Flugunfälle mit Airlinern, die nicht mehr aufgeklärt werden können oder werden, haben wir genug gesehen. Von der Crashlandung einer Emirates B773 am 3. August 2016 liegt nun ein Vorläufiger Untersuchungsbericht der Flugunfalluntersuchungsstelle in Dubai (GCAA) vor.

Die Fakten laut Bericht

Die B777-300 war in Indien (Thiruvananthapuram) gestartet und flog ohne Probleme bis zur Crash-Landung in Dubai. Alle Passagiere und die Crew überlebten, einige mit Verletzungen.

Das Flugzeug machte eine lange Landung, weit vom Bahnbeginn entfernt; beide Hauptfahrwerke setzten auf, trotzdem leitete die Crew ein Durchstartmanöver ein. Dabei wurde das Fahrwerk eingezogen und das Flugzeug stieg kurzzeitig auf 85 Fuß (25 Meter) Radarhöhe, die Geschwindigkeit sank dabei auf 134 KIAS (angezeigte Geschwindigkeit in Knoten, 69 m/s). Dabei war das Fahrwerk noch im Einfahren, es war weder in der verriegelten Ein- noch in der Ausgefahren-Position, als das Flugzeug erneut auf den Boden trifft. Erst drei Sekunden vor dem Aufprall werden die Schubhebel manuell von Leerlauf auf maximalen Schub geschoben. Dadurch geht auch das Autothrottle Computer-System von Leerlauf- auf Schub-Mode.

Im vorläufigen Bericht ist eine Seite aus dem Operating Manual abgebildet, das die Verfahren beim Durchstarten beschreibt und da heißt es: „Das Drücken der TO/GA* Schalter ist wirkungslos, so lange der Flieger am Boden ist.“  Sie werden erst wieder freigegeben, wenn das Flugzeug in der Luft ist.

Daraus folgt, dass man nur in der Luft das Durchstarten durch Drücken der TO/GA-Schalter einleiten kann. Dadurch setzt das Auto Flight System Leistung und die Flight Director gehen in den Go-Around Mode. Nach dem Aufsetzen kann das Durchstarten nur manuell eingeleitet werden.

Synopsis

5aEs dauert mehrere Sekunden zwischen Schubhebel Nachvorneschieben und abrufbarer Leistung im Jet-Triebwerk.

Deshalb muss das Setzen von Leistung die erste Aktion beim Durchstarten sein. Beim Steigen ohne gleichzeitige Zufuhr von Schub wird der Flieger gefährlich langsam bis zum Strömungsabriss und so knapp über dem Boden endet dieser im Crash.

Die vom RAAS**-Computer gewünschte Landezone beginnt auf der Bahn dort, wo ein Flugzeug landet, wenn es mit dem üblichen Sink(An)Flug von drei Grad direkt auf die Bahn zufliegt und das ist 1000 Fuß (305 m) ab Bahnbeginn. Die Landezone ist üblicherweise 2000 Fuß (600 m) lang.

5bDer ursprüngliche, erste Touchdown mit beiden Hauptfahrwerken am Boden von Flug EK-521 war sanft und eine normale Landung. Allerdings ist diese so weit von Bahnbeginn und außerhalb der Touch Down Zone entfernt, dass der RAAS-Computer meckert: “Long landing, long landing”. Das erste Aufsetzen erfolgte weiter als 3000 Fuß (915 m) vom Bahnbeginn entfernt. Die Bahn 12L in Dubai aber ist mehr als 4 Kilometer lang und da wäre der Flieger noch zum Stillstand gekommen.

Das Flugzeug flog rund 15 Stundenkilometer schneller als die gewünschte Anfluggeschwindigkeit (vapp). Durch das nach hinten Ziehen des Steuerknüppels wird die überflüssige (kinetische) Bewegungsenergie in Höhe umgewandelt – der Flieger steigt kurzzeitig. Selbst wenn das Flugzeug genau mit Vapp fliegt, fliegt es noch mindestens 30 Prozent über der Stall-Geschwindigkeit – das ist die Geschwindigkeit, unter der ein Flugzeug eben nicht mehr fliegt – und diese zusätzliche Energie kann es nochmals kurzzeitig in Steigen umsetzen. Ohne weiteren Schub aber balloont der Flieger nur und fällt kurz danach mit einem starken Plumps zurück auf die Bahn. Ist dabei das Fahrwerk auch noch eingefahren, dann knallt er ohne Fahrwerk auf die Bahn.

