Selbst und fahrend

Das Auto als Wohn- und Arbeitsbereich: der nahtlose Übergang vom Heim in die Fortbewegung…(c) flugundzeit

Eine auf der IAA Konferenz vorgeschlagene Lösung für die (sorry) Deppen, die beim Autofahren ihre Hände nicht vom Handy lassen können, wäre, die Welt, in der wir leben, „ins Auto zu integrieren“. So soll das künftige E-Auto, selbst oder zumindest nur überwacht fahren und ein duftendes, haptisches und akustisches Erlebnis für die  Insassen bieten. Der Transport wird zur Nebensache.

Irgendwie muss ein selbstfahrendes Auto seine Umwelt erkennen, registrieren und einordnen können. Das Erfassen seiner Umgebung  erfolgt über optische Sensoren, das sind diese drehenden vier Knubbel am Dach. (c) flugundzeit

Lidar (light detection and ranging) nennt sich die Technologie der drehenden Knubbel am Autodach. Lidar sendet ähnlich wie Radar, das mit Radiowellen arbeitet, Laserstrahlen aus und misst so optisch Abstände und Geschwindigkeiten. Durch die Reflexion des ausgesandten Lichts am Objekt bis zum Auftreffen des Lichts am Empfänger lässt sich über die Laufzeit die Position des Objektes bestimmen. Der Laserscanner liefert hohe Präzision, Auflösung und Geschwindigkeit und ergänzt so die Radar-Sensoren.

Das gefrässige „Maul“ hat seinen Grund: Dahinter sollen sich alle Sensoren an der Vorderfront verstecken. Ob man das optisch auch dezenter lösen könnte? (c) flugundzeit

Das ist die eine Version für das künftige selbstfahrende Auto. Es gibt (auf der IAA) auch Zulieferfirmen, die meinen, man kommt künftig ohne weiteres auch ohne die Knubbel am Dach aus.

Würde den Widerstand reduzieren und sähe zudem besser aus.

Sicher muss die Erkennung und Zuordnung des Objektes trotzdem sein.

Und da wären wir auch schon beim Thema Sicherheit und damit der Akzeptanz des Käufers. Die Findings in dieser Folie sind etwas widersprüchlich. Sie sagt aus: Wenn man Risiken versichern kann, dann würde der Kunde sie eher akzeptieren.

Viele auf der IAA ausgestellten E-Autos waren nur Concept Cars: also die Umsetzung von Ideen in einem vorgestellten Prototyp. Einige Hersteller boten auch Probefahrten mit ihren komplett oder teilweise elektrisch angetriebenen Autos an; der Tesla Stand blieb leider leer.

Was dazu herumfuhr, waren kleine Busse, die aussahen wie eine Weiterentwicklung von automatisierten Transportmobilen für Fracht oder Gegenstände auf einem Werksgelände.

Der legale Regelbruch?

Ein Auto zu steuern, das erfordert sowohl für den Menschen als auch den Computer, kontinuierlich Entscheidungen zu treffen. Gas geben, mehr oder weniger lenken, wann beginnen zu bremsen… Die Aktion ergibt sich aus der Verkehrssituation, dem Umfeld und den vorhandenen Regeln.

Mit den Regeln kommen auch Menschen nicht immer klar oder sie umgehen sie, etwa bei Geschwindigkeitsbegrenzungen oder mehrfach (unsinnigen übriggebliebenen) Markierungen an Baustellen.

Das sogenannte Traffic Dilemma in der KI tritt dann ein, wenn der Automat eine – aus menschlicher Sicht – moralische Entscheidung treffen muss. Stehen bleiben ist dann nicht immer eine sinnvolle, sichere Option, etwa auf der linken Überholspur auf der Autobahn. Oder wenn ein Auto (verkehrswidrig) in der Innenstadt in zweiter Spur und damit auf der eigenen einzigen Fahrspur parkt und ein durchgezogener Strich verhindert, dass man legal auf die andere Fahrtrichtung ausweicht. Ein Mensch würde die durchgezogene Linie überfahren, wenn kein Gegenverkehr kommt.

Darf die KI Regeln also auch durchbrechen und wenn, dann wann und welche?

So ganz einfach ist es also sicher nicht, das selbstfahrende Auto, Level 5, zu entwickeln…

Interessanter Vergleich: 14 Millionen Codezeilen bei einer Boeing 747, 1 Milliarde (1.000.000.000 = 10⁹. 1 Milliarde ist gleich tausend Millionen) für ein selbst fahrendes Auto (Level 5).

Ob die Proteste, die es in diesem Jahr vor und auf der IAA von fanatischen Radfahrern gab, berechtigt und sinnvoll waren oder nicht, ist nicht Thema hier auf flugundzeit. Jedenfalls trafen sie auch alle, die sich mit der Zukunft und ihrer Technologie befassen und nach Lösungen suchen. Oder in der Ästhetik der Vergangenheit schwelgen:

Für Nostalgiker, die Schönheit lieben…

 

Was fürs Auge: Diesen Boliden würde ich gerne mal fahren.

Die IAA 2019 ist vorbei. Sie war schon nur mehr ein Schatten der früheren Protz- und Imponierschau.

