Handbuch für Zeitreisende

(c) Rowohlt

Wenn nur ein Buch aus der diesjährigen Vorschlagsliste, dann dieses. Im Frühjahr 2020 wurde es veröffentlicht, im Sommer hatte ich es gelesen. Nein, regelrecht verschlungen. Es hat einen tiefsinnigen, unheimlich coolen Humor, lässt einen weiter denken und ist absolut ungewöhnlich.

Eigentlich sagt der eher unspektakuläre Titel alles. Aber vielleicht auch nichts, wenn man es noch nicht gelesen hat. Denn, wer bitte braucht ein dröges „Handbuch“ für etwas, das es so in unserem Leben nicht gibt? Und da genau liegt der Witz. Denn Kathrin Passig und Aleks Scholz spintisieren so herrlich über Dinge, Reisen, Orte und Zeiten, die nur im ersten Moment als absolut unmöglich in dieser Kombination erscheinen. Schon nach wenigen Zeilen ist der Leser (m/w/d…) so im Geschehen verfangen, dass er/sie/es selbst weiterspinnt und sich überlegt, was noch unbedingt „in den Koffer“ mit muss.

Die goldene Ära des Zeitreisens ist angebrochen. Zeitreisen sind heute sicherer, komfortabler und erschwinglicher denn je. Das eröffnet endlose Möglichkeiten für aufregende oder erholsame Ausflüge in die Vergangenheit. Vorbei die Zeit, in der man immer in dieselben Jahre reiste, weil das Angebot überschaubar war…

So beginnt das (Hand-)Buch. Und schon wenige Seiten später hinterfragt keiner mehr, wozu man dieses Buch unbedingt braucht… 🙂

Wie wäre es mit einer Zeitreise zu einer der Weltausstellungen? London 1851, New York 1853/54, Paris 1855 oder London 1862? Nach offensichtlich ausgiebiger Recherche der tatsächlichen Gegebenheiten und des Ortes und der Wissenschaft und der Leute zur angegebenen Zeit schreiben die Autoren so nüchtern, dass man sich weg biegt vor Lachen auf was sich der Reisende dabei einstellen muss. Zwar sind es nur herausgepickte Rosinen aus der Geschichte, aber nach dem Lesen ist man mit Sicherheit klüger. Und selten funktioniert das sonst so beschwingt und leicht und nebenbei.

Dass das Mittelalter in der Praxis nicht ganz so lebenswert war, wie in Hochglanzfilmen meist dargestellt, wird einem klar, wenn man das Kapitel dazu im Handbuch nachliest. Auch die (Zeit-)Reise „Durchs wilde Pleistozän“ hat in der durchdachten „Praxis“ so ihre Haken und ist maximal nach Meinung der Autoren für Outdoor liebende Abenteurer geeignet.

Zur groben Orientierung können Sie Landkarten aus der Gegenwart mitnehmen.… Von einer Eiszeit erzeugte Täler oder Hügel sind eventuell noch nicht vorhanden… Immerhin sind die Kontinente dort, wo Sie sie erwarten.…Es gibt bereit Skandinavien genau wie heute… sogar die Britischen Inseln, nur dass diese Inseln mit dem Festland verbunden sind… Verlassen Sie sich nicht zu sehr auf Ihren Kompass. Das Magnetfeld der Erde dreht sich im Laufe der Erdgeschichte immer wieder einmal um, und dabei verkehren sich die Pole. Zuletzt geschehen… Auf die Sterne ist mehr Verlass, aber auch hier ist Vorsicht geboten…

Wir wollen ja nicht alles spoilern. Es wäre wirklich schade. Das muss man selber lesen. In allem Detail 🙂

Empfehlenswert auch die Recherchen zur Reise an den Anfang des Universums (wär‘ doch mal was anderes?) und die ausführlichen Überlegungen, warum es sich selten lohnt, bei einer Zeitreise in die Vergangenheit für immer da zu bleiben.

Und spätestens jetzt fragt man sich doch, warum keine Zeitreisen in die Zukunft beworben werden? *Tja, auch das erklären die beiden Autoren sehr ausführlich und wissenschaftlich fundiert. Im Buch nachzulesen, wen es interessiert. 🙂

Einigen Platz nehmen auch die Überlegungen für Weltverbesserer ein. Denn, wenn schon in die Vergangenheit reisen – dann könnte man doch auch so manches Übel verhindern oder gleich die Welt verbessern, dann hätten wir es heute leichter. Aber genau überlegt, hat auch das so sein Tücken. Siehe *, wir wiederholen uns nur ungern.

Den dritten Teil des Buches bilden praktische Informationen für Zeitreisende, auf die schon zuvor häufig verweisen wird. Also etwa Benehmen, Bezahlen, Kleidung, Ernährung (Wasser mitnehmen oder doch eher Klopapier?), was bringt man mit und wie funktioniert das mit der Fortbewegung und Übernachtung, halt so alles, was man vor einer Reise auch sonst bedenken muss.

Mit anderen Worten: Sie benötigen dringend einen neuen Reiseführer.

Dem kann sich flugundzeit nur anschließen…

Geeignet: Für alles und jeden ohne Einschränkung. Oder anders formuliert: Kein Bücherbord sollte ohne dieses Buch weiter existieren müssen. Da muss man nicht einmal Corona bemühen, mit: In Zeiten wie diesen, ist Reisen… und so fort

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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