Update 3: Metrojet A321 über der Sinai-Halbinsel abgestürzt

Update 3, am 5.11.15

Nach zahlreichen Spekulationen scheint es sich nun auch offiziell zu verdichten, dass das Flugzeug durch eine vom Fliegen unabhängige Einwirkung zum Absturz kam.

Allerdings liegen mir noch immer keine Beweise für diese Aussagen vor. Der Voice Recorder scheint arg beschädigt zu sein, und die Auswertung des Flugdatenschreibers liegt auch noch nicht offiziell vor.

Es sind (leider) wie bei allen Flugunfällen sehr viele unterschiedliche Interessen der beteiligten Flugunfalluntersucher (Airline, Hersteller, Länder…) vorhanden. Hier interessiert nur das Ergebnis, die Ursache, wenn es/sie denn offiziell vorliegt.

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Update 2, auch am 1.11.15

Fakt:

Nun gibt es von den russischen Flugunfalluntersuchern das Zwischenergebnis, dass der Airbus wohl schon in der Luft auseinandergebrochen ist (und nicht erst beim Aufschlag).

Beurteilung:

Liegt nahe und klingt plausibel, wenn die Trümmer über 20 Quadratkilometer verstreut liegen.

Wenn es, wie schon zuvor berichtet, dabei trotzdem zwei größere Trümmer gibt (und zahreiche kleinste), könnte auch die zurzeit im Netz kursierende Meinung den Tatsachen entsprechen: dass ein früherer Tailstrike (ein zu früheres Aufsetzen der Tailsektion bei der Landung vor dem Hauptfahrtwerk oder auch ein heftige Streifen beim Abheben) die Ursache des Auseinanderbruchs sein könnte.

Könnte.

Nur: wenn das tatsächlich zutreffen sollte, ist die logische Konsequenz daraus, alle A321 mit Tailstrikes sofort zu grounden. Denn ein A321 ist eine gestreckte Form des ursprünglich perfekt designoptimierten A320. Und so kommt es aufgrund dieser Imperfektion in der Konstruktion immer wieder zu Tailstrikes bei A321. Heftigeren und weniger heftigeren, teilweise sogar unbemerkten.

A321-Tailstrikes gibt es auch bei anderen Fluglinien, mir ist keine bekannt, die A321 länger im Einsatz hat und noch keinen Tailstrike.

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Update 1 am 1.11.15
Zunächst zu den Korrekturen von Tagesthemen und heute-journal von gestern nacht:

Im heute-journal sagte Udo Lielischkies: „Es gab keinerlei Beschwerden der Crew vor dem Start.“
No na net. Bei technischen ernsten Problemen wären sie hoffentlich nicht gestartet.
Kann man solche Statements nicht unterlassen?

Schlimmer noch die Aussagen des „erfahrensten deutschen Luftfahrtexperten“, so das ZDF, das ihn wieder und wieder reden lässt. Er hat meines Wissens nach weder einen Pilotenschein noch eine technische Ausbildung. Wenn das tatsächlich die Elite der Deutschen Luftfahrtjournalisten wäre, wäre das traurig. So ist denn auch der Kommentar einzuschätzen, der sich nicht mal auf die Datenwerte dahinter, sondern nur auf die oberflächliche Grafik bezieht. Und da kann jeder Durchschnittstechniker (nicht einmal Pilot) sagen, dass bei Abbruch der Eingangswerte die Werte so nicht mehr genommen werden dürfen. Ein Cut ist ein Cut und der ist eben weder von der Hardware noch von der Software vorgesehen. Siehe weiter unten hier mehr dazu.

Sensationsheischendes Zitat: …“und dann muss eine Katastrophe passiert sein“…
Nein, es könnte auch einfach nur der Transponder ausgefallen sein, das würde den gleichen Chart hervorrufen.
Es ist eine Katastrophe passiert, das ist korrekt. Aber das lässt sich nicht aus dem Chart herleiten. Da ist nur ein Abbruch der Datenlieferung zu sehen, alles andere (die GRÜNDE dafür) sind reine Spekulation. Und die hat im seriösen Journalismus nichts zu suchen.

