Update zum Sriwijaya Air Absturz

Der Originalbericht auf flugundzeit zu diesem Absturz stand hier. Nun gibt es einen vorläufigen Unfallbericht des indonesischen Komitee Nasional Keselamatan Transportasi (KNKT / National Transportation Safety Committee).

Aus dem KNKT Bericht

Nach dem vorläufigen Unfallbericht, der am Mittwoch vom indonesischen Komitee KNKT veröffentlicht wurde, hatte Sriwijaya Air Flight 182 vor dem Absturz in der Java-See am 9. Januar 2021 asymmetrischen Schub aus den beiden Triebwerken. Daten des Flugdatenschreibers (FDR) der Boeing 737-500 zeigten, dass sich der Schubhebel für das linke Triebwerk des Flugzeugs nach hinten (zu geringerem Schub) bewegte, während die Schubhebelposition des rechten Triebwerks gleich blieb, als das Flugzeug kurz nach dem Start von Jakarta durch 8.150 Fuß stieg.

Zu diesem Zeitpunkt flog das Flugzeug mit eingeschaltetem Autopiloten und eingeschaltetem Autothrottle. Der Trend setzte sich fort, bis das Flugzeug 10.900 Fuß erreichte. Zu diesem Zeitpunkt schaltete sich der Autopilot ab und das Flugzeug rollte um mehr als 45 Grad nach links. Als sich fünf Sekunden später auch der Autothrottle abschaltete, befand sich die 737 in einem Neigungswinkel von 10 Grad Nose-down (Nase unter dem Horizont).

Das Flugzeug stürzte um 14.40 Uhr Ortszeit, ungefähr vier Minuten nach dem Start, ab. Es wurden keine Notfall-Meldung der Crew empfangen.

Wartungsprotokolle zeigen, dass der Autothrottle des Flugzeugs vor dem Unfall zweimal, einmal am 3. Januar und einmal am 4. Januar, als „defekt“ gemeldet worden war. Die Arbeiten am System und die Tests nach der Wartung wurden mittels des eingebauten Selbsttest des Systems (BITE) durchgeführt. Das Ergebnis ergab jeweils: Test bestanden.

Zum Zeitpunkt des Unfalls hatte der Kapitän 17904 Flugstunden, davon 9023 Stunden auf der Boeing 737. Der Copilot hatte 5107 Flugstunden mit 4957 Stunden auf B737. 

Nach der Speicherkarte des Voice Recorders wird noch gesucht. Man erhofft sich davon Aufschluss darüber, im wieweit der Crew bewusst war, dass der Schub auf dem linken Triebwerk umkommandiert zurück ging.


Analyse der nun bekannten Fakten durch Flugundzeit

Der Asymmetrische Schub führt dazu, dass das Flugzeug um die Hochachse dreht. Alle Flugzeuge dieser Größenordnung (B737) können mit einem komplett ausgefallenen Triebwerk und maximalem Schub auf dem verbliebenen Triebwerk problemlos geradeaus fliegen. Das müssen sie logischer weise können, sonst würde die Redundanz eines zweiten Triebwerks keinen Sinn machen.

Die Asymmetrie wird dabei durch das Seitenruder, das ein Gegendrehmoment erzeugt, ausgeglichen. Wird das Seitenruder nicht betätigt, dreht der Flieger in die Richtung zum Triebwerk mit dem geringeren Schub. Dadurch ist die vorlaufende Tragfläche jetzt aber besser durch die Luft angeströmt und das Flugzeug beginnt ebenfalls um die Längsachse zu rollen. Es legt sich sozusagen in die Kurve.

Diese Rollbewegung kann durch die Querruder bis zu einem gewissen Maße unterdrückt werden. Wenn das Flugzeug, wie in diesem Fall nach links drehen und rollen möchte, dann kann mit Querruder nach rechts die vorlaufende rechte Fläche zunächst nach unten gedrückt und die rückläufige linke Fläche nach oben gedrückt werden. Dadurch bleiben die Flächen waagerecht. Das Flugzeug schiebt seitlich durch die Luft. Dadurch baut das Seitenleitwerk das Gegendrehmoment auf, welches den asymmetrischen Schub kompensiert.

Das ist nicht schön und nicht die richtige Strategie. Doch bei geringen Schubunterschieden funktioniert das halbwegs. Sobald aber die Querruder ihren maximalen Ausschlag erreicht haben – und das geschieht sehr bald – genügen die Querruder nicht und es muss das Seitenruder verwendet werden.