Das Flugzeug prallte nach dem Strömungsabriss mit einer Sinkrate von 900 Fuß pro Minute (4,5 m/s) auf die Bahn und das wäre auch mit Fahrwerk eine extrem harte Landung geworden. Nach offizieller Definition ist jede Landung mit mehr als 600 Fuß pro Minute (3 m/s) Sinkrate eine harte Landung.

Kommentar eines Linienpiloten zur Entscheidung der Emirates Crew Durchzustarten: “Entweder startet man vorher durch, weil man sieht, dass es eng wird. Aber wenn das Hauptfahrwerk links und rechts den Boden bereits sicher berührt hat, und die Bahn ausreichend lang ist, landet man. Die Schubhebel waren im Leerlauf (idle), die Spoiler (Bremsflügel) waren ausgefahren, das Flugzeug war konfiguriert für die Landung. Es gibt einen weiteren RAAS-Callout, der besagt, dass die verbleibende Bahnlänge nicht mehr ausreicht für eine sichere Landung, aber das war hier nicht der Fall.”

5cUnterschied: Airbus- und Boeing-Flugzeuge beim Durchstarten

Bei Airbus-Flugzeugen wird das Durchstartmanöver durch das manuelle Nachvorneschieben des Schubhebels eingeleitet. Damit wird auch der Schub (Thrust) für den Go-Around gesetzt.

Bei Boeing gibt es einen sogenannten TO/GA*- Knopf, der beim Durchstarten von der Crew gedrückt werden muss. Glaubt allerdings der Computer, dass das Flugzeug bereits gelandet ist, dann muss zusätzlich manuell Schub mit dem Schubhebel gesetzt werden. Die Denkweise des Programmierers versucht offensichtlich zu vermeiden, dass ein unbeabsichtigtes Drücken des Schalters am Boden die Triebwerke auf Power setzt.

So wie die Fakten liegen, war sich die Crew nicht bewusst, was genau im Falle eines Aufsetzens oder Durchstartens im Computer passiert beziehungsweise gesetzt ist. Den TO/GA-Schalter zu drücken reicht in diesem Fall eben nicht aus. Man sollte wissen, dass in diesem Fall nach einer Landung zusätzlich manuell Schub gegeben werden muss.

Das Befolgen von Regeln ohne ausreichendem Hintergrundwissen nimmt in der Fliegerei generell zu. (Zitat von Cpt. Sully Sullenberger, der in einem extremen Notfall einen Airbus im Hudson gelandet hat und alle Menschen an Bord durch sein technisches Fachwissen und seine Menschenkenntnis sicher gerettet hat.)


*TO/GA… Thrust für Takeoff und Go Around = Schub fürs Abheben und für Durchstartmanöver

**RAAS… Runway Awareness & Advisory System von Honeywell
RAAS liefert den Piloten Informationen, mit denen sie ihre aktuelle Position überprüfen können. Lufthansa war aktiv an der Entwicklung des RAAS beteiligt.

Ergänzung zum Bericht im Spiegel 35/2016 zur Übermittlung der Daten der Emirates Boeing

Noch vor Veröffentlichung des Vorläufigen Berichtes der GCAA gab es im Spiegel letzter Woche einen eine Seite langen Bericht zur unmittelbaren Datenübermittelung aus dem Flugzeug nach dem Crash. Das wurde da als Zukunftsversion einer idealen Black Box für alle geschildert.

Das stimmt so nicht ganz.

Würde ein Lufthansa-Flieger (was hoffentlich nie passiert!) in Frankfurt crashen, dann würden die Daten auch heute bereits unmittelbar gezielt an die Flugsicherheitsabteilung von Lufthansa geschickt werden, solange der QAR (Quick Access Recorder) Computer noch Strom hat. QAR sammelt die gleichen Daten wie die Black Box zur statistischen Auswertung der Flugdaten. QAR ist im Gegensatz zur Black Box nicht Crash geschützt.

Früher wurden die Daten auf CDs gespeichert. Sobald die Festplatte bis zu einem bestimmten Wert voll geschrieben war, wurde eine CD erstellt und diese manuell getauscht. Das war umständlich. Die Technik ändert sich.

Mittlerweile werden die Daten per Handynetz versandt. Das allerdings aus Kostengründen nur, wenn der Flieger im Heimatland am Boden ist.


Kommentare

21 Antworten zu „Dubai Emirates 773 Absturz – Zwischenbericht“

  1. Hört sich nach einem klassischen Pilotfehler an.
    Weiß man wieviele Flugstunden der Pilot für diesen Flugzeugtyp hatte?

