Update 13.2.2018
Am 13. Februar 2018 meldete das MAK, dass zur Evaluierung der Absturzursache der Flugdatenschreiber auseinandergenommen werden musste. Die Speichermodule wurden dem FDR entnommen und in eine neue Einheit eingebaut. Danach konnten alle enthaltenen Daten, die aus 16 Flügen des Flugzeugs, einschließlich des Unfallfluges bestanden, ausgelesen werden. Die Auswertung des Voice Recorders ist noch in Arbeit.
Eine vorläufige Analyse der FDR-Daten zeigt, dass am Unfallflug die Pitot-Heizungen für alle drei Pitot-Sonden ausgeschaltet waren, während die Pitot-Heizungen vor dem Start auf allen vorherigen 15 Flügen eingeschaltet waren.
Ungefähr 2:30 Minuten nachdem das Flugzeug in der Luft war, kam es zu einer abnormen Lage auf ungefähr 1300 Metern Höhe und einer Geschwindigkeit von 465-470 km/h (250 KIAS):
Die Geschwindigkeitsanzeigen #1 und #3 stimmten nicht mehr überein, die Geschwindigkeitsanzeige #2 war ausgefallen.
Die Anzeige #1 zeigte etwa 30 km/h (15 Knoten) mehr als #3, eine entsprechende Warnung wurde angezeigt. Die Statik-Anzeigen (als Sensor-Basis zur Geschwindigkeitsanzeige) wiesen keine signifikanten Höhenabweichungen auf.
Bei ungefähr 2000 Metern Höhe begann die Geschwindigkeitsmessung #1 den Wert zu reduzieren, während #3 zunahm, es wurde eine weitere Geschwindigkeits-Differenz-Warnmeldung ausgegeben.
Die Besatzung schaltete daraufhin den Autopiloten ab und flog manuell weiter. Die Geschwindigkeitsanzeige #3 erreichte 540-560 km/h (290-300 KIAS), die Geschwindigkeitsmesswerte bei #1 nahmen weiter ab.
50 Sekunden nachdem der Autopilot ausgeschaltet wurde, erreichte die vertikale Beschleunigung des Flugzeugs zwischen 0,5 und 1,5 g, die #1-Geschwindigkeitsanzeige ging auf null, #3 begann abzufallen, sie zeigte 200 km/h (108 KIAS), die Flugzeugnase sank auf einen Neigungswinkel (Pitch) von etwa 30-35 Grad unter dem Horizont, die vertikale Belastung ging auf null g zurück.
Vor dem Aufprall auf den Boden begannen die Geschwindigkeitsmesswerte von #3 schnell zu steigen und erreichten 800 km/h (432 KIAS) kurz vor dem Aufprall, die Geschwindigkeitsanzeige #1 blieb bei 0. Der Neigungswinkel (Pitch) blieb 30 Grad unter dem Horizont bis zum Aufprall. 5 Sekunden vor dem Aufprall wies das Flugzeug eine Bank nach rechts von 25 Grad auf.
Das vorläufige Untersuchungsergebnis der MAK
„Die vorläufige Analyse der aufgezeichneten Informationen sowie eine Analyse ähnlicher Fälle, die in der Vergangenheit stattfanden, deuten darauf hin, dass die Entwicklung der abnormen Situation im Flug durch falsche Daten über die Fluggeschwindigkeit auf den Anzeigen für die Piloten entstand. Die falsche Anzeige wiederum entstand vermutlich wegen Vereisung der Pitot-Sonden, da die Pitot-Heizungen ausgeschaltet waren.“
11.2.2018
Eine Antonov AN-148-100, mit der Registrierung RA-61704 (Flugnummer 6W703) startete am 11.2.2018 vom Flughafen Moskau Domodedovo auf der Landebahn 14R zum Flug nach Orsk (Russland). An Bord waren 65 Passagiere und 6 Besatzungsmitgliedern.
Das Flugzeug stieg auf eine maximale Höhe von 6000 Fuß, sank danach wieder und verschwand vom Radar um ungefähr 14:28 Lokalzeit (11:28Z).
Das Flugzeug stürzte auf ein offenes Feld etwa 18 nm südöstlich des Flugplatzes in der Nähe des Dorfes Stepanovskoye in Dergayevo im Ramensky Bezirk. Es gab keine Überlebenden. Die Wrackteile liegen auf rund 1000 Meter von der Absturzstelle verteilt, es kam zu keinem Brand.
