
Gleich vorweg: Das Buch von Autorin Dava Sobel ist kein „Dan Brown“. Es ist nicht wie Origin als Pageturner in einer leserischen Nachtschicht zu verschlingen.
Dafür ist es ein Buchjuwel, dessen Inhalt eine für vermutlich die meisten Leser bisher komplett unbekannte Welt eröffnet und sie durch die eher langsame, detailreichen Beschreibung in die Zeit einführt, als Frauen noch Computer waren. Ja, genau. Wir schreiben das 19. Jahrhundert an der Ostküste der USA.
Diese Gepflogenheit gebe es nur in Harvard, wo gegenwärtig sechs Frauen als „Computer“, also wissenschaftliche Rechnerinnen, beschäftigt würden.
Vor zwei Jahrhunderten war die wissenschaftliche Welt noch streng zweigeteilt: Die kalten Nächte schlugen sich primär die Männer um die Ohren, um mit Hilfe eines Teleskops Bilder des Sternenhimmels zu erstellen. Morgens übernahmen die Frauen, um aus den beschichteten Glasplatten durch genaue, detailreiche Beobachtung die Position, die Helligkeit und die Veränderungen über die Zeit zu ergründen.
Die Vielzahl an Mitarbeiterinnen, die zuweilen abschätzig als Harem bezeichnet wurden, setzte sich aus Frauen jeden Alters zusammen. Sie waren gut in Mathematik oder passionierte Sternbeobachterinnen oder beides.
Unter den Wissenschaftlerinnen waren nicht nur Familienmitglieder von Astronomen, sondern auch Absolventinnen der neuen Frauen-Colleges und begeisterte Sternbeobachterinnen. Sie leisteten Grundlagenarbeit: Die ledige Mutter und ehemalige Haushälterin Williamina Fleming etwa machte durch ihre Berechnungen an die 300 Sterne ausfindig. Die Pfarrerstochter Antonia Maury entwickelte eine eigene Klassifikation der Planeten, die heute als Grundstein der modernen Astrophysik gilt.
Wie so oft im Leben: Nur wenige der Harvard-Frauen fanden später die verdiente Anerkennung in einer eigenen Forschungsstelle. Umso mehr lohnt es sich, diesen Teil der Wissenschaftsgeschichte, erlebnisreich und mit vielen Originalzitaten gespickt, mit dem Buch „Das Glas-Universum“ zu erkunden. Auch die Beschreibung der zahlreichen Reisen zu Schauplätzen von astronomischen Highlights: beschwerlich und mit anderen Widrigkeiten als unsere heutige schnelle Länderjetterei, versetzt den Leser in eine komplett andere Zeit und Welt.
Viele Originalfotos, die in guter Fotoqualität auf extra Seiten eingebunden sind und so nicht im Druck abstumpfen, machen die Schilderungen weiter lebendig.
Ejnar Hertzsprung in Dänemark griff Miss Leavitts Periodenleuchtkraft-Beziehung auf. Auch er hatte Diagramme gezeichnet, in denen er ein Sternenmerkmal einem anderen gegenüberstellte, um ihre wechselseitige Abhängigkeit zu überprüfen.
Manche Wissenschaftler begriffen schon zur damaligen Zeit die enorme Rechweite, die die frühen Astronominnen (= ist für mich immer noch bezeichnender als „Computer“) mit ihren genauen Beobachtungen und Folgerungen daraus herausfanden.
Warum strahlen manche Sterne heller als andere? Sind sie näher, größer oder bestehen sie aus anderen Elementen? Die Fotometrie misst die Helligkeit einzelner Sterne. Schon in der Antike gab es eine Einteilung in sechs Größenklassen. 1610 ergänzte der Italiener Galilei mit seinem Teleskop zwei weitere (nach unten): die Sternengrößen reichten nun bis acht. In den 1880er Jahren konnte man dann im Observatorium in Harvard Größenklassen bis 14 sichtbar machen.
Wie die Schönheit so lag allerdings auch die Helligkeit im Auge des Betrachters.
Etliche Buchseiten weiter (wir wollen hier ja nicht alles verraten) verhilft Anna Palmer Draper, nunmehr Witwe des Astronomen Henry Draper, ihrem Mann posthum zur Würdigung seiner Leistungen, in dem sie seine aufgenommenen Daten weiter auswertete, seine Arbeit fortführte und so die heute noch in der Astronomie anerkannte Draper’schen Spektralklassifizierung der Sternspektren entstand.
Das Glas-Universum ist eine kurzweilig zu lesende Schilderung der Umstände und handelnden Personen aus diesem Abschnitt der Astronomie. Und: Es wieder einmal ein schön gestaltetes Buch, das es sich lohnt, auch physisch in die Hand zu nehmen und nicht (nur) als E-Book zu lesen.
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