    1. Ja. Das weiß man nach jedem Unfall sofort.
      PF, also Pilot Flying, war der Kapitän, links sitzend und der hatte:
      Total flying time (hours) 7457.16
      Total on this type (hours) 7128.20
      Total last 90 days (hours) 194,4
      Total on type last 90 days (hours) 194,4
      Total last 7 days (hours) 13,56
      Total on type last 7 days (hours) 13,56
      Total last 24 hours (hours) 3,59

  2. gedankenknick

    Was mich beim Lesen dieser Zusammenfassung stark verwundert hat, ist, dass das Hauptfahrwerk scheibar direkt nach dem Einleiten des Hochziehens der Maschine eingefahren wurde – also direkt nach dem es den Bodenkontakt verlohren hat. Ist dieses Verfahren Standardprozedur, oder weicht diese Durchführung vom Manual ab?

    Hintergrund zu meiner Frage sind zwei Punkte (neben meinem Unwissen):
    1) Physik: Durch das Einziehen des Fahrwerks sinkt der Luftwiderstand, so dass die Beschleunigung leichter fällt. Wäre es aber nicht sinnvoller, statt des Fahrwerks lieber die Landeklappenstellung zu korrigieren betreffend des Luftwiderstands, oder verringert man dann den Auftrieb zu stark?
    2) Sicherheitsaspekt: Das Fahrwerk dient meines Wissens nach bei Unfällen als Stoßdämpfer – einerseits durch eben die verbauten Stoßdämpfer, andererseits aber auch durch den Energieabbau bei Bruch des Fahrwerks. Wäre es bei einem Durchstart-Manöver ala „Touch&Go“ nicht schon deshalb sinnvoller, das Fahrwerk ausgefahren zu lassen, um bei einem unerwarteten Strömungsabriss (Scherwinde, Böen etc.) diese Sollbruchstelle als zusätzliche Sicherheitspuffer zu benutzen?

    Ich kenne Touch&Go-Manöver eigentlich nur aus dem Militärbereich bei Flugzeugträgerpiloten, die auf diese Weise den Notfall des „Fanghaken-greift-nicht“ üben müssen – erst an Land, und dann auch auf dem Träger. Gibt es eine Vorschrift, dass Zivil-Piloten regelmäßig T&G durchzuführen haben? *) Wenn ja, mit welchem Hintergrund?

    *) Bei Wasserflugzeug- und Flugbootpiloten verstehe ich es schon. Bei Jet/Turboprop-Pasagierlinienmaschinen verstehe ich es nicht so ganz.

    1. Generell ist alles, was unaerodynamisch am Flugzeug draussen „herumhängt“ wie ein Fahrwerk, eine Bremse beim Steigen.
      Es hängt aber vom Grund des Durchstartens ab und kann durchaus Sinn machen – wenn ich sicher genug Sprit und Power habe –, das Fahrwerk draussen zu lassen (etwa, wenn es vorher geklemmt hat und man sich nicht darauf verlassen kann, dass es erneut korrekt ausfährt und einrastet…)

      Trotzdem muss immer die allererste Reaktion bei einem Durchstartmanöver das Gasgeben, Schubsetzen, sein. Ich will ja an Höhe gewinnen, weil irgendetwas (auf der Landebahn oder am Flugzeug oder der Wind …) das Landen gerade verhindert hat. Der Boden/Landung ist also gerade unsicher, ich will da weg, an Höhe gewinnen und das schnell.

      Das Schubsetzen haben die Piloten ja ihrer Meinung nach mit dem Drücken des TO/GA Buttons gemacht. Es hat es nur in der Realität nicht bewirkt, weil ihnen die Systemkenntnisse dazu nicht bewusst waren.

      1. Mir erschliest sich der Sinn dieses TO/GA switches nicht ?
        Als nicht Flieger dachte ich immer beim Durchstarten erstmal „pedal to the metal“. Den Rest also Klappen , Fahrwerk dann später ? Irgentwie entkoppelt dieser button ja den Schubhebel vom Triebwerk. Also in gegebener Situation ?

  3. Welche Hebel und Knöpfe in welcher Reihenfolge zu bedienen sind, entscheiden viele Menschen – darunter sicher auch erfahrene Piloten – aber ganz sicher niemals Programmierer!