Die russischen Nachrichtenagenturen Lenta und Interfax berichteten ursprünglich, dass die Überreste eines zweiten Fluggerätes, eines Helikopters, in der Nähe der Absturzstelle gefunden wurden. Das würde auf einen Zusammenstoß der beiden Fluggeräte in der Luft hindeuten. Interfax ließ später die Meldung eines Helikopters fallen, Lenta meldet immer noch das zweite Flugzeug.
Russlands Ministry of Emergency Situations bestätigte, dass Flug 6W703 abgestürzt ist und in der Nähe des Dorfes Stepanovskoye im Ramensky Bezirk gefunden wurde. Das Ministerium berichtete allerdings auch, dass kein anderes Flugzeug in der Nähe der Absturzstelle gefunden wurde.
Laut ATC-Aufzeichnungen war die Kommunikation mit Flug 6W703 bis 11:28Z normal. Danach reagierte die Besatzung nicht mehr auf Funksprüche.
Das Metar (Wettermeldung zum Absturzzeitpunkt):
UUDD 111130Z 13006MPS 2100 -SN SCT008 OVC026 M05/M06 Q1019 R14R/590293 R14L/590392 TEMPO 1200 SHSN BKN012CB
Wesentliche Punkte im verständlichen Klartext:
Uhrzeit 11:30Z: (zwei Minuten nach dem Start des Flugzeugs): Wind aus 130 mit 6 m/s, entspricht 12 Knoten, Sicht 2100 Meter, leichter Schneefall, 3/8 bis 4/8 Bewölkung in 800 Fuß, geschlossene Wolkendecke in 2600 Fuß, Temperatur minus 5 Grad Celsius. Taupunkt minus sechs, Barometer 1019 hPa.
Mehr als die Hälfte der Landebahn mit nassem Schnee bedeckt, 2 mm tief.
Temporär: Sicht 1200 Meter, Schneeschauer, 5/8 – 7/8 Bewölkung in 1200 Fuß mit CBs (Gewitterwolken).
Einen Tag nach dem Absturz, am 12.2., wurden der Flugdatenschreiber und beide Black Boxes gefunden. Das Ermittlungskomitee der Russischen Föderation (Sledcom) meldete, dass das Flugzeug bis zum Aufprall intakt gewesen sei.
12.2.2018
Der Sisyphos bei flugundzeit schlägt wieder zu:
Sätze wie (u.a. aus der FAZ*, gleichlautend aus dem Handelsblatt und SpiegelOnline):
Flugzeugabstürze sind in Russland keine Seltenheit.
sind in seriösen Medien nicht angebracht, Unsinn und Meinungsmache. Was ist die Definition von Seltenheit bei einem Flugzeugabsturz? Journalistisch unakzeptabel.
Ebenso aus der FAZ:
Die Untersuchungen gingen in alle Richtungen, hieß es.
No na net. Wohin denn sonst. Alles andere wäre voreingenommen und keine seriöse Untersuchung.
Dann wird auch noch eine Flydubai-Maschine als Beweis angeführt
Die Maschine des Billigfliegers Flydubai zerschellte in einem Feuerball.
Was ist aus der seriösen Berichterstattung geworden? Auch die Tagesschau (!) zieht den Flydubai-Absturz zur Berichterstattung über den Antonow-Absturz mit hinzu.
Es ist ein Suchen nach Sensationen, nach den 10 schlimmsten, besten, höchsten Ereignissen, nur um die Klickzahl zu erhöhen.
Mehrere Medien berichteten auch, dass Unfallermittler das Wetter oder Pilotenfehler als Ursache sähen. Die DW wiederholt diese Meldung heute nochmals:
Als mögliche Gründe nannten Ermittler zunächst menschliches Versagen oder schwierige Wetterbedingungen.
Wer immer so etwas zurzeit behauptet, ist sicher kein offizieller Unfallermittler, sondern einer der notorischen Experten, die ihre Meinung durch die Gegend tröten. Das Wetter war Winterwetter, siehe oben, nicht prickelnd und kann, wie so vieles andere, die Ursache gewesen sein. Die Absturzursache auf diese zwei der vielen Möglichkeiten einzuschränken, ist zurzeit Wahrsagen.
Banales aus dem Handelsblatt:
Der Aufprall muss heftig gewesen sein.
