
Wie wahr. Und trotzdem ist es, neben dem höchsten Gut des Kostensparens – koste es was es wolle – das Ziel großer Airlines.

Konferenzen zum Thema Zukunft der Luftfahrt gibt es genug. Fast wöchentlich trudelt eine Einladung zu lokalen kleineren oder auch internationalen Veranstaltungen ein. Viele davon, so habe ich im letzten Jahr gesehen, dienen eher dem Zweck der Selbstdarstellung lokaler Referenten und Veranstalter und sind für den fachlichen Wissensgewinn reine Zeitverschwendung.
Rühmliche Ausnahme ist der FT Business of Aerospace & Aviation Summit in London. Er stand 2018 unter dem Motto: Bringing Digital Innovation to the Aviation Sector. Die Vortragenden kommen jedes Jahr aus den obersten Führungspositionen von Fluglinien, Flugsicherung, Flughäfen und der Industrie. Die Mischung macht’s: Möglichst alle Player der Luftfahrt zeigen ihre Sicht der Dinge.

Wenn es um die Zukunft geht, sollte man ein wenig Out of the Box denken. Vielleicht kommt die Konkurrenz für eine Fluglinie künftig nicht von einer anderen Fluglinie, sondern von einem komplett neuen Verkehrsmittel. Air Taxis, Drohnen als Transportmittel und sogar Unterwasser-Langstreckenverbindungen haben Techniker schon im Visier. An und über der Seine in Paris haben die SeaBubbles – eine Mischung aus Boot und Fluggerät – ihre Tests bestanden.
Die Digitalisierung unserer Gesellschaft und die Zunahme an künstlichen neuronalen Netzwerken in den Dingen unserer Umwelt beenden mit rasanten Schritten die Ruhezeit von nahezu unveränderter 100 Jahre alter Technik bei Autos, Nutzfahrzeugen, Bahn und Schiff.
Alle Anfänge einer grundlegend neuen Technik sind gefährlich. Erst über die Zeit, wenn (möglichst) alle Fehler ausgemerzt sind, entfällt der Status der außerordentlichen Gefahr. Auf heutigen Kreuzfahrtkolossen sind die Entbehrungen und Gefahren der Entdeckungsreisen zu Columbus‘ Zeiten nicht einmal mehr ansatzweise nachvollziehbar.
Das trifft auch auf autonome Transportmittel zu. Unfälle mit autonom fahrenden Autos scheinen zunächst ein Rückschritt von unserer gefühlten Sicherheit und Eingriffsmöglichkeit zu sein. Die Abneigung steigt, wenn es um komplette Autonomie bei Passagierflugzeugen geht.
Durch die Digitalisierung werden menschliche Entscheidungen zu Algorithmen. Algorithmen sind nichts anderes als Computerprogramme, eine Abfolge von Regeln und Definitionen. Wenn das autonome Auto in der Dunkelheit eine den Fahrweg kreuzende Person ignoriert, obwohl die Sensoren sie erkannten, dann geschieht das (heute noch), weil ein Mensch vorher als Regel vorgegeben hat, was berücksichtigt werden muss und was nicht.* Und sich dabei geirrt hat. Eine Maschine irrt nicht, sie tut genau das, was man ihr sagt.
Hyperloop: 300 km in 30 Minuten