    1. Nun, offensichtlich wissen nicht alle Piloten immer, was das Drücken in der vorgegebenen Reihenfolge tatsächlich bewirkt und wie die einzelnen „Faktoren“ im System vom programmierten Computer gerade gesetzt sind. Auch wenn die Menschen bewußt entscheiden (oder nach einer vorgegebenen Checkliste abarbeiten), was sie wann „drücken“/setzen.

      Entspricht, wenn man mit Ausbildnern unterschiedlicher Fluglinien und Flugzeugtypen spricht, leider der Realität.

  4. Flugkapitän

    @gedankenknick
    Beim Durchstarten wird erst Gas gegeben
    Dann die Klappen eine Raste eingefahren. Das verringert den Widerstand (ist also gewollt) verringert aber auch etwas den Auftrieb ( ungewollt, aber in Kauf genommen)
    Wegen des Auftriebverlustes soll aber bei Gefahr des Bodenkontakts auch mit den Klappen gestartet werden
    Dann, wenn der Flieger sicher steigt, wird das Fahrwerk eingefahren.
    Das verringert im Endeffekt den Widerstand erheblich. Bei Beginn des Fahrcycles erhöht sich aber der Widerstand, da zunächst die Gear Doors aufgehen. Diese Erhöhung kann man aber nicht gebrauchen. Deshalb: Fahrwerk erst, wenn der Flieger sicher steigt!!!

    Ansonsten: gedankenknick hat recht: das Fahrwerk ist ein guter Energieabsorber, auch, wenn es bricht.

  5. 2xhinschauen

    >> Fahrwerk einfahren / Luftwiderstand
    Anfang der 70er Jahre ist eine LH B747 kurz nach dem Abheben in Nairobi abgestürzt, weil infolge einer langen Ursachenkette nicht genügend Auftrieb für den Steigflug zur Verfügung stand. Der Spiegel hatte damals, nach Ende des Strafprozesses(!) gegen Kapitän und Flugingenieur, eine lange Geschichte darüber.

    Der letzte „Fehler“ in der Kette (ich traue mich nicht, das ohne Anführungszeichen zu schreiben, und hier schon gar nicht) war das Einfahren des Fahrwerks zum Verringern des Luftwiderstands. Das Flugzeug flog m.W. zu diesem Zeitpunkt gar nicht richtig, sondern ritt auf dem Ground Effect (einer Art Luftkissen unter den Flügeln, das in niedriger Höhe zwischen Boden, Klappen und Flügelunterseite existiert). Die Fahrwerkklappen gehen auf und erhöhen minimal, aber ausreichend den Luftwiderstand, und das war’s dann.

    Eine Lehre aus diesem Unfall (die Flugsicherheit beruht ganz erheblich auf intensiv betriebenem Erfahrungslernen) ist, dass punktuelle Sicherheitsvorkehrungen („mein Teilsystem funktioniert“, „mein Handbuchkapitel ist korrekt“) längst nicht (mehr) genug sind. In der Nairobigeschichte sind nacheinander dermaßen viele „Fehler“ passiert, von denen jeder einzelne kein Problem war und doch die Vermeidung eines einzigen davon den Absturz verhindert hätte.

    Die spannende Qualitätssicherungsfrage ist, wie man der Gesamtverantwortung sozusagen in Längsrichtung der Prozesse (also auch der Fehlerketten) gerecht werden kann. So wie es aussieht, liegt diese am Ende (böser trauriger Doppelsinn) immer bei der Crew, weil sie die letzten (nochmal sorry) Entscheidungen treffen müssen, oder hätten treffen müssen.

    In der Diskussion über automatisches Fahren ist gerade ein Paradigmenwechsel im Gespräch – vollautomatisches Fahren muss so sicher sein, dass die Hersteller pauschal haften – die uns in der Fliegerei auch bald bevorsteht. Meine persönliche Erwartung ist, dass das nicht mehr lange dauert, ein oder zwei Jahrzehnte vielleicht.

