Knapp an der schwersten Katastrophe der Luftfahrt vorbei

Screenshot CBS

Reißerische Titel sind normalerweise nicht so das Meinige. In diesem Fall aber ging die Tage ein Ereignis in der Berichterstattung der hiesigen Medien komplett unter, das zumindest in den USA heftig diskutiert wurde. Und das sollte es – auch hierzulande.

Der Flughafen in San Francisco war letzte Woche erneut Schauplatz einer abnormen Fast-Landung. Diesmal trennten allerdings glücklicherweise 30 Meter das Durchstarten vom Crash mit mehreren hundert Toten und Verletzten. 30 Meter zwischen: „nochmal alles gut gegangen“ und der Katastrophe.

Screenshot aus einem Video der Simulation des Vorfalls von CBS*. Allerdings steht im Original Video ganz vorne ein Flugzeug bereits über dem Roll-Haltepunkt an der Bahn. Dies entspricht nicht den Tatsachen, ist falsch, und wurde hier wegretouchiert. (hkl)

Freitag, 7. Juli 2017 abends. Es war bereits dunkel und der A320 von Air Canada 759 war auf einem Sichtanflug auf den Flughafen San Francisco International (SFO). Nur leider mit Anflug auf den mit zum Start wartenden Flugzeugen dicht gepackten Rollweg statt auf die freigegebene Landebahn 28 rechts.

Air Canada C-FKCK war auf dem „Quiet Bridge Visual“ Anflug. Dieser wird auf dem Radial 095 (also Anflugkurs 275) durchgeführt und somit nähert man sich in einem Winkel von 9 Grad der Runway, welche auf 284 Grad ausgerichtet ist. Man befindet sich also zunächst links der Anfluggrundlinie der Runway und schneidet bei der Annäherung an diese zunächst die Verlängerung der Achse des parallelen Taxyway „C“.

Eigentlich kann man im Dunkeln bei guter Sicht Rollwege (Taxiways) und Start-/Landebahnen (Runways) gut unterscheiden, denn die Runway-Befeuerung hat weiße Mittellinien-Lichter, während die Taxiways in der Mitte grell grün leuchten. Auch die Edge-Lights, also die Lichter am rechten und linken Rand, sind anders. Nämlich: Bei einer Runway ebenfalls weiß und beim Taxiway blau.

Die Runway erkennt man auch an der rechts und/oder links des Aufsetzpunktes vorhandenen visuellen Gleitweg-Befeuerung (PAPI). Außerdem führt die Anflugbefeuerung genau zur Bahn.

Wie es zu einer Verwechselung von Rollweg und Start-/Landebahn kommen kann, ist also schwer vorstellbar, aber anscheinend nicht unmöglich.

Was man allerdings schlecht im Dunklen erkennen kann, sind stehende oder rollende Flugzeuge. Denn beim Rollen sind aus guten Gründen (Blendung anderer am Boden befindlichen Flugzeuge oder Fahrzeuge) die sehr hellen Landelichter ausgeschaltet. Lediglich die Positionslichter leuchten. Bewegt sich das Flugzeug, kommen noch das Taxi Light und die so genannten Turn Off Lights hinzu.

Kommt man also von hinten auf ein Flugzeug zu, sieht man nur genau ein weißes Licht am Rumpfende oder jeweils ein weißes Licht an den Flügelenden – vor dem Hintergrund der vielen weißen Lichter am Flugplatz kaum zu erkennen.

Von der Seite kommend sieht man entweder ein rotes (wenn man auf die linke Seite des Flugzeugs schaut) oder eine grünes (rechte Seite) Licht. Von vorne sieht man beide Positionslichter und gegebenenfalls das Taxi Light, welches wie das Abblendlicht eines Autos den Rollweg voraus beleuchtet. Um scharfe Kurven zu rollen, gibt es dann noch die Turn Off Lights, die ungefähr im 45 Grad-Winkel nach rechts und links leuchten. Sozusagen wie Kurvenlichter bei Autos.

In der Praxis sieht man zum Beispiel ein voraus gelandetes Flugzeug auf der Landebahn nur dadurch, dass es die Runway Lights abdeckt, und sich dieses Loch in den Lichtern fortbewegt.

Dass von der Air Canada Crew also nur vereinzelte Lichter anstatt der Flugzeuge gesehen wurden ist also verständlich. Bleibt nur die Frage. Warum die verschiedenen Beleuchtungen von Taxiway und Runway verwechselt wurden, und warum nicht zusätzliche Hilfsmittel, wie zum Beispiel der Landekurssender mit beobachtet wurden, um die Position im Raum genauer zu bestimmen.

Die schwarzen Linien rechts im dunkelgrünen Wasser sind die Anflugbefeuerung für die Bahnen 28 links und rechts. Foto: google

Dass irgendetwas nicht stimmte, merkte auch die Air Canada Crew. Spät aber rechtzeitig. Sie fragte kurz vorm Aufsetzen: Ob die Runway denn tatsächlich frei sei, was der Controller, der gleichzeitig bereits mit einer anderen Stelle flugsicherungstechnisch koordinierte, leicht genervt beantwortete: „Air Canada 759, confirmed cleared to land 28 Right, there is no one on 28R but you“.

Die Crews der Flugzeuge auf dem Taxiway konnten die Lichter des anfliegenden Flugzeugs beobachten und feststellen, dass die Lichter eine stehende Peilung hatten (Stehende Peilung heißt, dass die Lichter immer aus der gleichen Richtung kommen; sie kommen also direkt auf einen zu).
Die Crews am Boden äußern ihre Beobachtung per Funk: Where is this guy going, he is on the taxiway? (Wo fliegt der Kerl hin, er ist am/über dem Rollweg!)

Und der United Pilot im vordersten Flugzeug, kurz am Rollhaltepunkt vor der Startbahn 28: „This is United One. Air Canada flew directly over us.“

Der Tower Controller wies kurz vorher und gerade noch rechtzeitig die Air Canada Crew zum Durchstarten an.

An Bord des Air Canada Airbus waren 140 Personen und etliche hunderte Passagiere warteten in den Flugzeugen am Rollweg am Boden.

Erst die ersten Auswertung der Kanadischen TSB-Behörde am 11. Juli und der amerikanischen NTSB am 17. Juli machten klar, wie wenig der Vorfall von einer Katastrophe, „dem schwersten Luftfahrtunfall bisher“ entfernt war: 9 Meter lateral (29 feet) und rund 30 Meter (100 feet) vertikal.

Die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA stuft den Vorfall als Serious Incident ein.

Details des Fluges und *CBS Berichterstattung