Seine weitere Aussage, dass ein Airbus (gemeint wohl der 321?) mehrere hundert Kilometer weit segeln kann ist ebenso nonsens. Das sind vielleicht Werte aus Datenblättern für den Leerlauf eines Triebwerkes (idle), aber nicht für den Komplettausfall der Turbinen. Eine auf Leerlauf laufende Jetengine würde halt noch einigen Schub produzieren.

Tagesthemen mit Thomas Roth:

„Nach etwa 20 Minuten verlor der Airbus plötzlich stark an Höhe und stürzte ab.“

Das ist weniger als Spekulation, nennen wir es zum jetzigen Zeitpunkt einfach Erfindung oder Märchen.

Und damit kommen wir auch gleich zum Thema FlightRadar24. Hätte ich den Link nicht geliefert, dann wäre er als „freundlicher“ Hinweis von einem der mitlesenden besserwissenden Oberlehrer gekommen. Also hatte ich ihn beim ersten Beitrag angefügt.

Zudem beziehen sich auch die offiziellen Unfalluntersucher in diesem Fall darauf. Das Ende der FlightRadar24-Aufzeichungen stimmt wohl mit dem Ende des offiziellen Kontaktes überein (13 Minuten nach der Stunde). Ein weiterer Grund, warum ich es hier mit aufgeführt habe.

Was ich allerdings nicht gemacht habe und zum x-ten Mal nach einem Absturz inständig gehofft habe, dass auch andere, zumindest die seriösen Journalisten nicht darauf eingehen, ist: die Daten am Abbruch zu interpretieren.

Konkret geht es um dieses Foto und die Daten dahinter:

trackdaten

Sieht man sich die tabellarischen Datenwerte dazu an, so sieht man an der Vertikalen Geschwindigkeit in Fuß/Minute, dass sie lange Zeit vorher konstant (geschätzt 500ft/min) war, normaler Steigflug, dann bei 6:12:58 auf null sank, in 6:13:00 bei 6000 Fuß Sinkflug lag, in 6:13:02 bei 4000 Sinken, 6:13:03 erneut auf 6000 Sinken, bei 6:13:08 auf 4000 Steigen, in 6:13:10 wieder bei 6000 Sinken usw

Da kann man eine Menge hineininterpretieren.

Kann man.

Man kann aber auch warten auf die Flugschreiberauswertung (der Wiederkäueffekt stösst mir übel auf), denn das sind tatsächlich Daten mit Aussagewert. Was der Transponder bei einem Abbruch des Inputs sendet und der Empfänger aus dem gesendeten macht, ist nicht verlässlich genug. Das mag sich so abgespielt haben, es kann sich aber auch um eine (Falsch)Interpretation bei Datenabbruch und dem gesendetem oder empfangenen Datenmüll und dessen fälschlicher Interpretation handeln.

Beim nächsten Vorfall lasse ich das Anschauungsmaterial wieder weg als Link. Es gibt zu viele, die das falsch (zu viel hinein) interpretieren. Punkt. Man kann es nicht allen recht machen.

Weiter zum Absturz:

Ein A321 kann ohne Schub (Antrieb) aus der letzten bekannten Höhe noch rund 56 Meilen segeln bis er auf den Boden (Normallnull) trifft.

Zurzeit ist nicht bekannt, ob nur ein Triebwerk oder beide ausfielen.

Oder ob überhaupt eines ausfiel.

Und deshalb: Warten auf die offizielle Auswertung… und wenn vorher noch wieder einer dieser Gerne-Mitflieger und dazu noch Gerne-vor-der-Kamera-Laberer ohne Technische Kenntnisse und ohne Pilotenlizenz den Mund aufmacht – weiterschalten. Es ist die Zeit nicht wert.

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Beitrag am Absturztag:

Ein Airbus A321-200 (Registration EI-ETJ) der Fluggesellschaft Metrojet verschwand auf Flug 7K-9268 vom Urlauberort Sharm el Sheikh (Ägypten) nach St. Petersburg (Russland) mit 217 Passagieren und 7 Crew an Bord vom Radar. Das Flugzeug war im Steigflug (climbing through FL307) bei Position N30.16 E34.17 um 04:12Z am 31.10.1015 bei der letzten Radaraufzeichnung. Trümmer wurden kurze Zeit später im bergigen Gebiet bei Al-Arish auf der Sinai-Habinsel gefunden.