Die B737 flog zum fraglichen Zeitpunkt mit dem Autopiloten und eingeschaltetem Autothrottle. Die Aufgabe des Autothrottle war, im Steigflug beide Triebwerke auf maximale Steigleistung zu regeln. Aus einem noch nicht bekannten Grund reduzierte jedoch der Stellmotor des linken Triebwerks aber die Leistung.

Der Autopilot, der in der B737-500 nur auf die Höhen- und Querruder, nicht aber auf das Seitenruder, einwirken kann, versuchte nun mit den Querrudern (wie oben beschrieben) den Flieger gerade zu halten. Als der maximale Ausschlag erreicht war und der Autopilot sich nicht mehr in der Lage sah, den Flieger gerade zu halten, schaltete sich der Autopilot ab.

Dadurch gingen die Querruder schlagartig auf neutral zurück und der Flieger drehte um die Hoch- und Längsachse abrupt nach links. Der Auftriebsvektor der Flächen zeigt jetzt nicht mehr nach oben, sondern zur Seite. Die Nase fällt durch die Horizontlinie und der Flieger befindet sich in einer Steilspirale Richtung Boden.

Das ist sicherlich keine schöne Situation. Bedeutet aber auch nicht, dass man jetzt unweigerlich abstürzen muss.

Der Flieger befindet sich jetzt in einer ungewöhnlichen Situation. Einem sogenannten Upset. Was jetzt erfolgen muss, ist die entsprechende Upset Recovery. Also das Abfangen dieser Situation. 

Laut Untersuchungsbericht ist im Trainingshandbuch der Airline Upset Recovery Training, wie vorgeschrieben, auch vorgesehen.

Wie sähe die Recovery nun aus?

Zunächst sollte der Schub reduziert werden, da das Flugzeug gerade unheimlich schnell wird. Dadurch würde auch der Grund des Übels (asymmetrischer Schub) eliminiert. Zweitens sollte der Anstellwinkel der Flächen reduziert werden, indem die Steuersäule nach vorne gedrückt wird. Die Flächen sind zwar in dem hier beschriebenen Fall nicht im Stall (zu hoher Anstellwinkel) doch ein reduzieren des Anstellwinkels erhöht stets die Wirksamkeit der Querruder und Rollspoiler. Diese werden jetzt gebraucht, um die Flächen in die Waagerechte zurück zu bringen. Sobald das erreicht ist, zeigt der Auftriebsvektor wieder nach oben und der Flieger kann durch Ziehen am Steuer aus dem Sinkflug abgefangen werden. 

Es bleiben Fragen offen

Warum erkannte die Crew nicht, dass der Schub auf dem linken Triebwerk zurück gefahren wurde? Bei der B737 bewegen sich (im Gegensatz zu Airbus-Flugzeugen) die Schubhebel auch dann, wenn der Autothrottle den Schub steuert. Der Pilot sieht die Veränderung also nicht nur an den Instrumenten, sondern auch an der Schubhebel-Stellung/Bewegung. Zudem hört man das.

Warum erkannte die Crew nicht, dass das Querruder immer weiter nach rechts ausgeschlagen wird? Beide Piloten sitzen direkt hinter den großen Steuerhörnern, die sich in der B737 (im Gegensatz zu den Side-Sticks in einem Airbus) auch dann bewegen, wenn der Autopilot fliegt.

Warum wurde von den Piloten nicht erkannt, dass die Steigleistung schlechter wird? Sowohl die Steigrate (Vertical Speed), als auch die Pitch (Nickwinkel des Flugzeugs) entsprachen nicht mehr den Erwartungen.

Kurz: Warum kam es nicht zur Upset Prevention? (Verhindern des Flugzustandes)

Dann stellt sich natürlich die Frage, warum es nicht zur Upset Recovery kam? (Behebung des Flugzustandes)

Dabei sollte man natürlich nicht den „Startle Effect“ (Schreck) unterschätzen, der vermutlich einsetzte, als das Flugzeug plötzlich nach links wegdrehte.

Allerdings sei erwähnt, dass bei dem Uncontained Engine Failure den Southwest Airlines Flug WN-1380 am 17.04.2018 erlebte, ein eben solcher Upset in noch stärkeren Ausmaß (Schubausfall schlagartig auf null – ohne vorherige Ankündigung! gepaart mit einer Rapid Decompression (Druckabfall) in der Kabine) vorkam. Die Recovery der Kapitänin wird in dem Artikel und in den Untersuchungsberichten allerdings nicht erwähnt, weil sie schlicht als selbstverständlich angesehen wird für eine Airline Crew. 