Leute! Ein Freifallender Mensch hat nach weniger als 10 Sekunden seine Endgeschwindigkeit erreicht. Und wenn ein Flugzeug, selbst wenn vorher schon Teile abgebrochen sein sollten – was zurzeit nicht bekannt ist – aus zwei Kilometer Höhe abstürzt, ist der ungespitzte Aufprall heftig, egal wie er passiert.
Noch ein Bonbönchen, Titelzeile bei Focus-Online:
Ermittler rätseln über Ursache von An-148-Unglück – und widersprechen erster Theorie
Die Ermittler haben mit Sicherheit nicht gerätselt! Sondern sind ihrer Arbeit nachgegangen. Was für eine anmaßende Unterstellung aus der Sicht der Redaktion, die vielleicht rätselt!
Die „erste Theorie“ war ein gegenseitige Abkupfern von Vermutungen – den üblichen bei Flugunfällen im Internet – aber keine Bekanntgabe des untersuchenden MAKs.
Es bleibt fast egal, welches Hochglanz-Online-Medium man heranzieht, der Wortlaut ist praktisch überall gleich. Wer da von wem abschreibt, ist auch unerheblich. Am besten kommt bei diesem Fall noch die Süddeutsche weg, die relativ kurz in der Berichterstattung sich überwiegend an Fakten hält.
*Ah! Die FAZ hat gerade den Satz gerade ergänzt/geändert:
Flugzeugabstürze sind, so die Deutsche Presse-Agentur, in Russland keine Seltenheit.
Die DPA also war es, von der alle anderen ungefiltert abschrieben. Entschuldigt es aber auch nicht. Ein Fachjournalist eines seriösen Mediums hat selber mitzudenken, bevor er veröffentlicht.
🙂 Aber schön, dass mein Meckern Wirkung zeigt.
Am 13.2. führt der Spiegel-Beitrag nur mehr die Zahl der Flugunfälle in Russland auf, ohne ursprünglichen Klick-Heisch-Satz: Flugzeugabstürze sind in Russland keine Seltenheit…
Ich finde es sehr gut, dass Du keine Wertung abgibst, sondern Fakten aufführst. Aber könnte man nicht jetzt wenigstens schreiben, dass es ein Pilotenfehler war?
Unfalluntersuchung und Analyse beschränken sich auf die Fakten, alles andere festzustellen oder zu veröffentlichen, ist Sache von (Straf)Gerichten. Wer sich da tummelt, ist als seriöses Medium unglaubwürdig.
Das nicht Einschalten der Pitotheizung (falls vorhanden wie bei diesem und allen größeren Flugzeugen) bei winterlichen Wetterbedingungen ist das eine.
Aber: Der Ausfall des Pitotsystems hat mit dem Flugzustand des Flugzeugs nichts zu tun. Das Flugzeug fliegt weiterhin manuell gesteuert vom Piloten genauso gut oder schlecht wie vorher.
Bei modernen, komplexen Flugzeugen (z.B. Airbus) muss der Pilot allerdings wissen, wie er gegebenenfalls das Flugzeug überlistet, um manuell die volle Kontrolle übernehmen zu können (Ausschalten der Flight Envelope Protection).
Ist nur das Pitotsystem betroffen, hat der Pilot keinen Fahrtmesser (Geschwindigkeitsanzeige) mehr. Fällt auch der/die Static Ports aus, dann fehlen auch Vario und Höhenmesser.
Aus der Praxis: Mir ist nach drei Tage heftiger Regenstürme vor dem Flug auch schon mal das Pitot- und das Staticsystem (bei der Cessna ist das nur ein Röhrchen) nach dem Abheben „ausgefallen“. Da guckt man zwar als Pilot zunächst etwas schräg, der Puls steigt (bei mir) deutlich über 100 und es kommen einem so einige Gedanken in den Sinn.
Beschränkt man sich aber aufs Fliegen des Flugzeugs, dann lässt sich dieses auch sicher wieder landen. Mit einiger Erfahrung und Gefühl für Höhe (das man als langjähriger Fallschirmspringer mitbringt) und Geschwindigkeit. Wer seinen Flugzeugtyp kennt, die Geräusche und die Optik bei unterschiedlichen Flugzuständen, der kriegt das hin.
Wer sich allerdings dann auf unterschiedliche Anzeigen fixiert, womöglich noch diskutiert oder überlegt, welche denn zutrifft, hat deutlich geringere Chancen, mit dem Ausfall der Instrumente noch zu einem guten Ende des Fluges zu kommen.