Weil es die letzten Tage durch die Presse ging und wieder vielfach der gleiche verständislose Inhalt geblurbelt wurde, zunächst die Fakten und folgend die fachlichen Erklärungen dazu.

Die Fakten

Am 15. Oktober 2017 ging ein A320-200 der indonesischen Fluggesellschaft Air Asia in der Nähe von Perth wegen Verlust des Kabinendrucks in einen beschleunigten Sinkflug über. Fliegerisch heißt das Emergency Descent. Die Sinkflugrate ist dabei aber nur etwa doppelt so hoch wie normal: 6000 Fuß/Minute statt 2500 – 3000 Fuß pro Minute.

Flug QZ-535 sollte von Perth (Australien) nach Denpasar (Indonesien) führen. Im Steigflug weg von Perth beim Durchflug von Flugfläche 338 ( etwa 10300 Meter) wurden die Sauerstoffmasken freigegeben. Etwa eine Stunde nach dem Abflug kehrte das Flugzeug nach Perth zurück, um auf der Piste 21 sicher zu landen.

Am 16. Oktober 2017 gab die australische Untersuchungsbehörde ATSB bekannt, dass sie den Vorfall als schwerwiegend einstuft und eine Untersuchung eingeleitet hat.


Die einzig wirklich relevante Frage dazu wäre: Warum erfolgte der Druckverlust? Und im weiteren noch, warum die Kabinencrew offensichtlich nicht professionell kommunikativ darauf reagiert hat. Dass die Cockpit Crew keine Zeit für langatmige Erklärungen dabei hat, ist im folgenden Prozedere ersichtlich. Das zwar von einer deutschen Fluglinie stammt, sich aber im wesentlichen nicht von anderen Fluglinien unterscheiden sollte.

Man sollte sich als Fluggast darüber im Klaren sein, dass eine schlecht bezahlte Kabinencrew im Zweifel nur ihre Muttersprache gut beherrscht. Vielleicht noch die in der Heimat des Carriers übliche erste Fremdsprache. Und das muss nicht englisch (oder deutsch!) sein!
Wer weder die Muttersprache, noch die erste Fremdsprache der Region spricht, sollte besser mit einer Fluglinie fliegen, von der er weiß, dass Englisch zumindest als zweite Sprache gesprochen wird.

Auf den Orangensaft oder das Bier kann man zeigen, im Notfall hilft das aber wenig. Nur so als kleines Auswahlkriterium: Die Flugbegleiter sind dem Gesetz (und damit der Fluglinie) nach nicht zum Saft-Ausschenken an Bord, sondern, um im Notfall möglichst vielen Passagieren das Leben zu retten. Daher ist die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanzahl an Flugbegleitern unabhängig von der Anzahl der tatsächlich mitfliegenden Gäste. Sie hängt grundsätzlich von der Anzahl der Türen am Flugzeug und der eingebauten Sitze ab. Pro Türenpaar mindestens ein Flugbegleiter oder pro fünfzig Sitze mindestens ein Flugbegleiter. Was immer die höhere Zahl bewirkt, gilt.


Der fachliche Hintergrund

Ein so genannter Emergency Descent muss durchgeführt werden, wenn der Druck in der Kabine nicht mehr gehalten werden kann.

Im Reiseflug entspricht der Innendruck im Verkehrsflugzeug normalerweise mindestens dem Druck, der auf einem 8000 Fuß (2438 Meter) hohen Berg herrscht. In dieser Höhe kann jeder gesunde Mensch problemlos atmen.

Spätestens, wenn der Innendruck der Kabine einem Wert entspricht, der auf 14.000 Fuß Höhe herrscht, fallen automatisch Sauerstoffmasken aus der Kabinendecke. Wenn bis dahin kein Sinkflug eingeleitet worden war, wird er spätestens jetzt fällig.

Das Flugzeug selbst kann problemlos auch ohne Druckkabine weiterfliegen. Es fällt auch jetzt nicht vom Himmel.

Der Sinkflug aber muss aktiv von den Piloten eingeleitet werden. Und zwar deshalb, damit die Insassen des Flugzeugs bald wieder ohne Maske atmen können (die Masken liefern üblicherweise für etwa eine Viertelstunde Sauerstoff) und damit die möglicherweise auftretenden schmerzhaften Blähungen, die im Körper auftreten können, wieder aufhören. Besonders für die Insassen, die aus welchen Gründen auch immer, keine Maske aufgesetzt haben, ist es sehr wichtig, bald wieder in tiefere Höhen zu kommen, damit sie nicht zu lange ohne Sauerstoff sind.

Was in der Kabine passiert

Es erfolgt eine automatische Ansage in mehreren Sprachen, die die Passagiere auffordert, die Masken aufzusetzen. Die Flugbegleiter sollen sich da, wo sie gerade sind, hinsetzen und anschnallen. Geht das nicht, weil alle Plätze besetzt sind, dann setzen sie sich auf den Boden und halten sich fest, sie gehen nicht zu ihren Flugbegleiterplätzen zurück. Sie fordern ihrerseits die Gäste auf, die Masken aufzusetzen und nehmen sich selber auch eine Passagiermaske. Für diesen Zweck sind in jeder Sitzreihe immer mehr Masken vorhanden, als Passagiersitze. Alle erwarten nun den Sinkflug.

