
Die 10 dicksten, größten, dümmsten und so weiter zieht im Netz immer. Warum also nicht auch als Buchtitel?, mag sich Autor Ilja Bohnet gedacht haben. Der promovierte Physiker arbeitet am DESY in Hamburg und an der Uni Hamburg als Experimentalphysiker. Er weiß also, wovon und worüber er schreibt. Auch die 42 ist zumindest in der Fachliteratur ein gern genommener Begriff, entlehnt vom Klassiker: Per Anhalter durch die Galaxis. (Wäre, wenn nicht so alt bekannt, durchaus ein Weihnachtstipp auf flugundzeit 😉 )
Irgendwie sind die (Buch-)Tipps in diesem Jahr sehr Physiklastig, zugegeben. Ist halt ein Thema, mit dem ich mich gerade wieder einmal etwas mehr beschäftige und sicher auch für andere gut, die aus dem tristen Alltag zurzeit zumindest gedanklich in höhere Ebenen entschweben wollen. 🙂 ( –> Humor hilft immer).
Zurück zu den 42 größten Rätseln. Im Journalismus sind solche Extreme verpönt. Vielleicht reagiere ich deswegen allergisch darauf. Unter fünf Menschen den größten oder den schwersten herauszufinden, mag objektiv machbar sein. Aber die schönste Stadt oder das größte Rätsel – das ist ein Anspruch, der auch für einen Wissenschaftler etwas zu hoch gegriffen ist. Nun: Ein Buch ist mehr als sein Titel. Sehen wir uns also den Inhalt an.
Die einzelnen Kapitel ( = die besagten 42 Fragen) sind 12 Physikgebieten zugeordnet, die chronologisch historisch den jeweiligen Wissensstand der Zeit behandeln. Beginnend mit der Klassischen Mechanik bis hin zur Teilchenphysik und Kosmologie. Man sollte also, wie es auch der Autor vorschlägt (trotz des Titels, der dies nicht so nahelegt), das Buch von Anfang bis Ende lesen und nicht etwa gleich zu Frage 19: Wie funktioniert Bewusstsein? hinspringen, nur weil das einen mehr interessiert als etwa die Rätsel der heißen Plasmen…
Das Buch ist ein schöner Rundumschlag der Physik, von ihren Anfängen bis hin zu den neuesten Erkenntnissen, es zeigt in leicht genießbaren Wissenshäppchen (Fragen) die Geschichte des physikalischen Wissens der Menschheit auf.
Der Fließtext ist nicht so reißerisch geschrieben wie der Titel oder die Fragen-Überschriften formuliert sind. Man merkt, dass da ein Wissenschaftler schreibt. Es ist alles richtig, was er schreibt, aber um mich zu packen, wenn mich das Thema nicht interessieren würde, könnte man im Stil noch ein Schäufelchen drauflegen.
Leicht lesbar trifft zu, indem die dargestellte Welt und deren Probleme nachvollziehbar und auf einem sehr allgemein verständlichen Niveau beschrieben sind. Man kann das Buch locker verstehen, ohne ein Physikstudium absolviert zu haben. Allerdings geht mein Anspruch an „leicht lesbar“ weiter, in dem Sinne, dass es auch vergnüglich sein muss, packend, zum Schmunzeln anregt und eben ein Pageturner ist. Das trifft auf den Schreibstil definitiv nicht zu.
Vielleicht ist das hart geurteilt. Bohnet’s Buch ist das Gegenteil von Brian Greenes Büchern – im speziellen seine letzten beiden: Das elegante Universum: Superstrings, verborgene Dimensionen und die Suche nach der Weltformel und Der Stoff, aus dem der Kosmos ist. Greene (ich las die englischen Originale und weiß nicht, wie weit sich das auf die Übersetzung anwenden lässt) hat einerseits eine wunderbare literarische Eloquenz und andererseits gerade in seinen Bodenständigen Vergleichen zum Alltag so viel Humor, dass man manchmal aus dem Schmunzeln nicht mehr herauskommt – bei der gleichen Thematik, zumindest, wenn es um den Stand der Physik heute geht.
Allerdings und jetzt kommt das aber (warum ich Greenes Bücher nicht in die Tipps aufgenommen habe), ist die Thematik auf einer inhaltlich derart hohen Ebene angesiedelt, bei der selbst der Autor zugibt, dass manche Leser vermutlich in der zweiten Hälfte des Buches aussteigen. Und deshalb kommen wir wieder zurück zu den 42 Rätseln. 🙂
Geeignet: Für alle, die (nicht nur ihrem Körper 😉 sondern auch) ihrem Intellekt in Corona-Zeiten etwas mehr gönnen mögen als Netflix-Serien. Bohnet setzt nichts an Wissen voraus, nur Neugier und generelles Interesse an der Welt und unserem Leben.
Und in diesem Sinne, trotz aller hier geschriebenen Kritik, hat das Buch seinen berechtigten Platz in den Weihnachtstipps von flugundzeit verdient!
Das Buch hat mich gerade heute erreicht – nachdem ich mich schon ein paar Wochen darauf freue. Ich bin auf die Lektüre gespannt!
Viele Grüße, Becky