…die wie Klavierspielen oder eine Extrem-Sportart regelmäßig geübt werden muss. Dazu veröffentlichte die VC* einen inhaltlich recht gut geschriebenen Beitrag, den wir hier, leicht gekürzt, zur allseitigen Diskussion und zum Weiterdenken und Handeln veröffentlichen.

Und, nein, der FlugundZeit-Blog ist kein Sprachrohr der VC, man kann mir nichts aufdrücken, auch keine noch so fordernd vorgebrachten Vorschläge eines Vorstandes, was ich als Presse zu schreiben habe oder auch nicht. Aber um diesen Text habe ich gebeten, weil ich den fachlichen Inhalt genauso sehe.

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„Dem Computer fehlt etwas ganz Entscheidendes: der gesunde Menschenverstand“, so der Schweizer Aphoristiker Stephan Fleischer. Der Mensch zeichnet sich unter anderem durch die Fähigkeit aus, situationsgerecht zu priorisieren und gegebenenfalls auch, aufgrund seiner Kreativität, „neue“ Lösungen zu finden – eine entscheidende Stärke des Menschen im Mensch-Maschine System.

Diese Kreativität ist allerdings kein Selbstläufer – zum einen muss Kreativität geschult und regelmäßig trainiert werden, zum anderen müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen gegeben sein, auch kreativ vorgehen zu können. Nur dann erzielt ein gut ausgewogenes Mensch-Maschine-System die größtmögliche Sicherheit.

Der Steuerung eines Verkehrsflugzeugs liegt heute ein extrem komplexer Informations-Regelkreis zugrunde, bestehend aus:

Information – Übertragung – Erfassung – Verarbeitung – Umsetzung.

Versuche, diesen Regelkreis komplett zu automatisieren, sind gescheitert.

Verkehrsflugzeuge der neuesten Generation haben zwar einen hohen Entwicklungsstand erreicht, dennoch sind auch die modernsten Flugzeugsysteme nicht fähig, im Falle von unerwarteten Systemfehlern selbst situationsgerechte Lösungen zu finden. Sie reagieren anhand von programmierten Vorgaben, welche nur auf bestimmte, zum Zeitpunkt der Programmierung vorhergesehene Situationen oder Szenarien beschränkt sind.

Ein Pilot muss zu jeder Zeit, insbesondere im Falle von Systemausfällen, in der Lage sein, den Flugzustand seines Flugzeugs zu erfassen und das Flugzeug manuell zu steuern.

In den letzten Jahren haben sich die Rahmenbedingungen in der Verkehrsfliegerei verschlechtert. Fortschreitende Automatisierung und Vernetzung moderner Flugzeugsysteme erhöhte die Komplexität enorm, was die Erfassung der Gesamtsituation (insbesondere auch etwaiger Probleme) deutlich schwieriger macht. Gleichzeitig greifen – mehr oder weniger automatisierte – Assistenzsysteme zunehmend in die aktive Flugführung was den direkten Eingriff der Piloten zusätzlich erschweren kann.

Grundsätzlich muss der Mensch sich all seine Fähigkeiten aneignen und erhalten, das heißt, wieder und wieder trainieren. Auch hat es sich in der Evolution als massiver Vorteil erwiesen, wenn nur für diejenigen Fähigkeiten Gehirnkapazität und Energie bereitgestellt werden, die gerade zum Überleben notwendig sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass – um im menschlichen Gehirn Ressourcen zu schonen – Fähigkeiten bei Nichtanwendung zurückgebildet werden, auch wenn sie nie ganz verschwinden.

Bei stark spezialisierten Hand-Auge-Ohr-Koordinations-Aufgaben, muss das Gehirn am besten jeden Tag durch Wiederholung der Tätigkeiten dazu animiert werden, die geforderten Ressourcen bereitzustellen. Das gilt auch für grundlegende fliegerische Fähigkeiten, insbesondere das manuelle Fliegen, aber auch für die Erfassung und Verarbeitung von Information.