Nick Earle ist der SVP Global Field Operations bei Virgin Hyperloop One. Er will mit Hyperloops und Geschwindigkeiten zwei- bis dreimal schneller als Hochgeschwindigkeitszüge Regionalflughäfen mit großen Flughäfen On-Demand verbinden, wobei die Reisezeit mit Terminaltransfers vergleichbar sein soll.
Hyperloop soll einen Flughafen auch mit urbanen Zentren verbinden können und damit das Bottleneck der „ersten und letzten Meile“ einer Reise für Passagiere beseitigen und die Kundenzufriedenheit durch ein angenehmeres neues Check-in-Erlebnis an speziellen Hyperloop-Portalen verbessern.
Virgin Hyperloop One sagt über sich, das es das einzige Unternehmen der Welt sei, das ein funktionsfähiges Hyperloop-System entwickelt hat.
Die Herausforderung der Zukunft
Juha Jarvinen vom Board of Directors von Finnair kann es mit der Disruption in der Luftfahrt nicht schnell genug gehen: „In Europa haben wir 200 Fluglinien, in USA rund 50.“ Da ist nach seiner Meinung noch einiges an Konsolidierung drin.
Die Airline hat den Kunden etliche Stunden an Bord, ohne dass der sich wegbewegen kann und sie hat seine Daten. Da muss doch noch ein mehr an Kundenservice möglich sein – so die einhellige Meinung etlicher namhafter Manager der Luftfahrtbranche. Der Kampf um die Daten hat gerade erst begonnen.
Jarvinen: „Wir brauchen ein Umdenken in der Branche, einen Kulturclash, wir müssen dem Kunden zuhören, was wir ihm anbieten können. Auch, wenn man den großen Gewinn nicht unmittelbar sieht, muss der Fokus hin auf die Kundenzufriedenheit und Wünsche gelegt werden.“
Wenn sich ein Passagier während des Langstreckenfluges ein Yoga-Video ansieht, dann interessiert ihn oder sie vielleicht auch ein Angebot für Yogabekleidung oder Matten. Oder am Flug auf die Malediven wäre vielleicht ein günstiges Schnorchel- und Flossenverleih-Angebot am Zielort interessant? Der Kunde kann nicht weglaufen…
Vom Flugzeughersteller zum Servicedienstleister – je schneller das Umdenken in der Branche kommt, umso erfolgreicher kann sich ein Unternehmen in der Luftfahrt auch in Zukunft behaupten.
„Wir entwickeln uns vom Warenanbieter zum Datenkonzern“, sagt Jon Dunsdon, Chief Technology Officer von GE Aviation. Auch KLM denkt weiter: „Wir vermieten Immobilien an Menschen, die noch nicht bei uns angestellt sind, an junge Entwickler, die wir für unser Unternehmen gewinnen wollen,“ so KLM Manager Paul Elich.
Was macht man mit den Kundendaten?
Ryanair ist auch einer der Vorrunner bei der Disruption. Die Billigfluglinie will zum Amazon der Lüfte aufstreben. Nicht alles gelingt auf Anhieb, aber: Fail fast & cheap heißt die Devise. Mach‘ deine Fehler schnell und billig. Das entspricht auch der Devise der Nach-Millenial-Generation. Statt gründlich lernen, einfach ausprobieren, solange bis es passt.
Auch Zukunftsforscher Dr. Thorsten Wingenter sieht neue Felder für die Luftfahrtbranche: „Fliegen ist mehr als Transportation. Wir können und müssen den Menschen mehr bieten.“
Das könnte etwa ein Kaffeschaumdrucker sein, der „NY 24°, bewölkt“ auf den Kaffeeschaum sprüht. Solchen Service merkt sich ein Kunde und das macht eine Fluggesellschaft von anderen unterscheidbar.
Oder Ausprobieren per Virtual Reality vor dem Kauf. Das VR Erlebnis der First Class überzeugt vielleicht auch einen Sparfuchs, der sonst lieber kostengünstiger fliegt. Anfixen nannte man das im letzten Jahrhundert.
Mit einer Smarten Uniform könnte ein Flugbegleiter per Bildschirm am Ärmel sofort ablesen, dass dieser Gast generell eher Ruhe sucht und nicht gestört werden möchte, während der in der nächsten Reihe eine spezielle Sorte Wein bevorzugt und eine Allergie gegen Milchprodukte hat. Die Aufmerksamkeit kann durch individuelle Informationen weit über die persönliche Ansprache mit Namen hinausgehen.
What would Google do?
Was würde Google aus der Situation machen? Die Frage, ein Buchtitel von Jeff Jarvis, soll Gedankenbarrieren sprengen. Lufthansa probierte dies unter der Ägide von Thorsten Wingenter mit Social Seating: Gleich den Langstreckenflug zum Ereignis (in den USA) nützen und alle, die zum gleichen Event fliegen, schon auf dem Flug mit einem Keynote-Speaker zum Thema des Events begeistern. In der Praxis klappte die Umsetzung der reizvollen Idee dann nicht ganz so gut: Das Bordnetz, das die Rede an einzelne Sitze übertragen sollte, war nicht leistungsfähig genug. Fail fast, frequently & cheap. Getan ist besser als perfekt.
Ungewöhnliche Ideen
Nach Wingenter könnte man einen Langstreckenflug auch in Etappen buchen: drei Stunden Restaurant, drei Stunden Schlaf und drei Stunden Arbeit mit mitfliegenden Kollegen. Wie auch immer der Gast es wünscht. Die Beförderung ist nur die Basis. Oder warum nicht ein Besuch beim Arzt an Bord? Vorher den Termin buchen (…zwei Stunden 20 nach Abflug…) und dann die Transportzeit sinnvoll nützen für etwas, wozu am Boden selten Zeit bleibt?
„Wir können nicht vorhersehen, was die Zukunft an künstlicher Intelligenz bringt, aber wir können sie aktiv mitgestalten,“ so Wingenter.
Wie Disruption zum Erfolg wird
Shashank Nigam, CEO von SimpliFlying und Advisor der virtuellen Airline Whitetail (links im Bild), befasst sich recht gewinnbringend damit, was Airlines erfolgreich macht. Nicht in ferner Zukunft sondern jetzt. Nigam: „Man muss zuerst die Prozesse genau ansehen, was brauche ich wozu, dann die Prozesse vereinfachen, auf Leistung (Performance) und Geschwindigkeit optimieren. Die Fehler möglichst entfernen, bevor man digitalisiert. Sonst optimiert man die Fehler mit.“
Click and fly

