Weil mir gerade bei einem anderen Beitrag Wind Shear fälschlicherweise mit Seitenwind übersetzt wurde, gibt es jetzt einen allgemein verständlichen Beitrag dazu. Keine wissenschaftliche Abhandlung, alles ist zum Nachvollziehen stark vereinfacht.
Und irgendwie hatte ich erwartet, dass die Frage kommt, warum denn die Dubai Emirates 773 eine so lange Landung in die Bahn hinein gemacht hat. Der Grund, waren die Windscherungen, die der Crew von der Wettervorhersage (ATIS) bekannt waren.
Von der Definition her passiert eine Windscherung dann, wenn sich der Wind auf kurzer Distanz in Richtung und/oder Stärke ändert.
Das ist für alle Luftfahrer gefährlich, für Flugzeug-Piloten vor allem in Bodennähe, also beim Starten und Landen. Für BASEer und Wingsuit-Flieger auch im freien Fall und generell für Fallschirmspringer in Bodennähe beim Landeanflug. Wind Shear ist in den Bergen und in der Stadt (viele eng stehende hohe Gebäude) ein Faktor, den BASEer berücksichtigen müssen. Das Problem daran ist, dass man Wind Shear, wenn er sich nicht als Windhose, die Staub mit sich bringt, manifestiert, nicht sieht.
Als Pilot/Luftfahrer startet und landet man üblicherweise möglichst gegen den Wind, Wind kommt einem also von vorne entgegen. Und nun gibt es einen kleinen Einschub.
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Luft ist ein Medium und nicht Nichts. Man sieht sie zwar normalerweise nicht wie Wasser, aber im Prinzip bewegen wir uns innerhalb der Luft ähnlich wie im Wasser. Gegen Widerstand: Jedes Objekt, das sich durch eine Luftströmung bewegt, erfährt eine Kraft entgegen der Bewegungsrichtung.
Auf jedes fliegende Teil, im weiteren vereinfacht Flugzeug genannt – wirken vier Kräfte: nach unten die Schwerkraft (1), nach vorne der Schub (2), nach hinten zieht der Luftwiderstand (3) und nach oben der Auftrieb (4).
Wenn Schub und Auftrieb so groß sind, dass Schwerkraft und Widerstand überwunden werden, hebt das Flugzeug ab (nach vorne und oben).
Soweit die Theorie. In der Praxis wirkt sich gerade bei geringen Geschwindigkeiten** zusätzlich der Wind in Richtung und Stärke aus. Das Landen des Flugzeugs erfolgt immer mit möglichst geringer Geschwindigkeit.
Idealerweise setzt der Flieger leicht über seiner Stall Geschwindigkeit auf. Wenn er dabei in den Wind landet ist seine Ground Speed (Geschwindigkeit gegenüber dem Boden) nochmal um die Windgeschwindigkeit geringer und der Bremsweg damit kürzer. Gleiches gilt für den Start. Beim Start beschleunigt das Flugzeug auf eine Geschwindigkeit von etwa 20 Prozent über der Stall-Geschwindigkeit. Wenn es gegen den Wind startet, dann hebt es mit einer geringeren Geschwindigkeit gegenüber dem Boden ab. Die Beschleunigungsstrecke war kürzer.
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*Stall Speed ist die Geschwindigkeit, bei der das Flugzeug in dieser Fluglage (Kurve, Geradeausflug, Steigen…) gerade noch sein Gewicht als Auftrieb produzieren kann.
Stall Speed ist also die Geschwindigkeit, bei der die Tragflächen mit maximalem Anstellwinkel gerade genug Auftrieb liefern, um das Gewicht des Flugzeugs in der Luft zu tragen.
Erhöht man den Anstellwinkel weiter (zieht man also die Flugzeugnase weiter in den Himmel) reißt die Strömung ab. Da dies meist nicht symmetrisch auf beiden Seiten gleich geschieht, kippt das Flugzeug über eine Fläche (rechts oder links) ab.