Was im Cockpit passiert

Dort wird die „Emergency Descent“ Checkliste abgearbeitet. Entweder vom Bildschirm, wenn das Flugzeug das Problem selbst richtig erkannt hat, oder eben von Papier.

Die Papierliste (siehe Bild) beginnt mit geboxten Zeilen. Diese Zeilen werden aus dem Gedächtnis abgearbeitet, während die Liste im so genannten QRH (Quick Reference Handbook) nachgeschlagen wird.

Schauen wir uns die Liste im einzelnen an:

Als allererstes setzen die Piloten selbst ihre Sauerstoffmasken auf, damit sie handlungsfähig bleiben. Dann werden die Anschnallzeichen eingeschaltet und der Sinkflug beginnt.

Falls das Autothrust System (A/THR, die automatische Schubkontrolle) nicht aktiv ist, müssen die Schubhebel manuell auf Leerlauf gezogen werden.

Zuletzt werden noch die Speed Brakes (SPD BRK;  (Strömungsfluss-)Störklappen auf den Flächen) voll gezogen, um die Sinkrate zu maximieren. Damit sind die Handlungen aus dem Gedächtnis erledigt.

Weiter geht es nun in der Papierliste mit einem Hinweis darauf, was bei der Wahl der Fluggeschwindigkeit zu beachten ist. Generell gilt, je schneller man fliegt, desto schneller ist man unten. Vermutet die Crew strukturelle Schäden am Flugzeug, fliegt sie lieber langsamer. Ferner wird als Vorsichtsmaßnahme die Zündung dauerhaft für beide Triebwerke eingeschaltet.

Nun kommt nach dem technisch Fliegerischen die Kommunikation, zunächst mit der Flugsicherung: ATC (Air Traffic Control) wird über den Notsinkflug informiert.
Das ist wichtig, damit anderer Flugverkehr, der sich unter dem eigenen Flugzeug befindet, weggedreht werden kann und damit man selbst Information über diesen Verkehr erhält und ausweichen kann.

Eine gut trainierte und gut ausgebildete Crew informiert ATC bereits bei der Einleitung des Sinkflugs. Das gehört zu Good Airmenship und versteht sich von selbst. Eine gute Crew weiß im Reiseflug auch kontinuierlich, ob sich andere Flugzeuge in unmittelbarer Nähe befinden und sie dreht mit Einleitung des Sinkflugs sofort selbst von diesem Verkehr weg. Denn es ist ein Notfall und keine Abweichung von Anweisungen im normalen Reiseflug. Safety first.

Jetzt erst erfolgt auch eine sehr kurze Ansage in die Kabine. Diese dient nur dazu, der Cabin Crew das zu sagen, was sie eigentlich schon weiß (wissen sollte), nämlich, das es sich um einen Notsinkflug handelt.

Für langatmige Ansagen aus dem Cockpit ist noch immer keine Zeit. Diese Ansage kommt später, nach dem Sinkflug. Während des Sinkflugs sollen von der Cabin Crew erklärende Ansagen kommen, falls jemand von der Cabin Crew in der Nähe eines PA (Public Address) Telefons zum Sitzen gekommen ist.

In der Liste wird jetzt nochmals daran erinnert, den Notfallcode in den Transponder einzugeben.

Als Zielhöhe ist dabei die Flugfläche 100 (= 10.000 Fuß, rund 3000 Meter) oder die minimal mögliche Höhe in dieser Gegend (wegen Bergen, Hindernissen) anzugeben.

Außerdem wird im Cockpit nochmals der Auslöse-Schalter für die Masken gedrückt, um sicher zu gehen, dass auch wirklich alle Masken von der Decke fielen.

Das Abarbeiten der gesamten Liste dauert ungefähr 20 Sekunden.

Der Notsinkflug von 35.000 Fuß (10700 Metern) auf 10.000 Fuß (etwa 3000 Meter) dauert etwa 5 Minuten.

Panik ist dabei zu keiner Zeit angesagt.

 


Kommentare

6 Antworten zu „Die Fakten zum Air Asia Druckabfall“

  1. 2xhinschauen

    Was man dann doch so alles nicht weiß… danke Helga, auch für den kurzen Exkurs über die Cabin Crews. Man merkt schon, dass Du da gern mehr drüber gesagt hättest. Ich hatte „damals“ etwas Einblick in deren Ausbildung und bin nicht nur, aber besonders wegen dieser Einsichten immer extra nett zu diesen Leuten.

    Thema „was man so alles nicht weiß“… Turbinen haben Zündkerzen? Die normalerweise aber „aus“ sind?

