Am 13. Januar 2018 verunglückte eine Boeing 737-800 von Pegasus Airlines bei der Landung in Trabzon an der türkischen Schwarzmeerküste. Das Flugzeug kam mit 162 Passagieren und einer sechsköpfigen Crew aus Ankara. Bei der Nachtlandung um 23:26 Uhr verlässt das Flugzeug kurz vor dem Bahnende die Landebahn nach links und rutscht eine Böschung hinab in Richtung Meer. Im sumpfigen Boden bleibt das Flugzeug glücklicherweise stecken und alle Insassen können das Flugzeug unverletzt verlassen.
Die weiteren Fakten, soweit offiziell bekannt:
Bei der Landung war die Bahn nass. Es war dunkel, der Wind war still (1 Knoten aus 240 Grad, also von hinten rechts) und die Sicht wurde in der Wettermeldung von 20:20 Zulu (6 Minuten vor dem Unfall) mit 4000 Meter in leichtem Regen angegeben. Die Wolkenuntergrenze (hier ein so genannter Broken Layer (Bedeckungsgrad 5 bis 7 Achtel)) lag bei 300 Fuß und damit unter dem Minimum von 390 Fuß über Flugplatzhöhe für einen ILS-Anflug auf die Bahn 11 in Trabzon.
*Das Minimum ist bei einem Präzisionsanflug (= Anflug mit lateraler und vertikaler Führung; beispielsweise ein ILS (Instrument Landing System)) die Entscheidungs-Höhe, bei der der Anflug abgebrochen werden muss, wenn die Bahn noch nicht in Sicht ist.
Unter diesen Bedingungen kann es möglich sein, rechtzeitig die Bahn zu sehen. Gewiss ist es jedoch nicht. Es ist sogar eher unwahrscheinlich.
Die Staatsanwaltschaft berichtet, dass laut Aussage der Crew der Anflug vom Ersten Offizier durchgeführt wurde. Nach der Landung habe das Flugzeug auf der nassen Bahn nicht wie gewohnt verzögert. Der Kapitän habe übernommen und manuell gebremst (es wird keine Aussage darüber getroffen, ob auch der Copilot vorher versucht hat, manuell zu bremsen, oder ob die so genannte Autobrake für die Landung vorgewählt war). Es wird auch keine Aussage darüber getroffen, ob und wann Umkehrschub gesetzt wurde.
Jedenfalls soll beim manuellen Bremsen des Kapitäns das Flugzeug nach links ausgebrochen sein und das rechte Triebwerk ungewollt auf Vorwärtsschub hochgelaufen sein. Ob es sich bei dem Vorwärtsschub des rechten Triebwerks um ein plötzliches Versagen der Technik oder um eine unabsichtliche Fehlbedienung gehandelt hat, bleibt bisher offen.
Nicht öffentlich bekannt ist, wo das Flugzeug aufgesetzt ist: in der vorgesehenen Touch-Down Zone** oder erst später?
** die Touch-Down Zone beginnt 300 Meter hinter Bahnbeginn und endet 900 Meter hinter dem Bahnbeginn
Zusammenfassung des bisher Geschilderten: Es war ein anspruchsvoller Anflug am Wolken Minimum. Ein Anflug auf eine Bahn, die mit 2640 Metern Länge bei Nässe eine Landung bald nach dem Bahnanfang erfordert.
Denn: Kommt die Bahn erst im allerletzten Moment in Sicht, hat der Pilot in Erwartung eines Durchstartmanövers (Go-Around) eventuell die Sinkrate schon etwas reduziert und wieder mehr Schub gesetzt. Entscheidet sich der Pilot doch für die Landung, dann wird diese eher spät erfolgen. Die Situation ist jetzt sehr dynamisch: Handlungen müssen sicher und schnell erfolgen.
Nach einer späten Landung muss nun unverzüglich maximaler Umkehrschub gesetzt werden und die Spoiler (Bremsklappen), falls sie nicht wie üblich von alleine ausgefahren sind – ausgefahren werden. Eine eventuell vorgewählte Autobrake muss sofort „manuell“ mit den Bremspedalen überdrückt werden, um maximale Wirkung der Radbremsen zu erlangen und um asymmetrisches Bremsen zu ermöglichen (ist für die Richtungskontrolle auf rutschigen Bahnen und/oder bei starkem Seitenwind, was hier aber nicht der Fall war, nötig).
Auch, wenn die Landung wegen der oben beschriebenen Umstände erst am Ende der Touch-Down Zone erfolgt, sollte bei einer B737 oder vergleichbar bei einem A320 maximaler Umkehrschub die Geschwindigkeit so schnell und rechtzeitig reduzieren, dass das Flugzeug auch bei Aquaplaning*** schnell auf unter 80 Knoten verzögert wird, die Räder auf der Bahn greifen können, damit das Flugzeug bei einer 2500 Meter langen Bahn zum Stehen kommt.
*** Aquaplaning kann aufgrund der typischen Flächenlast (150 PSI) auf einen Verkehrsflugzeug-Reifen nur oberhalb von 80 Knoten auftreten.
Welche Gedanken sollte sich die Crew machen, wenn sie einen Flugplatz anfliegt, der am oder unter dem Minimum Wetter liegt?
Ist diese Wetter-Information schon vor dem Losfliegen am Startflugplatz bekannt, dann müssen zwei Ausweichflugplätze geplant werden, die beide anfliegbar sein müssen mit den höheren Wetteranforderungen für Ausweichflugplätze. Getankt werden muss dann für den entfernteren der beiden. Um nach einem eventuell stattfindenden Durchstarten am Zielflugplatz noch ein weiteres Mal anfliegen zu können, bevor man zum Ausweichflugplatz fliegt, muss entsprechen Extra Fuel getankt werden. Hierfür sollte mindestens eine Flugzeit von 15 Minuten, besser von 20 Minuten geplant werden.
Es wäre von Interesse zu wissen, wie die Tankberechnung aussah und wie hoch somit der psychische Druck auf der Crew war, im ersten (und aus Spritgründen einzig möglichen Anflug?) landen zu müssen. Die Anforderungen an die Crew waren aufgrund des überschrittenen Wetterminimums bereits erhöht.
Welche Gedanken sollte sich ein Kapitän machen, wenn ein derart kritischer Anflug ansteht?
Der Kapitän trägt die Gesamtverantwortung! Er/sie ist für die sichere Durchführung des Fluges verantwortlich. Wenn er/sie einen Anflug als kritisch einstuft, dann sollte er/sie sich immer überlegen, ob es nicht besser ist, dass er/sie selbst als Pilot Flying agiert. Was in diesem Fall nicht getan wurde.
Warum obige Entscheidungen so getroffen wurden, wie es Tatsache ist, ist zurzeit nicht bekannt.