  6. Flugkapitän

    @2xhinschauen
    Auch hier war es eine Verkettung von mehreren Fehlern.
    Hätte die Crew zuerst maximalen Schub gesetzt, dann wäre sie mit dem zu frühen Fahren des Fahrwerks „davongekommen“. Das traurige ist, dass die Handlung der Crew auf erschreckende Weise offenbart, dass sie von den fliegerischen Basics keine Ahnung hat. Zu einer Pitch (Anstellwinkel) gehört auch immer die richtige Power. Macht man nur eines, ohne das andere wenigstens zu checken, wenn man sich schon blindlings auf die Automation verlässt, dann offenbart man, dass man schlicht inkompetent ist.
    Mit dem Höhenruder eines jeden Flugzeugs steuert man nicht nur die Pitch, also den Anstellwinkel, sondern auch den daraus resultierenden Widerstand und damit die Geschwindigkeit des Flugzeugs. Wenn man das mal verinnerlicht hat, dann wird man nicht blindlings soviel ziehen, dass die Geschwindigkeit derart zurück läuft, dass man den Flieger in den Stall zieht. Doch dafür benötigt man eine solide Ausbildung. Im Idealfall wird diese Ausbildung dann auf 99% der Flüge nicht benötigt. Aber für den Idealfall ist die Crew nicht da. Sie muss in der Lage sein in einem dynamischen Umfeld auch plötzlich richtig reagieren zu können.
    Doch es sind immer mehr Manager nicht mehr bereit, eine Crew so auszubilden und dann auch ordentlich zu bezahlen. Man möchte alles bis ins letzte Detail in starren Verfahren regeln und sucht dann billige „Regelbefolger“ die besser nicht selbstständig denken. Als nächstes ersetzt man dann die Regelbefolger durch weitere Automation. Was dabei allerdings vergessen wird, ist die Tatsache, dass ein Auto im Zweifel einfach stehen bleiben kann, wenn es nicht mehr weiter weiss. Beim Flugzeug geht das nicht. Man muss, wenn man ehrlich ist, dann eingestehen, dass ab und zu ein Absturz in Kauf genommen werden muss. Zu den dabei entstehenden Kosten wird die Ausbildung und Bezahlung von guten, qualifizierten Piloten gegengerechnet. Sobald der BWLer zu dem Ergebnis kommt, dass der Totalverlust und die „Reparationszahlungen“ billiger sind, dann wird es das vollautomatische Flugzeug geben. Bei den „Regelbefolgern“ sind wir zum Teil schon. Traurig, aber war.

  7. 2xhinschauen

    @Flugkapitän
    Danke. Ich stimmt Dir zu, dass kein Pilot, erfahren oder nicht, seine Maschine einfach so in den Stall ziehen darf, schon gar nicht in Bodennähe Das klingt wie ein zu unglaublicher Anfängerfehler. Ich bin mit der (damaligen) Situation in Nairobi nicht vertraut, vielleicht kam da ein Hindernis auf sie zu. D’accord, dass sie noch mehr Gas gebraucht hätten, wenn sie mit Takeoffpower, aber ohne Vorflügelklappen nicht die Speed zum Steigen mit dem verfügbaren Auftrieb hatten und einfach weiter Horizontalbeschleunigen nicht ging.

    Ansonsten waren das sehr viele Themen bei Dir, und Nairobi war eh schon weitgehend offtopic. Ich stimme Dir in einigem zu, in anderem nicht so. Aber ich riskiere mal lieber kein ungeduldiges Fingertrommeln von Helga, wenn wir das alles hier ausbreiten… 🙂

    1. Metabeitrag des Moderators (der hier auch nicht weiter diskutiert/kommentiert wird):
      Fachlich könnt ihr gerne zu einem Beitragsthema diskutieren so kontrovers wie ihr wollt…
      Nur jemand anderem (!) etwas in den Mund zu legen, eine Ansicht oder Absicht zu unterstellen (noch dazu einem Toten!), oder jemanden als Sesselpupser (!) zu betiteln, ist unter dem Niveau dieses Blogs…
      Also gerne bitte weiter so zum Fachlichen…
      Passt scho…
      🙂

  8. 2xhinschauen

    Also gut, wenn der rote Teppich schon daliegt, aber ich schreibe äußerst holzschnittartig, damit es kurz bleibt. Mir ist klar, dass meine Meinung nicht jede/r teilen wird.

    #1 „Früher“ war im Flugzeug alles mechanisch und fast nichts elektrisch, hydraulisch oder pneumatisch. Die Zuverlässigkeit jedes Teilsystems war medioker, und die Piloten haben richtig fliegen und navigieren gelernt, ganz hart die Physik, Meteorologie, Trigonometrie usw. Und immer war ein Ingenieur dabei, dessen Job es war, die Maschine komplett zu verstehen.

    #2 Wenn was kaputtging, wusste man meist sofort, was, und man hatte die 20 oder 30(?) Abnormals und Emergencies trainiert, mit denen man rechnen konnte und auch oft musste.