Trotzdem: Wer sich ernsthaft mit der Zukunft der Mobilität befasst und nicht nur protestiert und Eigentum anderer beschädigt, der hätte hier mehr als nur Gelegenheit gehabt, mit zu diskutieren und nach Lösungen für die Zukunft zu suchen.

Es gab zwei durchaus besuchenswerte mehrtägige Konferenzen, eine von der IAA und eine, leider gleichzeitige von der SXSW in Kooperation mit Mercedes-Benz („a festival uniting artists, scientists, and tech visionaries obsessed with the future„). Beide befassten sich mit der Zukunft, mit Technologien und der Gesellschaft. Der Fokus der ersten lag mehr auf den technischen Möglichkeiten, die me-Convention regt generell zum Weiterdenken an.

Sehr virtuelle Realität mit Stanley Kubrik: Auf einer Veranstaltung der me-convention im Filmmuseum Frankfurt macht es der Blue Screen möglich, Teil des Filmsets von Kultfilm 2001 Odyssee im Weltraum zu sein.

Ausblick auf die IAA 2021? (c) flugundzeit

Die Rechte der Folieninhalte liegen bei ihren Erstellern.
(c) Fotos: flugundzeit

5 Gedanken zu “Selbst und fahrend

  1. ! Milliarde Zeile Code – da gibt es noch ein wenig zu tun, bis das so weit Bug-free ist, daß man sich wirklich darauf verlassen kann! Dagegen wird ja immer wieder argumentiert, daß Menschen ja auch Fehler machen, viele sogar, und etliche davon dann wegfielen.
    Ja richtig – aber andererseits sind es verschiedene Fehler, die sich mit etwas Glück gegenseitig ausgleichen, während ein Bug im Code überall den gleichen Fehler hervorruft. Oder eben eine Situation, die die Entwickler nicht vorhergesehen haben, plötzlich ein großes Problem darstellen kann (in der Luftfahrt gibt es dazu reichlich Beispiele).

    Das Maul bei BMW ist im übrigen nicht (nur) wegen der Sensoren so groß, das ist die aktuelle Designlinie (wozu das britische Magazin „Top Gear“ kommentierte: wir wollen Bangle zurück! Dessen Design wurd zwar weitherum, sagen wir mal, kritisch gesehen, aber ganz so plump wie heute war es dann doch nicht).
    Die Sensoren sind sind dann noch einmal ein eigenes Thema (vgl. 737 Max) – und um Geld zu sparen bei Autos normalerweise nicht redundant…

    • Das Maul bei BMW ist im übrigen nicht (nur) wegen der Sensoren so groß

      Das Magazin (Sekundärquelle) kenne ich nicht, was ich geschrieben habe, sind die Aussagen des zugehörigen Technikers am Pressetag.

  2. …keine Kritik, nur eine Ergänzung!
    Bei einem nagelneuen (nicht-autonomen) X5 habe ich das entsprechende Maul schon selbst gesehen – und es müssen ja nicht alle Sensoren Frischluft haben (Radar z.B. geht auch gut durch eine Kunststoffstoßstange).

    • Ich denke auch, dass beide Aussagen kein Widerspruch sind. Sondern, dass hier ausnahmsweise mal „Form follows function“ gilt. Nur hätte man mit Kreativität und Weiterdenken auch eine andere „Form“ = Lösung finden können, für die Herausforderung mehr und mehr Sensoren in die Außenhaut eines möglichst selbstfahrenden Autos zu integrieren. Kunststoffstoßstange oder was auch immer. Plastik widerspricht vielleicht der Firmendoktrin (Mutmaßung).
      Jedenfalls gab es wohl für die Designer gute (?) Gründe, den von der Technik geforderten Platz so zu realisieren, wie dargestellt. Und ich finde die Lösung grottig.
      🙂 Fachliche Diskussion ist durchaus und sehr ok auf dieser Plattform. Nur zu.

  3. Kein Plastik? Das wird schwierig, sehr schwierig!
    Und ob es „ökologischer“ wäre, weiß ich nicht – jedenfalls nicht automatisch:
    BMW hatte doch vor gar nicht so langer Zeit groß verkündet, daß sie zur Gewichts- und Festigkeitsoptimierung speziell für ihre Elektroautos eine ganze Spezialfirma für CfK eingekauft hätten (war es nicht SGS Carbon?). Aber gegen GfK / CfK sind die schon länger üblichen Kunststoffstoßstangen und -kotflügel wahre Recyclingwunder!
    (Fußnote: Motorhauben und Heckklappen aus Kunststoff gibt es z.B. aus Frankreich schon seit Anfang der 80er: spart Gewicht und rostet nicht. Die „Fiberglas“-Karosserien der Kleinserien aus den 70ern lasse ich mal weg, das ist wieder anders…)
    Was das Design angeht ist es vielleicht eine „etwas ungeschickte“ Version zu zeigen, was man hat. Ich denke auch, daß man das deutlich eleganter lösen könnte – aber will man das? Wie die Japaner, die früher auch auf jedes Teil dick die Funktion draufgeschrieben haben „Dual Pivot Brake Lever“, „Hands-free Electronic Ignition“, „Induction Control System“ (Preisfrage: was davon gibt es wirklich?).

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.