Für die Untersuchungsbehörde ist es nun entscheidend, den Speicher-Chip des Stimmen-Rekorders zu finden, um besser zu verstehen, was die Crew von alldem bewusst mitbekam, oder ob es eben doch noch ganz andere Zusammenhänge gibt, die sich aus den Aufzeichnungen des Flugdaten-Rekorders so nicht ersehen lassen.

Für technisch Interessierte Leser stellt sich sicher noch die Frage, wie das Autoflightsystem eines A320 die Schubasymmetrie verarbeitet hätte.

Das Autoflightsystem eines Airbus (im Gegensatz zur Boeing-737) kann das Flugzeug um alle drei Achsen steuern. Es greift also auch auf das Seitenruder und die Seitenrudertrimmung zu. Mit zunehmendem Schubverlust des linken Triebwerks wäre also das Seitenruder mittels Trimmung langsam ausgeschlagen worden. Die Querruder wären nicht verwendet worden. Wenn dann der Autopilot ausgeschaltet worden wäre, dann wäre das Flugzeug auch um die Hochachse im Trimm gewesen und (mit verringerter Leistung wegen weniger Gesamtschub) geradeaus weitergeflogen.

Weitere Anmerkungen Flugundzeit

Bei einmotorigen Propellerflugzeugen gibt es etwas Analoges zu Schub-Asymmetrie: den P-Effekt des Propellers im Steig- und im Langsamflug.

Durch den höheren Anstellwinkel bei kleineren Fluggeschwindigkeiten ändert sich der relative Anstellwinkel des herunterlaufenden Propellerblattes auf der rechten Seite relatriv zu dem des hinauf laufenden Blattes auf der linken Seite.

Dadurch erzeugt das rechts herunter laufende Blatt mehr Schub, als das links hinauf laufende Blatt. Die Schubachse des Gesamtschubs läuft also nicht mehr durch den Mittelpunkt des Propellers, sondern ist nach rechts verschoben.

Dadurch will das Flugzeug nach links drehen um die Hochachse. Ausgeglichen wird das, wenn man es richtig macht, durch (Fuss-)Druck auf das rechte Seitenruderpedal. Oder man hält den Flieger mit rechtem Querruder auf Kurs und schiebt durch die Luft. Ist nicht ganz so angenehm für die Passagiere. Da aber im kleine Flugzeug die Schubasymmetrie überschaubar ist, funktioniert das in der Regel.

Es zeigt jedoch, dass der Pilot die Physik hinter dem Fliegen nicht verstanden hat. 

Das führt zum gängigen Witz unter Fluglehrern: Was ist die wichtigste Anweisung an den Flugschüler? More right rudder (Viel mehr rechtes Seitenruder). Das passt immer. 🙂

3 Gedanken zu “Update zum Sriwijaya Air Absturz

  1. Dumme Frage eines luftfahrttechnischen Laien: Gibt es einen nachvollziehbaren Grund (außer Kosten / Wartung), warum Airbus auf eine haptische Rückmeldung sowohl bei der Schubsteuerung als auch beim Sidestick verzichtet? Die notwendigte Technik existiert schon lange, und beim Sidestick findet man sie auch in der Zwischenzeit in jedem besseren PC-Flightstick verbaut. Liegt es daran, dass man meint, dass der Wechsel vom Rundinstrumente- zum Glascockpit haptische Rückmeldungen verzichtbar machen würde?

    Ich persönlich bin da sehr „oldschool“ und finde einen Drehknopf oder Schalter allemal besser als irgendeine virtuelle Schaltfläche auf einem Touchscreen, da ich haptische Rückmeldungen auch ohne direkten Augenkontakt „auswerten“ kann – und z.B. den Zustand der Straße durchaus über die Rückmeldung der Kräfte auf die lenkende Achse via Lenkrad auf meine Hände beurteile.

    Im Gegensatz bei meinem Kleintrecker erfolgt die Lenkung rein über eine Hydraulik auf die Lenkachse. Das hat zwar den Vorteil, dass nicht jedes Maulwurfsloch auf der Wiese, dass ich überfahre, zu einer Handgelenksverstauchung führt, da ich keine Rückmeldung auf das Lenkrad bekomme – aber so mit (viel) höherer Geschwindigkeit auf einer Straße möchte ich nicht unterwegs sein.