    #3 Wegen der relativen Unzuverlässigkeit der Technik und dem sich nur schrittweise aufbauenden Erfahrungswissen der Gesamtbranche (Konstrukteur, Wartung, Airlines, Piloten,…) hatte man aber viel mehr Gelegenheiten, was falsch zu machen, und oft genug machte man das dann auch falsch.

    #4 Seitdem sind alle Systeme immer zuverlässiger geworden.

    #5 Das fortschreitende Erfahrungslernen (Konstruktion, Bau, Procedures,…) floss, parallel zum technischen (elektronischen, digitalen) Fortschritt, der das möglich machte, in die fortschreitende Automatisierung, und diese verschränkten Entwicklungen haben das Fliegen pro Jahr und pro Passagierkilometer immer sicherer gemacht.

    #6 Parallel dazu wurden Piloten immer weniger „Flieger“ im o.a. Sinne und immer mehr „Systemmanager“. Leider hat sich die Anzahl der Möglichkeiten, was kaputtgehen kann, potenziert, während sich die Chancen, einen Fehler überhaupt zu erkennen, geschweige denn richtig, verringert haben.

    #7 Ergo ist die Menge an verschiedenen Fehlern, die ein Pilot machen kann, viel größer als früher, während die Anzahl der tatsächlichen Gelegenheiten, überhaupt Pilotenfehler zu begehen, immer weiter zurückgeht, auch pro Pilotenleben, zumal ja zunehmend auch die Fehlerbehandlung automatisiert wird.

    #8 Es wird zurecht beklagt, dass die heutige Pilotenausbildung viel zuwenig auf die Notfälle eingeht, in denen Physik, Fliegen, Navigieren, Technikbeherrschung (statt -bedienung) notwendig sind. Nur, das geschilderte Dilemma macht das m.E. auch praktisch unmöglich.

    #9 Das Heil liegt in weiterer Automatisierung und in der weiteren Elimination der Gelegenheiten, Fehler zu begehen. In der Folge wird also auch sowas wie „LH 5X, descend 5000, turn left 220 until established“ – „Frankfurt Approach, 5000, 220, 5X“ und „Flaps 20“ – „Flaps 20 is set“ usw usw ebenfalls verschwinden. Alles nur Fehlerquellen.

    #10 Das Problem bei der Automatisierung liegt ganz allgemein nicht in unbeherrschbarer Komplexität (die Entwicklung passiert schrittweise und Lernergebnisse werden eingebaut) oder gefährlichem Wetter oder Kühen auf der Runway, sondern im Umgang mit nicht-algorithmischen Entscheidungsträgern – Menschen.

    #11 Vollautomatisches Fliegen wäre jetzt schon technisch möglich, und im Vergleich mit vollautomatischem Fahren ist es technisch gesehen ein Kindergeburtstag, u.a. wegen der viel geringeren Verkehrsdichte und weil fast alle Verkehrsteilnehmer ausgebildete und disziplinierte Profis sind. Und in fast allen Situationen fliegt ein Flugzeug beim Auftreten von Schwierigkeiten erstmal weiter und verschafft dem Entscheidungsträger an Bord Zeit für seine Reaktionen.

    #12 Im Vergleich dazu hat ein Fahrcomputer permanent Alarm und die meisten Reaktionen müssen zudem instantan erfolgen. Die Sache mit dem „einfach stehenbleiben“ wird der Realität nicht gerecht. Das wird erst nach Totalvernetzung aller Fahrcomputer besser (á la Flugsicherung, in der Fliegerei gibts die ja schon) und dann, wenn es keine selbständig handelnden menschlichen Verkehrsteilnehmer mehr gibt. Also nie.

    Nein, ich bin kein Controller o.ä., aber selbst auch kein Pilot. Ich extrapoliere nur, was ich sehe, und in der Extrapolation ist der Linienpilot ein aussterbender Beruf ebenso wie der des Autofahrers. Auto-Fahren ist komplexer als Auto-Fliegen, aber wegen des Klumpenrisikos und ernstzunehmender menschlicher Ängste wird es beim Fliegen länger dauern, aber nur wenige Jahrzehnte ab heute, während schon bald die erste Stadt bis auf den Lieferverkehr u.ä. (nur für speziell trainierte Fahrer) das manuelle Fahren im Innenstadtbereich komplett verbieten wird. Man pfeift sich per App den Carsharing-Fahrcomputer herbei, den man gerade braucht und zahlt pro km. 90% weniger Autos und Abgase in der Stadt, und Parkplätze werden wieder Parks.

