Interstellar

Dieses Jahr hat so einiges verändert im Alltag von uns allen. Manche Dinge, Orte, oder Veranstaltungen wurden obsolet – zumindest in der Art, wie wir sie bisher genossen. Das ist schlimm für die, die darin bisher ihren Lebensunterhalt bestritten, aber es ist der Lauf der Welt. Das einzig bleibende ist die Veränderung.

Kinos etwa kämpften schon vor Corona ums Überleben. Nun sehen mehr und mehr Menschen, die früher noch lineares Fernsehen und Popcorn knabbernde und raschelnde Sitznachbarn als gegeben ansahen, dass es durchaus angenehmere Alternativen gibt: Mediatheken und Streamingdienste. Sie ermöglichen auch, dass man einen Film sehen kann, der im Kino schon längst passé ist.

Interstellar ist ein Science Fiction Film aus 2014 mit vielen bekannten Schauspielern: Matthew McConaughey, Anne Hathaway, Jessica Chastain, Michael Caine – um nur einige zu nennen. Die Musik stammt vom Frankfurter Komponisten Hans Zimmer. Das alles ist aber nicht der (einzige) Grund, warum dieser Film besonders und sehenswert ist. Es gab zudem eine enge Zusammenarbeit zwischen Regisseur Christopher Nolan und dem Wissenschaftler und Theoretischen Physiker Kip Thorne. Und der konnte sich bis auf wenige unwesentliche dramaturgische Ausnahmen mit seinem Fachwissen im Drehbuch durchsetzen. Die praxisnahe Umsetzung der Physik, wie weit die Wissenschaft sie heute kennt, ist das Herausragende an Interstellar.

Worum geht es?

In einer zeitlich nicht näher bestimmten Zukunft ist die Erde von Katastrophen, Hungersnöten und Dürren heimgesucht. Um das Überleben der Menschheit zu sichern, soll ein Team von Wissenschaftlern einen für Menschen lebenswerten Planeten finden. Dazu fliegen sie in ein neu entdecktes Wurmloch in der Nähe des Planeten Saturn…

Filmkritik

(1) Der Film wurde einerseits hochgelobt und als Nachfolger von Stanley Kubrick’s Odyssee 2001 gehandelt. (2) Andererseits bemängeln andere, dass die Charaktere nicht die Nähe vermitteln, die man in einem Spielfilm normalerweise erwartet. Beide Ansichten sind nachvollziehbar.

(1) Nein, er hat nicht die Klasse von Odyssee 2001. Kommt dem Vorbild aber doch sehr nahe. Kubrick konnte außergewöhnliche Kamerafahrten und Einstellungen, die auch nach 50 Jahren noch Bahnbrechend sind, mit wissenschaftlichen Vorstellungen, die damals ebenfalls weit über alles bekannte hinaus gingen, in einem der besten Filme aller Zeiten vereinen.

Trotzdem – und deshalb ist Interstellar so sehenswert: Es gibt keinen anderen Spielfilm, der heutige wissenschaftliche Erkenntnisse über Quantenphysik, Relativitätstheorie, Zeitverschiebung und die Auswirkungen der Gravitation so populärwissenschaftlich und sehenswert darstellt. Auch wenn man sich nicht mit moderner (seit 1980 etwa) Physik intensiv befasst, lernt man beim Zusehen praktisch im Vorbeigehen viel Neues. (Für alle, die dann doch wissen möchten, was genau dahinter steckt, kann ich die Bücher von Brian Greene empfehlen.)

(2) Es gibt halt keine gängige Liebesgeschichte. Der emotionale Konflikt, den jeder Film braucht, spielt sich hier zwischen Vater und Tochter ab. Bringt aber auch genügend Stoff zum Nachdenken über schnelles und langsames Altern. Und, warum sich Menschen wann wie entscheiden. In diese Problematik wird man als Betrachter mehrfach hineingezogen und alles, was zum Nachdenken anregt, ist gut. 🙂

Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.

Beginn eines Gedichtes von Dylan Thomas, das sich durch den Film zieht.

Physikalisch interessant ist die Darstellung unserer 3-dimensionalen Welt in einer Welt mit fünf Dimensionen, im sogenannten Tesserakt, der neuen Welt für das Überleben der Menschheit.

Es ist immer leicht, von einer höheren Dimension auf eine niedrigere herab zu schauen (zu projizieren). Umgekehrt fällt es uns (dem Filmzuseher) natürlich schwerer, sich in die 5. Dimension hinein zu versetzen.

Eine 3-dimensionale Kugel ist auf einem zweidimensionalen Blatt Papier ein Kreis. Wer weiß, wie ein Haus (3-dim) aussieht, kann allerdings auch einen (2-dim) Grundriss „lesen“. Aber (theoretische) zweidimensionale Plattwesen, die sich nur entlang einer Kugeloberfläche in zwei Dimensionen bewegen können, haben kaum eine Vorstellung davon, was sich auf dem (3-dim) daneben liegenden Würfel abspielt.

Link zu Zitaten aus dem englischen Original. Link führt zur IMDB.