  2. Hallo Gedankenknick,

    bei der Entwicklung von Fly By Wire ging es natürlich darum: Gewicht und Kosten zu sparen.
    Gerade die mechanische Komplexität der Steuerung sollte reduziert werden.
    Man muss vielleicht auch bedenken, dass es sich um eine Entwicklung der frühen 80er Jahre handelt. Also nun auch schon 40 Jahre alt ist.
    Auch bei Airbus weiß man sicherlich, dass das fehlende Feedback und die fehlende Möglichkeit den Autopiloten oder den Pilot Flying bei der Steuerung des Flugzeugs „beobachten“ zu können indem man die Bewegungen des Sidesticks und der Schubhebel verfolgt, doch auch einige Nachteile hat.
    Ändern wird man das in absehbarer Zeit aber aus den gleichen Gründen nicht, die auch bei Boeing dazu geführt haben, die 737 immer weiter zu entwickeln ohne wirklich neu zu sein.
    Genau, ich spreche von den Kosten, Crews auf neue Flugzeuge zu qualifizieren. Man kann nur deshalb von einem A320 auf A3irgendwas in so kurzer Zeit (und zu so geringen Kosten) umschulen, weil alle die gleiche Steuerung haben.
    Wir erinnern uns: Das MCAS der 737 Max war nur dazu da, dass sich die Max genauso „anfühlt“ wie die alte Kiste.

    Es gibt aber auch noch einen anderen Grund, warum der Sidestick kein Feedback liefert:
    Nämlich die Philosophie, die Airbus hier umgesetzt hat.
    Dazu gehört, dass die Ausschläge des Sidestick nämlich nicht proportional zu den Ausschlägen der entsprechenden Steuerflächen sind, sondern für die Querruder einen „Roll Rate Demand“ und für die Höhenruder einen „G Load Demand“ darstellen.
    Beispiel:
    Um bei 200 Knoten eine bestimmte Rollrate zu erzeugen ist ein deutlich größerer Ausschlag der Steuerfläche nötig, als bei 340 Knoten. Der Ausschlag am Sidestick soll aber immer der gleiche sein. Außerdem soll er sich dabei immer mit der gleichen Kraft (eben nach der Philosophie: Gleiche Kraft = gleiche Rollrate) bewegen lassen. Also nimmt man einfach eine Feder als Rückstellgröße und benutzt einen Computer um aus dem „Demand“ den nötigen Ausschlag der Steuerflächen zu berechnen.
    Über die wirklichen Verhältnisse an den Steuerflächen liefert das allerdings überhaupt keine Rückschlüsse. Man spürt weder die Kraft, die auf die Steuerflächen einwirkt, noch kann man erkennen, wieviel Steuerweg noch übrig ist.
    Vergleicht man das mit der herkömmlichen Steuerung von großen Flugzeugen, dann muss man feststellen, dass auch da wegen der hydraulischen Unterstützung nur bedingt ein Feedback zum Kraftaufwand möglich ist. Allerdings sieht man sofort, wieviel Steuerweg noch übrig ist.
    Außerdem sieht man immer was der Autopilot gerade macht bzw. welche Ausschläge vom Pilot Flying gemacht werden, wenn er manuell fliegt.

    • Herzlichen Dank für die Erklärung. Jetzt ist mir die Philosophie dahinter klarer. Aber ich (als Laie auf dem Gebiet) mag mich mit dem Konzept immer noch nicht anfreunden.

      Gerade dass man sieht, was der Autopilot gerade macht, weil die Eingabegeräte mittels Aktuatoren im Sinne der Arbeit des Autopiloten verstellt werden, ist meines Empfindens nach eine Sicherheitseigenschaft.

      Einen Drucksensor an die Hydraulik anzuschließen und einen Servomotor relativ dazu eine Gegenkraft auf den Sidestick ausüben zu lassen (oder diese Gegenkraft ganze via Avionik virtuell zu berechnen) kann ich mir heutzutage wahrlich nicht so schwierig vorstellen – das ganze ist in diversen PC-Flugsimulatoren längst keiner Erwähnung mehr wert. Dass so ein System dann neu zugelassen und neu geschult werden müßte und damit eine dicke Erweiterung im Kostenblock wäre, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

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