Der 10 Millionen US-Dollar XPRIZE ist ein vierjähriger Wettbewerb, der die Integration von Technologien für ein Mehrzweck-Avatarsystem fördern möchte. Es soll „die menschlichen Fähigkeiten und Erfahrungen nahtlos dorthin transportieren, wo und wann sie benötigt werden“. Damit könnte man etwa virtuelle Ärzte oder Mechaniker gestalten.
Die Weiterführung von Virtual Reality (VR) mit mehr erleben, hautnah und sich richtig ins Geschehen hineinversetzen können, haben die Japaner im Digital Design Lab von ANA im Sinn. Fit VR into your real world – aber nicht nur als Augmented Reality sondern weit darüber hinaus.
Wer also etwa eine virtuelle Reise an die Seen Alaskas antritt, dort seinen virtuellen Lachs fängt, soll einen realen Lachs zeitnah an seine reale Haustür geliefert bekommen. Alles eine Sache der Logistik und der Vernetzung. Die zukünftige Reise als Avatar mit realen Erlebnissen.
Zur Erinnerung: All Nippon Airways (ANA), die größte japanische Fluggesellschaft, startete 1952 als kleine Helicopter-Firma…

Selbst die Deutsche Bahn stellt sich die Frage: Was ist die eigentliche Aufgabe eines Logistik- und Transport-Anbieters? Und: Kann man da nicht noch mehr bieten als nur den Transport von A nach B? (Da drängt sich doch die Assoziation aus Studienzeiten auf, in der mir ein Schaffner im proppenvollen Zug erklärte, das bezahlte Ticket sei für den Transport und nicht für einen Sitzplatz…)
More than just an airline…
Die Herausforderung für erfolgreiche Player in der Luftfahrt in naher Zukunft ist, herauszufinden:
Wer ist der Kunde, was sind seine Vorlieben und Wünsche – wir müssen dem Kunden zuhören, wenn wir in Zukunft als Firma und als Industrie überleben wollen.
Das genau ist das Problem in der Luftfahrtindustrie, die heute noch geprägt ist von Jahrhunderte lang dominierenden Platzhirschen und Firmen, in denen der Mut zu unkonventionellen Weiterentwicklungen schnell unterdrückt wird.
Der Weg führt vom Transportunternehmen zu einem „Customer Handler“, der dem Kunden alles abnimmt, womit sich Geld verdienen lässt. Der pure Ticketpreis (core average prize of a flight ticket) sinkt seit Jahren, der Gewinn muss aus Zusatznutzen für den Kunden kommen. (Erinnert ein wenig an elektrische Zahnbürsten oder Drucker, bei denen die Geräte fast verschenkt werden und die Bürsten/Patronen den Gewinn bringen.)
Google und andere Datenkraken wissen wesentlich mehr über jeden einzelnen Passagier als eine Fluglinie heute. Was passiert, wenn eine erfolgreiche große Datenfirma Flugzeuge kauft und eine Airline gründet? Und dem Passagier über den Transport hinaus weitere personenbezogenen Services anbietet? Die Luftfahrtindustrie wird über kurz oder lang mit Quereinsteigern konkurrieren müssen. Auch Taxiunternehmen und Hotels dachten lange Zeit, dass genau ihnen so etwas nie passieren könnte…
*Die Person schob ein Fahrrad im Dunkeln quer über eine Fahrbahn und war (für den Sensor) so hinter dem Fahrrad mal erkennbar, mal nicht. Damit das Auto nicht bei jedem herumfliegenden Plastiksack eine Notbremsung macht, gab es also eine Regel, für welche Fälle ( in etwa: „ab und an sichtbar“) der Sensorinput ignoriert werden soll. Diese Schwelle war offensichtlich falsch vorgegeben und muss korrigiert werden.
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