Hat das Flugzeug vertikal genügend Luft = Raum zwischen sich und dem Boden, lässt sich der Strömungabriß durch geeignete Flugmanöver wieder rückgängig machen. Das allerdings braucht Zeit, also Höhe, und die ist in Bodennähe nicht gegeben.**
**Es gibt beim Fliegen viele Arten der Geschwindigkeit: die gegenüber dem Boden (für die Reise interessant), die Airspeed gegenüber der umgebenden Luft (für den Flugzustand relevant) und weitere.
Was für uns hier interessant ist, ist die Geschwindigkeit gegenüber Luft.
Damit das Flugzeug in der Luft bleibt, muss der Auftrieb größer als die nach unten ziehenden Kräfte sein. Der Auftrieb hängt von der Geschwindigkeit und dem Anstellwinkel/Anströmungswinkel der Tragflächen ab.
Fliegt man sehr schnell, braucht man nur einen kleinen Anstellwinkel. Wenn man langsamer fliegt, braucht es einen größeren Anstellwinkel, um den gleichen Auftrieb zu erzeugen.
Das geht solange, bis man so langsam ist, dass man den maximalen Anstellwinkel erreicht hat. Wird man nun noch langsamer, dann verursacht die weitere Erhöhung des Anstellwinkels, dass die Strömung der Wölbung der Fläche nicht mehr folgen kann, und „abreißt“. Sie verwirbelt nun hinter der Flächenvorderkante und der Auftrieb bricht zusammen.
Bei Start und Landung ist die Fluglage des Flugzeugs in der Nähe dieses maximalen Winkels, dieser minimalen Geschwindigkeit. Ändert sich nun plötzlich die Windgeschwindigkeit, dann kann das problematisch werden.
Windscherungen treten auf:
- wenn sich Luftschichten in verschiedenen Höhen verschieden schnell bewegen. Steigt oder sinkt man durch die Höhenbänder, dann ändert sich sowohl die Richtung, als auch die Geschwindigkeit der Luft abrupt
- wenn Fallwinde auf den Boden treffen, da sie dann horizontal abgelenkt werden. Fliegt man da durch, erhöht sich zunächst die Geschwindigkeit, da einem die Luft nun „entgegen“ kommt. Nach Durchfliegen des Kerns kommt sie aber nun plötzlich von hinten und man verliert an Geschwindigkeit.
- bei einer sich ablösenden Thermikblase (heiße Luft) ist es genau andersrum.
- wenn Wind durch geographische Besonderheiten (Berghang, Baumreihe, hohe, breite Gebäude) abgelenkt wird.
- Wind dreht in Bodennähe auf den letzten 1000 Metern über Grund in der Regel immer. Das liegt an folgendem: Luft strömt vom Hoch zum Tief. So entsteht Wind. In großen Höhen wird er dabei von der Coriolis Kraft abgelenkt. Am Boden hingegen wird diese Ablenkung und die Geschwindigkeit durch die Reibung der Luft am Boden abgebremst. Auf der Nordhalbkugel bedeutet das, dass der Wind im Sinkflug von 1000 Meter über Grund zum Boden hin um 30 Grad nach links dreht und an Stärke abnimmt. Auf der Südhalbkugel dreht er entsprechen nach rechts. Habe ich nun noch Turbulenz (z.B. durch geographische Besonderheiten, Thermik, Gewitter, Starkwind) dann kann es vorkommen, das der Wind der in 1000 Meter herrscht, auf den Boden „durchschlägt“, also die Richtung um 30 Grad dreht und damit die Geschwindigkeit zulegt. So kann ganz plötzlich aus einer Gegenwind- eine Rückenwindkomponente werden.
Vielleicht ist das noch interessant dazu:
Ein Pilot erklärt, wie man sich da rein technisch verhält, den Unterschied zwischen Warnung und tatsächlichem Eintreten.