Die 737 Max Empfehlungen und der Chat

Auszug aus dem Chat, das MCAS wird weiter unter erwähnt.

Am 11. Oktober 2019 veröffentlichte die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA einen technischen Bericht (Joint Authorities Technical Review, JATR) zum 737 MAX Flight Control System.

Der Review war von der US Federal Aviation Administration (FAA) als Folge der beiden tödlichen Unfällen mit Boeing 737 MAX-8 am 29. Oktober 2018 in Indonesien und am 10. März 2019 in Äthiopien in Auftrag gegeben worden. 

Beteiligt daran war technisches Personal von folgenden Behörden:  FAA, NASAEASA und die zivilen Luftfahrt Behörden von: Australien, Brasilien, Canada, China, Indonesien, Japan, Singapore und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Es wurde geleitet von einem ehemaligen Leiter des NTSB. 

Demnach hat das Musterzulassungsverfahren für das Flugsteuerungssystem der 737 MAX-8 und MAX-9 eine bedeutende Rolle für die Abstürze.

Aus dem Review folgen 12 Empfehlungen. 

Die ersten 5 Empfehlungen beziehen sich auf den Zertifizierungsprozess an sich, drei weitere auf die Integration von Entwicklung und Zertifizierung. Es folgen drei Empfehlungen, die sich mit dem Einfluss von Designänderungen auf den Betrieb und das Training beziehen. 

Wie verfährt man mit spät entdeckten Fehlern

Bei der letzten Empfehlung geht es um Aktivitäten nach der Zertifizierung. Also darum, wie verfährt man mit Fehlern, die im Nachhinein auftreten bzw. entdeckt werden. 

Ziel des Ganzen ist also, herauszufinden, was bei der Zertifizierung besser hätte laufen können und wie man erreichen kann, dass bei zukünftigen Zertifizierungen Designfehler als solche erkannt werden. 

Der Chat der Boeing Testpiloten

Das alles hat nichts damit zu tun, dass seit rund einer Woche ein haarsträubender Chatverlauf von zwei Boeing Testpiloten durch diverse Medien geistert. 

Dieser wurde unter anderem von Reuters veröffentlicht:

Dir alkoholberieselte Abendchat fand im November 2016 (also ein halbes Jahr vor der ersten Auslieferung der MAX) statt. 

Hierin unterhalten sich die beiden Testpiloten darüber, dass aus Ihrere Erfahrung MCAS zum falschen Zeitpunkt eingreift. Ein Sensorfehler (bei den beiden Abstürzen war es jeweils der fehlerhafte Input des AOA (Angle of Attack) Sensor der Kapitänsseite der der MCAS fehlerhaft auslöste) wird dabei nicht erwähnt. In diesem Chat schreibt einer der Piloten, dass er nun einige böse Emails versenden wird. 

Da mit den zugelassenen und ausgelieferten Flugzeugen keine unangemessenen MCAS Eingriffe bei korrekten Sensorwerten bekannt geworden sind, könnte es also auch sein, dass die dort besprochenen Fehler bis zur Auslieferung behoben waren und mit dem Fehlverhalten bei den Unfällen nichts zu tun haben. Könnte.

Jedenfalls geht es in dem Trubel um den Chat Verlauf primär darum,  wann und an wen diese Daten von Boeing weiter gegeben wurden. 

Der Untersuchungsausschuss im amerikanischen Kongress erhielt die Unterlagen offenbar bereits direkt im Frühjahr nach dem zweiten Unfall. Als einzige erfuhr die FAA erst vor zwei Wochen offiziell davon und beschwert sich nun zu Recht darüber. Es geht also wieder einmal darum, dass von den Behörden die Linke nicht weiß, was die Rechte tut und umgekehrt. 

Link zu den Beiträgen auf flugundzeit zu den 737-Max Abstürzen und den Hintergründen.


Kommentare

4 Antworten zu „Die 737 Max Empfehlungen und der Chat“

  1. Heinz Krings IBK

    Hallo Frau Kleisny,

    vielen Dank für diesen Beitrag, das Thema „Max“ bleibt spannend!

    Herzliche Grüße vom Niederrhein Heinz Krings

  2. Flugkapitän

    Vielen Dank für den sachlichen Bericht.
    Schon seit einiger Zeit weiß vermutlich jeder, dass die Zertifizierung der 737 MAX unzulänglich war, dass es generell immer eine dumme Idee ist ein solches System wie das MCAS nur an einen Sensor zu hängen, und dass überzogener Druck des fachlich nicht qualifizierten Managements (eine Krankheit, die leider fast alle Manager befällt) zu schlechten Lösungen führt.
    Deshalb war es unnötig, dass der Spiegel diese Woche da noch mal drauf drischt.
    Irgendwie habe ich dabei leider den Eindruck, dass zum Beispiel der Spiegel glaubt, dass das nur im Zusammenspiel von Boeing und der FAA passieren kann.
    Sind Airbus und die EASA da unfehlbar?