Die Entwicklungen in modernen Flugzeugsystemen waren diesbezüglich kontraproduktiv. Ein adäquates Üben der notwendigen Tätigkeiten (insbesondere Erfassung, Verarbeitung, manuelle Umsetzung) ist im normalen Flugbetrieb – wenn überhaupt – nur noch bedingt möglich.

 

Warum liegt darin eine Gefahr für die Flugsicherheit?

Kontrollverlust im Flug (Loss of Control) wird inzwischen überproportional oft als Unfallursache identifiziert und ist somit ein Indiz für ein nicht ausreichendes Training der involvierten Piloten.

Die derzeit gültigen Gesetze zur Überprüfung der fliegerischen Fähigkeiten für die Erhaltung der Fluglizenz kommen aus der Zeit der „großen Sternmotoren“. Diese Gesetze wurden für Flugzeuge der 50er und 60er Jahre, wie die „Lockheed Super Constellation”, geschrieben, die aufgrund des nicht vorhandenen Autopiloten komplett manuell geflogen werden mussten und die zudem fast auf jedem Flug einen Motorausfall zu verzeichnen hatten. Heutige Verkehrsflugzeuge haben deutlich andere Systemfehler und die Anforderungen an die Piloten haben sich dadurch signifikant geändert, die Fähigkeiten werden aber immer noch nach den gleichen Kriterien wie in den 50er Jahren überprüft.

In den 50er Jahren waren Flugzeuge nicht annähernd so komplex wie heute und die Flugzeugsysteme waren zudem technisch auch sehr unzuverlässig. Somit erlebten Piloten damals praktisch alle möglichen Probleme in der Realität. Die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Piloten orientierte sich an diesen Gegebenheiten – der Trainingsfokus lag auf einer relativ geringen Anzahl überschaubarer Systemausfälle. Heute sind die Flugzeugsysteme sehr zuverlässig und reale Ausfälle sind eher selten. Wenn allerdings Probleme auftreten, so können diese aus einem deutlich größeren Spektrum von Systemen kommen. Sie sind dabei oft extrem komplex und zusätzlich mit dem Ausfall von Automation und Assistenzsystemen verbunden. Es ergeben sich somit andere Notwendigkeiten für modernes Pilotentraining.

Der erfolgreiche Umgang mit Systemausfällen kann und muss im Simulator trainiert werden. Der Aufwand ist hierbei deutlich größer als vor 60 Jahren, denn im modernen Cockpit müssen Piloten signifikant mehr Systemkenntnisse haben, um Situationen richtig erfassen zu können. Dennoch müssen sie die notwendigen manuellen fliegerischen Fähigkeiten besitzen, um das Flugzeug  – auch nach Verlust etwaiger Assistenzsysteme – sicher zu beherrschen. Es ergibt sich somit ein deutlich erhöhter Trainingsbedarf im Bereich kognitiver Fähigkeiten, gleichzeitig müssen aber die motorischen Fähigkeiten ebenfalls adäquat trainiert werden.

Durch den extremen finanziellen Druck in der Industrie sind nur noch wenige Fluglinien in der Lage und dazu bereit, die Piloten regelmäßig zu trainieren.

 

Warum ist die Luftfahrt immer noch sicher?

Sie zehrt noch von Zeiten, in denen grundlegende fliegerische Fähigkeiten (Basic Flying) – und hierbei insbesondere das manuelle Fliegen – die Ausbildung dominierte. Da die Luftfahrt, wie viele andere Branchen, sehr träge reagiert, kommen nachteilige Auswirkungen erst verzögert zum Vorschein. Umso wichtiger ist es, schon beim Erkennen erster negativer Tendenzen – und damit rechtzeitig – gegenzusteuern.