Cooper: Who the hell is they? Why would they want to help us, huh?
TARS: I don’t know, but they constructed this three-dimensional space inside of their five-dimensional reality to allow you to understand it.
Cooper: Well, it ain’t working.
TARS: Yes it is! You’ve seen that time is represented here as a *physical* dimension! You’ve worked out that you *can* exert a force across space-time!
Cooper: Gravity. To send a message.
TARS: Affirmative.
Cooper: Gravity can cross the dimensions, including time.

Leben mit der vierten Dimension

Die Problematik, uns dreidimensionalen Wesen eine vier- oder noch mehrdimensionale Welt zu veranschaulichen, hatten die Filmer von Interstellar. Eine Welt, in der auch die Zeit eine echte Dimension ist und daher vorwärts, rückwärts und gleichzeitig existiert. Und da mag der eine oder andere Zuseher dann vielleicht nicht mehr ganz die Physik dahinter nachvollziehen können. Macht aber nichts, die Handlung von Interstellar an sich ist trotzdem verständlich.

Es gibt eben verschiedene Tiefen des Filmes für unterschiedliche Betrachter. Das ist das Schöne daran.

Prädikat: absolut sehenswert – alleine, zu zweit, in der Familie oder getrennt und die gemeinsame Diskussion darüber per Telefon oder Chat hinterher.


Anmerkung: Ich habe den Film im englischen Original gesehen. In deutschen Streamingdiensten gibt es ihn aber sicher auf deutsch.


Kommentare

2 Antworten zu „Interstellar“

  1. Nikolaus Neininger

    Es ist immer schön, wenn zu wesentlichen physikalischen Themen gute Darstellungen gemacht werden – vielleicht fängt irgendein Zuschauer an, tiefer darüber nachzudenken und hat eine gute Idee? Man nimmt so viel als gegeben und bekannt hin, was eigentlich selbst die besten Experten nur ansatzweise verstehen – besonders etliche „alltägliche“ Themen. Die Zeit ist da sehr zentral – und sehr schwierig: jeder hat damit zu tun und glaubt, sich damit mehr oder weniger auszukennen.

    Bei genauerer Betrachtung hat sich aber sogar Einstein vor einer tieferen Erforschung gedrückt („Zeit ist das, was man auf einer Uhr ablesen kann“) und später hat sich dann auch kaum jemand daran versucht: Wenn man nur ein wenig tiefer einsteigt, wird es sofort außerordentlich komplex – und langes Nachdenken ist heutzutage sehr hinderlich für eine Forscherkarriere.

    Persönlich haben mich bei diesem Thema von den lebenden zwei Wissenschaftler besonders fasziniert: David Deutsch (eigentlich Quanteninformationstheoretiker) und Julian Barbour. Ich muß aber zugeben, daß ihre Bücher auch für mich als promovierten Physiker erst beim wiederholten Lesen langsam klarer werden – und seine bisherigen Ansichten über die Zeit muß man erst einmal ganz ignorieren…

    1. Vielen Dank für die Anregungen, werde ich mir (nach dem Durcharbeiten des derzeitigen Bücherstapels) gerne ansehen.

      Astrophysik war zu meinen Studienzeiten nichts, was mich auch nur im entferntesten interessiert hätte. Aber nachdem nun einiges in der Physik zusammen wächst, was zusammengehört an Theorie, oder zumindest versuchter Theorie, freunde ich mich auch mit so was Abstrusem 🙂 wie Calabi-Yau-Spaces an.

      Die Aussage in meinem Studium zu n-dimensionale Berechnungen (aka Welten): „Wir lassen nun „n“ gegen unendlich gehen und kurz vor dem Unendlichen kürzen wir durch…“ war mir schon immer suspekt. Zeigte aber nur, dass wir eben noch vieles nicht wussten. Was auch weiterhin zutrifft. Es bleibt noch immer genug zu beweisen und zu entdecken. Ich glaube, dass in diesem Jahrhundert Physik wieder so spannend wird wie zu Heisenbergs/Bohr… Zeiten.

      Macht zurzeit noch nicht viel Sinn (= hat noch keinen bekannten physikalischen Hintergrund), aber mir fiel die Ähnlichkeit von Mikrometeoriten und einigen Calabi-Yau-Shapes auf. Könnte das nicht wie bei Kristallen sein, dass durch die Entstehung der Mikrometeoriten, die ja nun in die Anfänge unseres Sonnensystems fällt, Prozesse stattfanden, die analog zu Kristallen, die ihren Aufbau in der Makrostruktur widerspiegeln, auch das Aussehen von Mikrometeoriten ihre innerste Struktur der Teilchen (Calabi-Yau-Shapes) zeigt?

      Youtube-Link zu einem, der Mikrometeoriten sammelt. Er wurde auch in der bei Apple TV zurzeit viel beworbenen Dokumentation von Werner Herzog: Fireball vorgestellt.

      Übrigens: Alle Annahmen und Thesen in der Physik wurden anfangs und manche lange Zeit belächelt, bis sie zu Allgemeinwissen wurden 😉

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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