    Seit mehr als 2 Jahren fliegt der A320 NEO nun schon, als im Sommer heraus kommt, dass es im Go Around Probleme mit zu großem Pitch Up Moment gibt, wenn der Schwerpunkt zu weit hinten liegt. Es droht Kontrollverlust, wenn die Crew nicht richtig reagiert. Als Folge besetzt Lufthansa die letzte Sitzreihe ihrer A320 NEOs nicht mehr, bis die Flugsteuerung ein Software Update erhalten hat. Wohlgemerkt dies tritt auf ohne Sensorfehler! Hatte die EASA alle Informationen als die Änderungen von A320 auf A320 NEO genehmigt wurden. Hatte die EASA die Expertise dazu, oder war auch die EASA auf die Airbus Ingenieure und Testpiloten angewiesen?

    Vor einigen Jahren frieren bei einem Airbus zwei von drei AOA Sensoren im Steigflug aus Bilbao ein. Der dritte, richtig anzeigende Sensor wird von der Flugsteuerung unterdrückt, da Airbus das System so programmiert hat, dass die Mehrheit siegt, auch wenn sie falsch liegt. Dass die Werte der eingefrorenen Sensoren auch dann gleich bleiben, wenn das Flugzeug seine Fluglage deutlich ändert, sie also ganz offensichtlich „stuck“ sind, beachtet die Software nicht. Mit im Steigflug zunehmender Machzahl beginnt die Envelope Protection die Nase runter zu drücken. Der Autopilot steigt aus und der Crew gelingt es den Sturzflug zu verhindern. Da die Envelope Protection aber sowohl die Trimmung als auch die Höhenruder beeinflusst, muss die Crew zwei Drittel aller Airdaten ausschalten und sich selber damit richtige und wichtige Information nehmen, um die Envelope Protection unmöglich zu machen und den Flieger ins so genannte „Direct Law“ zu zwingen. Das Flugzeug landet schließlich am Zielflugplatz ohne dass der Fall in die Öffentlichkeit gerät. Airbus lässt den Fehler von anderen Crews im Simulator nachfliegen. Fast alle stürzen ab.

    Eilig wird das, was die Crew des Bilbao Fliegers als rettende Lösung gemacht hat als Notverfahren an alle Betreiber veröffentlicht. Eine Verbesserung der Software dauert Jahre. Inzwischen ist sie implementiert. Sie achtet nun darauf, ob sich die Sensorwerte überhaupt ändern. Warum war sowas offensichtliches nicht von vornherein implementiert? Wusste die EASA bei der Zulassung davon? Hätte die EASA die Expertise gehabt, das aus eigenen Stücken zu bemerken?

    Mitte der 90er Jahre haben mehrere Lufthansa A320 erhebliche Probleme mit vereisten Pitot Rohren. Da die Flightcrews alle proficient sind im Pitch und Power fliegen, kommt es zu keinen Problemen. Dennoch rüstet Lufthansa sofort alle Flugzeuge mit Pitot Rohren eines anderen Herstellers aus. Diese haben eine bessere Heizung und frieren nicht ein. In 2009 fliegt ein in 2005 gebauter A330 der Air-France über dem Südatlantik in Turbulenz und Vereisung ein. Obwohl seit Bekanntwerden der Vereisungsprobleme 10 Jahre vergangen waren hat Airbus diesen A330 mit den unzulänglichen Pitot Rohren ausgeliefert. Alle 3 Fahrtmesser fallen aus. Die Crew verliert die Kontrolle. Das Flugzeug stürzt ab. Wie war das mit Punkt 12 der Empfehlungen der JATR (Verhalten bei Problemen, die nach der Zertifizierung auftreten)? 10 Jahre waren vergangen und der Schrott wurde immer noch verbaut!

    Leider finde ich gerade die reißerischen Artikel des Spiegels über die drei Beispiele nicht. Die waren echt lesenswert……

    1. Welcome back 🙂 und danke für die Worte. Sehe ich auch so…
      Man kann nicht nur einen bashen und gerade, wenn es nur zwei Player in der Kategorie gibt und es beim anderen genauso zugeht, er nur halt mehr Glück mit seinen Kunden hatte… dann ist der Spiegelbeitrag dieser Woche zur 737 Max unjournalistisch, simpel und einfach reißerisch der untersten Kategorie.

  3. Nikolaus Neininger

    Bitte macht mir keine Angst! Wenn es noch nicht einmal in der Luftfahrt funktioniert, daß man mit drei Sensoren einen brauchbaren Wert für das System hinbekommt – wenn dann um mich herum autonom fahrende Autos sind, die pro benötigtem Parameter maximal einen haben? Und das ohne irgendwie ausgebildeten Fahrer, der außerdem gerade auf seinem Handy daddelt?

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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