Das kranke System Luftfahrt

(c) FuZ

In den letzten Wochen gab es etliche Near Misses mit Verkehrsflugzeugen in den USA. Near Miss, das ist, wenn es gerade nochmal gut gegangen ist, wenn die Flugzeuge sich aber einander oder übereinander viel zu nahe gekommen sind für eine sichere Operation.

Der Grund liegt entweder in einer fehlerhaften Anweisung des Air Traffic Controllers oder bei den Piloten, die eine Anweisung überhört oder falsch verstanden haben.

Bis jetzt ist alles nochmal gut gegangen, weil die jeweils andere Seite aufpasste und prompt reagierte. Aber: Wer sich in der Luftfahrt aktiv (nicht als Passagier) bewegt, egal an welcher Stelle, weiß, dass es auch mal schief gehen kann und wird, verlässt man sich immer nur aufs Glück haben.

Das Problem liegt im Mangel

Es gibt zu wenig von allem: Menschen (Piloten, Air Traffic Controller, Boden Crews…), Material (Flugzeuge, Loader Fahrzeuge,…), Geld (das sicher einige Probleme zumindest verringern könnte).

Der Grund für den globalen Mangel im Luftfahrtsystem liegt in den extremen Sparmaßnahmen der Coronazeit: Entlassungen, brutale Ausmusterung von Fluggerät und zurückgestellte Aus- und Weiterbildungen des fliegenden Personals. Anstatt die Zeit der Ruhe zu nutzen, um für den Wiedereinstieg danach gewappnet zu sein, kam der radikale Kahlschlag des Systems.

Alle Prognosen, dass nach der Coronazeit die Nachfrage nach Flügen nennenswert sinkt, sind nicht eingetroffen. Wer kann und muss, fliegt wieder – Schwimmen über den Teich dauert und nicht jeder kann auf einen Speed Catamaran zurückgreifen…

(c) FuZ

Das System Luftfahrt pfeift aus dem letzen Loch

Luftfahrt ist ein System, das sich vielleicht in kurzer Zeit herunterfahren, aber beileibe nicht umgekehrt wieder von nahezu Null auf Vollast bringen lässt. Fluggerät wird zum Fliegen gebaut und nicht zum Stehen. Wie sorgfältig auch immer das Einmotten vonstatten ging, die technische Inbetriebnahme war um einiges langwieriger und mit oft unerwarteten Ergebnissen in der täglichen fliegerischen Praxis danach.

Zudem fehlen nun die Piloten. Die sind entweder in Frührente (nach der Idee: Wozu monatelange Umschulung, etwa vom entsorgten A380, auf andere Muster, wenn auch auf den anderen Mustern „zu viele“ Piloten vorhanden sind? Oder die heute noch beschäfigten Piloten flogen bis zu zwei Jahre kein Linienflugzeug und müssen nicht nur ihre Lizenz/ Rating erneuern, sondern auch die fehlende Praxis, die sogenannte Currency, wieder irgendwie herkriegen. Noch größerer Mangel herrscht an den Ausbildern, einer noch kleineren, speziellen Gruppe von Piloten, die das richten können und sollen…

Der mobile Fluglotse

Lösungen für den gravierenden Mangel an Fluglotsen sieht man bei Eurocontrol in der „Air Traffic Controller Mobility“.

Die Idee dabei ist, dass man eine europaweit gültige, einheitliche Controller-Zulassung anstrebt. Der Fluglotse/die Fluglotsin soll dann nach Bedarf in anderen Ländern im Center/Tower eingesetzt werden können.

Zwar ist die Idee nicht neu; sie geistert seit Jahrzehnten in der Branche. Scheiterte aber bisher an den nationalen Sperenzchen, die jedes Land auf europaweit gültiges Recht draufsetzt, an der unterschiedlichen Ausbildung der Lotsen in Qualität und Dauer, an den unterschiedlichen Computer-Systemen und den national abgewandelten Lufträumen.

Nun brennt der Hut. Der Mangel muss behoben werden und so werden die Rufe der nationalen CEOs nach Vereinheitlichung von Systemen und den Überlegungen, wie sich so eine Lizenz realisieren lassen könnte, lauter.

„Zunächst müssen die technischen Systeme harmonisiert werden“, sagt Marc Baumgartner, SESAR/EASA Coordinator, IFATCA. Im Prinzip sei die Funktionalität bei allen Systemen vergleichbar; so viele Unterschiede seien da nicht, meint er. Man müsse sie halt nur vereinheitlichen.

Und dann, so Baumgartner, müsse man in Systeme investieren, die die lokalen Gegebenheiten berücksichtigen und dies dem Lotsen abnehmen. Die KI soll es richten. Er vergleicht den nun erforderlichen technologischen Sprung mit dem der Einführung von Radar in der Flugsicherung. Controller müssten dabei eng mit den Ingenieuren zusammen arbeiten, um die lokalen Anpassungen in das System einzuarbeiten. Dann hätte auch eine einheitliche europaweit gültige Lizenz eine Chance.

Ein Problem bleibt: Wer bildet die Lotsen aus? Wie kann man verhindern, dass ein Land die Kosten für die mehrjährige Ausbildung trägt und der Mensch danach sich den best(bezahlt)en Arbeitsplatz in einem anderen Land aussucht?

„Denn“, so Baumgartner weiter, „wir sind kein attraktiver Arbeitgeber mehr, wir müssen den Beruf wieder attraktiv machen“.

Der CEO der Fintraffic Air Navigation Services, Raine Luojus, sieht für die Umsetzung Bedarf an „open minded people“, an Menschen, die an die Zukunft glauben, die auch ungewöhnliche Ideen umsetzen können und die vor allem die Herausforderungen auch angehen.

Austin Hallahan, Head of Training at Irish Aviation Authority and Managing Director, Entry Point North, fordert, dass sich das Training an die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts besser und schneller anpassen muss: „We need to be quicker“. Er fordert eine Überprüfung von Qualifikation und Dauer der Lotsenausbildung.

Da kommt natürlich die Frage auf (FuZ): Soll man sich an dem Land mit der kürzesten Ausbildung orientieren; aus Kostengründen und weil es eilt? Oder bei der Qualifikation auf ein Mittelmaß heruntersinken, weil auch das Kosten spart?

Was getan werden muss, um das Luftverkehrssystem wieder zu stabilisieren

  • Investition in Menschen und Systeme
  • Das System wieder attraktiv machen um gute Leute zu bekommen
  • Maximale Zusammenarbeit auf nationalem Level
  • FuZ: …und das alles schnell, bevor sich die Near Misses zu den totalen Crashs wandeln

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Alle Zitate stammen aus einem EurocontrolStrategietreffen am 1.3.2023 zum Thema:
AIR TRAFFIC CONTROLLER MOBILITY:
Can improving controller mobility help enhance European ATM system efficiency by reducing capacity costs and staffing delays?

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