Nach ägyptischen offiziellen Informationen zurzeit gibt es keine Rückschlüsse auf irgendwelche gefeuerte Raketen (Missiles) zum Unfallzeitpunkt.

Nach Quellen aus Sharm el Sheik funkte der Kapitän des Fluges technische Probleme (Triebwerk: IAE V2533) und wollte nach Sharm el Sheikh zurückkehren.

Die CFMU in Brüssel (Eurocontrol Air Flow Traffic Management) gab unmittelbar nach Verschwinden der Maschine vom Radar eine Warnung heraus an alle Piloten auf der Strecke TBA-PASOS für beide Richtungen, dass aufgrund von technischen Problemen alle Flüge so umgeleitet werden, dass sie das fragliche Gebiet nicht überfliegen. Dies wurde nach Auffinden der Wrackteile zurückgezogen.

Lufthansa und Air France gaben bekannt, dass sie bis auf weiteres Überflüge über den Sinai vermeiden. Auch die FAA gab Warnungen für amerikanische Operators heraus für alle Flüge oberhalb von FL260 über dem Sinai.

Laut Reuters, die einen in die Unfalluntersuchung offiziellen beauftragten Ägypter zitieren, soll das Flugzeug in zwei größere Trümmer zerbrochen sein. Der kleinere Teil, die Tail Sektion, soll Feuer gefangen haben, der größere auf einen Felsen getroffen sein. (Nicht bekannt, ob der Auseinanderbruch schon in der Luft stattfand oder erst beim Aufschlag.) Angeblich fand man (tote) Passagiere, die noch angeschnallt auf ihren Sitzen waren.

(Diese Info ist zurzeit nicht nach meinen Ansprüchen doppelt geprüft und stammt zudem aus einer Sekundärquelle.)

Noch ein wenig Statistik, die aber zurzeit auch keine Schlüsse bietet:

Flugerfahrung des Kapitäns: Gesamt: 12000 Stunden, davon 3800 Stunden am Typ.

Antrieb: IAE V2533 Triebwerke,

Flugzeug: A321 mit rund 55772 Flugstunden auf 21175 Fluglegs im Einsatz.

Hier der aufgezeichnete Flugweg nach Transponderdaten. Die Aufzeichnung endet deutlich vor der Aufschlagstelle rund 30 Kilometer südlich von Al Arish, das an der Mittelmeerküste liegt.

Unser Beileid und Mitgefühl für die Angehörigen von Flug 7K-9268.


Kommentare

3 Antworten zu „Update 3: Metrojet A321 über der Sinai-Halbinsel abgestürzt“

  1. Leider erfährt man ja immer sehr spät die wirkliche Ursache.

    Aber ich weiß natürlich, dass das absolut notwendig ist, um nicht Spekulationen ist Kraut wuchern zu lassen und die Hinterbliebenen nicht unnötig zu belasten.

    Bin trotzdem gespannt.

  2. Was aber jetzt schon wieder falsch durch die Presse kursiert ist der letzte „Radarkontakt“ ca. 100km vor der Absturzstelle. Die zitierte Seite heißt zwar Flightradar24, hat aber mit Radar gar nichts zu tun. Es werden lediglich Funksignale des Flugzeugs von privaten Betreibern aufgezeichnet (das kann jeder mit einer DVB-Karte machen). Und dass in einer Wüste nicht besonders viele Empfänger vorhanden sind sollte wohl klar sein.

    Glücklicherweise sind beide Flugschreiber geborgen worden, also warten wir mal auf die Auswertungen.

    Mein Mitgefühl gehört den Angehörigen.

    1. Der letzte Radarkontakt war bei bei Position N30.16 E34.17 wie im Artikel oben bei den Fakten beschrieben. Das ist in den Bergen (korrekt für den Flug: über den Bergen) und von der Aufschlagstelle entfernt.

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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