    Ok, war jetzt doch nicht so kurz wie erhofft, und sicher starker Tobak. Bin jetzt eine Woche offline und kann erstmal nicht weiterdiskutieren, aber ich komm zurück und freue mich auf die Debatte. Womöglich hab ich ja auch unrecht, hier und da.

    1. Remark hkl:
      habe mir erlaubt, die #-Zeichen von 2xhinschauen durchzunummerieren, um es den anderen Kommentatoren leichter zu machen, gezielt zu antworten.

  9. gedankenknick

    Ich wollte mich noch für die Antworten bedanken. Fachlick unkundig wie ich bin habe ich die Fahrwerksklappen und Vorflügelklappen mal wieder total verdrängt und in meine Überlegungen gar nicht einbezogen.

    Dass das Fahrwerk erst eingezogen werden sollte, wenn man sicher beschleunigt, hatte ich auch so vermutet. Wobei sich mir die nächste Frage stellt: Gibt es ein Messgerät ähnlich dem Variometer, welches via Trägheitsnavigation bzw- -messung die Beschleunigung in der Längsachse (positiv/negativ) anzeigt? Mit so einer Anzeige ließe sich ja relativ leicht abschätzen, ob der gewünschte Vorschub auch von den Triebwerken umgesetzt wird…

    Dass das Fahrwerk als zusätzliche Sollbruchstelle dienen könnte, habe ich mir mal beim Militär entliehen, wo bei Hubschraubertypen wie dem AH64 und den SH60 das (teilweise einziehbare) Fahrwerk extra als Zusatz-Schutz konzipiert (und so auch mal kommuniziert) wurde.

    Was mir noch durch den Kopf ging – und ich möchte jetzt keine Spekulationen meinerseits als Wahrheit hinstellen – so der Pilot ursprünglich mal militärisch ausgebildet wurde könnte das Touch&Go-Manöver eine antrainierte Reaktion gewesen sein auf die (in diesem Fall irreführende) Warnmeldung des zu späten Aufsetzpunkts. Unter Berücksichtigung der fälschlich angenommenen „Vollgasautomatik“ erscheint mir dann auch das sofortige Einziehen des Fahrwerks folgerichtig. Aber wohlgemerkt – nur Überlegungen eines Laien.

    @Helga Kleisny: Sollte meine Überlegung unpassend sein, bitte ich um Änderung. 😀

  10. 2xhinschauen

    @Helga
    Danke fürs Numerieren, gute Idee

    @Gedankenknick
    Neuere Flugzeuge so ab den 80ern haben in der Tat vatiometerartige Anzeigen im PFD (primary flight display) für Geschwindigkeit,, Höhe und Kurs. Da werden Dir geeignete Linien angezeigt, wo diese Werte in einigen(?) Sekunden sein werden, wenn Du unverändert weiterfliegst wie gerade jetzt. Äußerst nützlich beim manuellen Fliegen, aber im Prinzip natürlich dieselbe Info, die der Autopilot auch hat, um seine Aktionen der nächsten Sekunden zu planen.

  11. Schöner Artikel. Nur 30 % Geschwindigkeit = 30 % Energie sollte man raus nehmen.

    1. Korrekt. Die Geschwindigkeit geht quadratisch in die kinetische Energie ein. Danke. Geändert.

  12. gedankenknick

    @2xhinschauen
    Danke für diese Information, diese Anzeige war mir bisher nicht bekannt. Auch bei Wiki habe ich spontan keine solche Anzeige für Geschwindigkeitsänderung (ich nenns jetzt mal lax „Beschleunigungsmesser“) gefunden. Die Bildersuche beim Gockel brachte ein analog-g-Meter für Kunstflug im klassischen Instrumentenbrett-Design, welches +10 bis -4g anzeigt, was wohl aber in Passagiermaschinen nicht fein genug auflösen dürfte für eine sinnvolle Nutzung.