    Und in dem Zusammenhang, aber off topic… Beschäftigt mich seit Jahren: Warum werden Strahltriebwerke heutzutage eigentlich mechanisch aufwendig VOR die Tragflächen gehängt? Und nicht einfach drunter (Me262) oder eingebaut (Comet)?

    Nochmal danke.

    1. Es gibt (zumindest bei der NASA) bei zukünftigen Flugzeugentwicklungen den Trend, den (Turbinen) Antrieb über der Fläche und ganz hinten anzubringen. Um die Noise Abatement Anforderungen zu erfüllen.
      Andere Ansätze versuchen den Antrieb weg von einer/zwei großen Turbinen hin zu vielen kleinen Antrieben zu legen. Diese sind dann eher vor der Fläche positioniert.

  2. Flugkapitän

    @2xhinschauen
    Die Zündkerzen in den Brennkammern werden eigentlich nur zum Anlassen des Triebwerks gebraucht. Ist das Feuer in den Kammern einmal entfacht, dann ist es eine kontinuierliche Verbrennung.
    Im Leerlauf brennt in der Kammer aber nur ein kleines, verletzliches Flämmchen.
    Es besteht die Gefahr, dass die Flamme ausgeblasen wird. Damit sie sofort wieder entfacht schaltet man in extremen Situationen die Zündung prophylaktisch ein.
    Das ist zum Beispiel beim Emergency Descent oder beim Einflug in Starkregen der Fall.
    Viele Triebwerke gehen auch beim Einschalten des Anti Ice auf Dauerzündung.
    Auch nach einem Triebwerksausfall schaltet man das verbliebene Triebwerk auf Dauerzündung.
    Das erhöht zwar den Verschleiß der Zündkerzen und somit die Kosten, doch in den beschriebenen Fällen ist es die sicherere Wahl.

    Die Triebwerke werden im Schwerpunkt aufgehängt. Dieser Befindet sich vor dem Auftriebspunkt der Fläche. Das Höhenleitwerk hinten erzeugt leichten Abtrieb (wenn man genau hinschaut, dann erkennt man, dass das Höhenleitwerk unten gewölbt und oben eher flach ist; also genau umgekehrt zum Flügel).

    1. 🙂 Danke an Flugkapitän

  3. 2xhinschauen

    @Flugkapitän, danke. Die Sache mit den Zündkerzen ist auf Anhieb plausibel … ich hatte einfach unterstellt, dass das bei Turbinen irgendwie anders gemacht wird als in Kolbenmotoren.

    Dass Höhenleitwerke ein umgekehrtes Tragflächenprofil haben, war mir in der Tat schon aufgefallen. Daraus kann man schlussfolgern, dass die Tragflächen hinter dem Schwerpunkt sitzen und also das Flugzeug im Flug „abwärts nicken“ lassen wollen, wenn man das nicht durch Abtrieb achtern kompensiert. Ich weiß auch, dass der Schwerpunkt im Flug ein Wandergeselle ist, weil sich die Tanks in den gepfeilten Flügeln ja allmählich leeren und mithin der Schwerpunkt allmählich nach vorn läuft (der meiste Sprit ist bei vollen Tanks ja dahinter). Noch komplizierter bei der 747 mit ihren Tanks im Höhenleitwerk.

    Gepfeilte Flügel haben aerodynamische Vorteile, also baut man die so, aber den tieferen Grund für die „nach vorn hängenden“ Engines hab ich noch nicht verstanden. Der Laie würde ja sagen: Mach die Flügel weiter vor, häng die Triebwerke untendrunter und spar Dir Gewicht und mechanische Belastung bei den Aufhängungen.

    So oder só, danke für die guten Erklärungen, die man hier immer bekommt.

    1. Gerne. Das ist der Sinn und Zweck des Flugundzeit.Blog

      Nochmal kurz zum Triebwerke darunter hängen und was ingenieursmäßig Sinn macht:

      Man glaubt es kaum, aber die USA/FAA haben, was die Entwicklung zukünftiger Flugzeuge und deren Antriebe betrifft, unheimlich harte Anforderungen zur Lärmvermeidung. Der Trend zu den schwanzlosen Flundern und den Triebwerken darüber ist nicht so ganz freiwillig. Es gibt auch in den USA jede Menge kluger Ingenieure… 🙂

      Die Ingenieursmässig (ich inkludiere hier mal hier alle (weiter)Denkenden in der Luftffahrt) und auch sonst schlechteste Lösung einer vierten Bahn in Frankfurt war die Nordbahn. Es war trotzdem anscheinend die einzige realisierbare, was das unzufriedene Umfeld betraf.

      Und damit sind Lärmdiskussionen hier auch schon wieder zu Ende. Es bringt leider nichts. Habe mir bei einem Flug vor zwei Tagen stets genau überlegt, wann ich die Nav-Lights anmache, denn dann „wird das Flugzeug (sichtbar) lauter“. Ich hätte sie aus Sichtbarkeitsgründen für andere in der Luft gerne durchgehend angehabt. Im Frankfurter Luftraum (und erst recht beim Midfield Crossing) hat es halt die 1500 Fuß Höhenbegrenzung…

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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