente zu sehen sind die heute verschwunden sind.

    1. Welche Archäologen und wo („dort“) sind Monumente zu sehen?

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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