Abschlussbericht Lion Air Absturz

Es ist vollbracht. Fast genau ein Jahr (29. Oktober 2018) ist der erste Absturz einer Boeing 737 Max her, nun gibt es den Abschluss-Untersuchungsbericht (Final Report) der Indonesischen Flugunfalluntersuchungsbehörde. Und er ist, wie es sich gehört, sehr objektiv.

Nach Angaben der indonesischen Flugsicherheitsbehörde wurde der Absturz einer Lion Air 737 MAX im vergangenen Jahr durch eine Verkettung von fehlerhafter Flugzeugkonstruktion, schlechter Leistung der Piloten und fehlerhaften Wartungsarbeiten verursacht. Der Abschlussbericht vom 29. Oktober 2018 listete neun Ergebnisse auf, die eine Kausalkette bildeten, die schließlich zum Absturz von Lion Air 610 führten.

Die fast neue 737 MAX stürzte 10 Minuten nach dem Start in Jakarta ins Wasser. Die Besatzung verlor die Kontrolle aufgrund eines gestörten Trimm-Subsystems namens MCAS, doch laut indonesischem Bericht waren auch Fehler im Training, schlechtes Cockpit Ressource Management und unzureichende Wartung schuld.

„Soweit wir wissen, haben neun Dinge zu diesem Unfall beigetragen“, sagte der indonesische Flugunfallermittler Nurcahyo Utomo in einer Pressekonferenz, in der die Ergebnisse des Berichts bekannt gegeben wurden. „Wenn einer der neun nicht vorgekommen wäre, wäre der Unfall vielleicht nicht passiert“, fügte er hinzu.

Eine Kette von Fehlern

Laut einer Präsentation des indonesischen National Transportation Safety Committee ging Boeing von „Annahmen über die Reaktion von Piloten auf Störungen aus, die sich, obwohl im Einklang mit den aktuellen Branchenrichtlinien, als falsch erwiesen haben.“ Aus diesem Grund ging Boeing fälschlicherweise davon aus, dass Eingaben von einem einzigen Anstellwinkelsensor an das MCAS ausreichend seien und machten es damit anfällig für fehlerhafte Daten dieses einzelnen Sensors.

Gemeint ist hier, dass Boeing davon ausging, dass ein Weglaufen des Trimms, also ein Trimm Runaway, ob nun ausgelöst durch MCAS oder andere Probleme, von einer Crew immer als solcher erkannt und der Trimm dann sofort dauerhaft ausgeschaltet wird. Dies fordert zumindest die Trimm Runaway Prozedur auf allen B737 Derivaten schon immer.

Außerdem hätten die Handbücher von Boeing und die Schulung der Fluggesellschaft keine ausreichenden Informationen für die Piloten geliefert, um auf eine nicht befohlene MCAS-Aktivierung zu reagieren, von der sie nichts wussten. Die Agentur teilte außerdem mit, dass eine Nichtübereinstimmungswarnung (AoA Disagree Alert) – die die Besatzungen auf einen Ausfall einer der beiden AoA-Sensoren der MAX aufmerksam machen würde – nicht korrekt aktiviert war und daher weder den Flugbesatzungen die Diagnose des Fehlers noch den Wartungstechnikern der Fluggesellschaft die Diagnose eines falsch kalibrierten Sensors ermöglichte.

Mangelhafte Wartungsarbeiten

Der fehlerhafte AOA-Sensor war von einer Firma in Florida als überholtes Ersatzteil gekauft wurden. Nur wenige Stunden nach dem indonesischen Absturzbericht widerrief die FAA das Reparaturzertifikat dieser Firma.
Das Komitee sagte, es könne nicht feststellen, ob der Einbau des reparierten AoA-Sensors ordnungsgemäß getestet wurde, sagte jedoch, dass die Fehlkalibrierung nicht erkannt wurde und das Flugzeug in einem nicht lufttüchtigen Zustand gestartet sei. Die Kalibrierung des Sensors war laut Bericht 21 Grad fehlerhaft. Die Untersuchung ergab, dass in den Flug- und Wartungsprotokollen keine Einträge vorhanden waren, sodass die Unfallbesatzung nicht wusste, dass ein Flug am Vortag aufgrund des fehlerhaften MCAS einen Runaway Trimm hatte. Diese Besatzung hatte das Stabilisator-Trimmsystem nach der fehlerhaften MCAS-Aktivierung deaktiviert, den Fehler jedoch nach der Landung nicht ordentlich dokumentiert.

Mangelhafte Ausbildung und Pilotenleistung

Der Bericht sagt, dass die Piloten der Lion JT 610, des Unfallflugzeugs, durch mehrere Warnungen, wiederholte MCAS-Aktivierungen und zahlreiche ATC-Kommunikationen abgelenkt wurden und den Notfall nicht effektiv bewältigten, was teilweise an einem schlechten Ressourcenmanagement der Besatzung lag. Der Ausschuss stellte fest, dass diese Mängel bereits in der Ausbildung festgestellt worden waren und während des Unfallfluges erneut aufgetreten waren. Bei der Aktivierung des MCAS benötigte der Erste Offizier vier Minuten, um die richtige Checkliste zu finden und er war mit den erforderlichen Memory Items nicht vertraut.

Anmerkung FlugundZeit: Memory Items sind Handlungen und Reaktionen auf bestimmte Fehler, die von der Crew jederzeit ohne Nachschlagen in den Unterlagen, also aus der Erinnerung, fehlerfrei beherrscht werden müssen.

Während des Trainings war derselbe Pilot damit aufgefallen, dass er mit den Standard-Betriebsverfahren von Boeing und der Fluggesellschaft nicht vertraut war und nur über schwache fliegerische Leistung verfügte. Obwohl der Kopilot (FO) in einer 737 mit 4286 Stunden auf diesem Typ erfahren war, spiegelte sein Trainingsrekord zahlreiche Mängel wider, einschließlich „schwerwiegender Probleme“ bei der Steuerung des Flugzeugs und überstürzten und unsauber gesteuerten Anflügen.

Der indonesische Bericht listet eine Reihe von Empfehlungen auf, einschließlich spezifischer Verbesserungen in der Art und Weise, wie Lion Air und seine Wartungs-Subunternehmen die Wartung dokumentieren und wie Piloten ungewöhnliche Ereignisse dokumentieren und weiterleiten sollte. Es wurden jedoch keine konkreten Empfehlungen für eine verbesserte Ausbildung der Lion Air-Piloten abgegeben.


flugundzeit hatte über den Lion Air Absturz (1) und den zweiten Absturz (2) einer 737 Max hier (1) und hier (2) berichtet.

Ein Gedanke zu “Abschlussbericht Lion Air Absturz

  1. Allerbesten Dank für diese ausführliche Zusammenfassung! – ich fürchte, man wird das anderswo nicht lesen können…

    In der Regel ist es tatsächlich so, daß mehrere Fehler zusammenkommen müssen, damit ein Unfall passiert – was ja eigentlich auch beruhigend ist.
    Es gehen allerdings einige davon letztlich auf die Rechnung der Fluggesellschaft (Einbau und Kalibrierung, Fehlerdokumentation, Pilotenausbildung), so daß es dann doch nicht so viele sind, jedenfalls keine neun gänzlich unabhängigen.
    Wo ich beim Lesen allerdings große Augen gemacht habe: ‚Kalibrierung um 21 Grad fehlerhaft‘!?!
    Wer macht den so etwas? Das ist ja nicht viel besser als gewürfelt!

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