Luftfahrtbehörden wie EASA und FAA haben inzwischen reagiert. Sie empfehlen das Ausschalten des Autopiloten sobald es die Gesamtsituation (Verkehrslage etc.) erlaubt. Damit versucht man den Piloten die Möglichkeit einzuräumen, das Flugzeug im Anflug manuell zu steuern. Nicht ohne Grund propagiert Airbus Industries in den letzten Jahren, dass bei Typenschulungen auf die neuen Muster die Trainees weitestgehend von Hand fliegen sollten.

Die ICAO (Internationale Zivilluftfahrtorganisation) hat ebenfalls reagiert und – im Schulterschluss mit Unfalluntersuchern, nationalen Luftfahrtbehörden und Experten aus den Pilotenverbänden – Trainingsempfehlungen erstellt, um die Unfallursache „Loss of Control in Flight“ zu reduzieren.

Vor allem muss Piloten mehr Raum für manuelles Fliegen gegeben werden (sowohl in der Aus-, Fort- und Weiterbildung, als auch im täglichen Flugbetrieb). Zusätzlich müssen Systemkenntnisse in der notwendigen Tiefe vermittelt werden, um der steigenden Komplexität Rechnung zu tragen. Außerdem ist es essentiell, Erkenntnisse aus der modernen Hirnforschung und Psychologie mit in das Training zu integrieren um die notwendigen kognitiven Fähigkeiten zu schulen und zu erhalten. Der jeweilige Trainings- und Erfahrungsstand der Piloten muss hierbei entsprechend berücksichtigt werden, insbesondere um den Umgang mit unerwarteten Inflight-Situationen adäquat zu schulen.

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* Text, gekürzt aus “SafeSKY 2016“  mit freundlicher Genehmigung der Vereinigung Cockpit.


Kommentare

3 Antworten zu „Manuelles Fliegen ist eine Fertigkeit…“

  1. Nikolaus Neininger

    Sehr gute Betrachtung! Könnte man die mal bitte entsprechend oft vervielfältigen und an die eifrigen Adepten schicken, für die das autonome Auto die nächste Heilslehre ist? Das sind nicht nur die Ingenieure (denen sei die Begeisterung ja zugestanden), sondern insbesondere die weitgehend kritiklosen Jubeljournalisten. Gut funktionieren natürlich Systeme für einfache, klar definierte Aufgaben wie ABS oder ESP. Aber mit normalem IT-Aufwand (d.h. ohne mehrfache Redundanz und lange, teure Tests wie in der Luftfahrt – und auch dort ist viel Lehrgeld bezahlt worden) stellt schon eine automatische Steuerung von Fensterjalousien ein schwieriges Problem dar.
    Auf der Straße hat man nicht annähernd so viel Platz wie in der Luft und die im Artikel geforderte Schulung der Fahrer kann man ja wohl vollständig vergessen…

    1. Sehe ich auch so.
      Beim Fliegen kommt allerdings noch eines hinzu:
      Man kann ein Auto, wenn der Computer nicht mehr weiter weiß/“sich aufhängt“, wenigstens langsam ausrollen lassen. So ist die Planung beim automatisierten Auto.
      Beim Fliegen geht das dreimensional und wegen der sicheren Landung (in den Bäumen, überm Wasser, in der Stadt?) meist nicht.

  2. Ganz so einfach ist das leider nicht. Ich fliege eine Falcon 2000EX bei einer Firma, die viel Geld in das Training ihrer Piloten investiert. Die Falcon fliegt sich zwar manuell sehr viel besser als zum Beispiel eine Global. Trotzdem lässt es die Verkehrssituation kaum zu mit der Hand zu fliegen. Der Hauptgrund ist eine signifikante Steigerung des Workloads beider Piloten. Das verringert die Situational Awareness und reduziert letztendlich die Flugsicherheit.

    Manche moderne Jets, die auf Reichweite und Effizienz getrimmt wurden, fliegen sich mit der Hand dermaßen schlecht, dass man am liebsten ganz darauf verzichten möchte.

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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