    Das Problem ist m.E., dass man, selbst wenn man Dinge wie eine „Vollgasautomatik“ nutzt, im Falle eines manuellen Eingreifens ja trotz der (Teil)Automatisierung ab dem Augenblick des Eingreifens/Übersteuerns manuell fliegt. (Ein ähnliches Problem hat ja „Tesla“ mit seinem „Autopilot“ genannten Assistenssystem. Das Ding läuft ja definitiv nicht vollautomatisch.) Mir ist in diesem Zusammenhang die Diskussion bei der Einführung des Fly-by-wire-Sidesticks bei Airbus in Erinnerung, dass damals ein „Schnellzugriffknopf“ am Sidestick diskutiert wurde, mit dem der Pilot alle Automatiksysteme (bis auf die Fluglagesteuerung) auf Schlag deaktivieren konnte. Ob dies aber so umgesetzt wurde, ist an mir (leider) vorbei gegangen…

    Um so bedrückender finde ich dann den Unfallhergang, so die Maschine mit solch einem (leicht ablesbaren) Beschleunigungsmesser ausgerüstet war. Wenn letzthin eine Instrumentenablesung gereicht hätte, um zu ermitteln, ob die Maschine (unabhängig von der Steig-/ Sinkrate) positiv beschleunigt, die Geschwindigkeit beibehält oder negativ beschleunigt, wär der Erfolg der Steuermaßnahme (Nutzung des TO/GA) doch direkt nachzuvollziehen gewesen, auch wenn die Triebwerke einige Sekunden brauchen, um der Schuberhöhung nachzukommen. Dies im Zusammenhang, dass die Landebahn ja noch wenigstens 1/2 nicht „aufgebraucht“ war und ein sofortiges (starkes) Hochziehen damit noch nicht wirklich nötig gewesen wäre, gibt mir Stoff zum darüber nachdenken…

    Die Unfallermittlung wird hoffentlich zeigen, ob gegebenenfalls noch andere Probleme / Fehlfunktionen / Missverständnisse zum Unfallhergang beitrugen.

    1. 2xhinschauen

      @gedankenknick
      Doch ein Moment online aber zuwenig bandbreite zum bildersuchen. nein es ist kein beschleunigungsmessgerät, die analogie zum variometer geht soweit nicht. nur der zweck ist derselbe. such mal „primary flight display“. da siehst du links die vertikale geschwindindigkeitsanzeige, da läuft so eine art maßband unter einer markierung durch, die die aktuelle indicated air speed anzeigt. wahrscheinlich sieht man auf einigen bildern auch einen senkrechten strich oder pfeil, der auf den wert zeigt, den du in n sekunden erreichst, wenn du nichts tust. ist kein messwert, sondern nur eine rechnerische extrapolation, aber wohl genauso nützlich. entsprechend geht das für kurs und höhe.

      ob es einen „los alle computer husch ins körbchen“-knopf gibt, weiß ich nicht. man kann wohl alle assistenzsysteme einzeln ausmachen. *räusper fast alle, denn die übermittlung der steuereingaben vom cockpit zu den steuerflächen usw geht m.w. zumindest in den airbussen nur noch elektronisch d.h. nicht mehr rein elektrisch.

  13. Flugkapitän

    @ Tomtoo
    Die TOGA Knöpfe befinden sich an den Trust-Levern, oder Throttle, wie Boing sie noch immer nennt (Gashebel). Solange das komplette Auto-Flight-System eingeschaltet ist, leitet man durch Drücken dieser Knöpfe das Durchstarten ein.

    Auto-Pilot und Flight-Dirctor gehen dabei in die Go Around Modi (in der Pitch wird die Go Around Geschwindigkeit geflogen und im Roll wird zunächst geradeaus bzw. der Missed Approach Track geflogen. Die Trust-Lever werden vom Autothrust nach vorne geschoben und es wird Go Around Schub gesetzt (bei der 777 wird durch einmaliges Drücken soviel Schub gesetzt, dass der Flieger mit 2000 Fuß/min steigt.

    Zweimaliges Drücken bewirkt Vollgas. Mit dem Drücken der Toga Knöpfe wird also bei automatischen Flug der automatische Go Around eingeleitet.

    Wenn der Autopilot schon ausgeschaltet war (z.B. Bei einer manuellen Landung), dann gehen nur der Flight-Director und der Autothrust in den Go Around. Fliegen, also dem Flight/Director folgen, muss man dann selber.

    Spätestens mit dem Aufsetzen des Hauptfahrwerks wird dann auch der Autothrust deaktiviert.
    Wird jetzt der Toga Knopf gedrückt, dann schaltet man nur den Flight-Director. Gasgeben und Fliegen muss man nun selber. Das macht absolut Sinn, denn das Auto-Flight-System ist nicht für einen Take Off oder für ein Touch and Go gemacht.

    PS hier ein Foto das den Speed Trend Vector zeigt:

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

Blog per E-Mail folgen

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten.
Blogbeiträge werden in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht.

Entdecke mehr von FlugundZeit

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen