Manche Menschen haben bereits im Sommer alle Weihnachtsgeschenke für sich und alle Lieben rundum nett verpackt im Schrank stehen. Andere lassen sich jedes Jahr wieder von Weihnachten überraschen und genau für die gibt es jetzt noch einige Last Minute Tipps für dieses Jahr: ebenfalls wie immer, zum Nach- und Weiterdenken, zum Inspirieren und Anregen der grauen Zellen.
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Auf einer Konferenz in 2011 (Future Tense) beschwert sich Autor Neal Stephenson, dass moderne Science Fiction überwiegend dystopische Welten beschreibt und kaum mehr Visionen liefert, die die junge Generation dazu bringt, nachzudenken oder Höchstleistungen zu anzustreben, keinen Drang fördert zu Forschen, neue Welten zu entdecken.
Aus der daraus folgenden Diskussion entstanden zwei zukunftsweisende Institutionen und Projekte: das Center for Science and the Imagination (CSI) an der Arizona State University (ASU) und das Projekt Hieroglyph (ebendort).
Das CSI fördert seither recht erfolgreich den Kontakt zwischen Wissenschaftlern /Ingenieuren und Autoren/ Filmemachern. Mit Veranstaltung an der ASU direkt, aber auch mit einem internationalen Netzwerk. Schon Studienanfänger sollen Kontakt bekommen mit den neuesten technischen Gadgets und besser noch, ihren Entwicklern, Wissenschaftler wiederum sollen mit Autoren connecten, die weiter denken als die vorhandene Realität es erlaubt und damit wiederum die Forscher zukunftsweisend inspirieren.
Neal Stephenson
Das Projekt Hieroglyph ist eines der Mittel, um diese hehren Ziele zu erreichen. Die Autoren und die Wissenschaftler sollen über Geschichten (Neudeutsch: Storytelling) mit Moon Shot Ideen zusammenkommen.
Eine Moon Shot Idee definiert sich dabei als ein großes Problem mit einer radikalen Lösung und einer bahnbrechenden Entwicklung, die diese Lösung in der nahen Zukunft möglich macht. Also keine Zauberstäbe, kein Hyperspace Antrieb – sondern einfache, große Ideen, wie die Welt sich komplett verändern könnte, in rund einer Lebensspanne, mit nur wenigen Eingriffen. Aber den richtigen.
Als erstes gab das von Neal Stephenson gegründete Projekt Hieroglyph zur Erfüllung seiner Bestimmung ein dickes Buch heraus: Es heißt simpel Hieroglyph – Stories and Visions for a Better Future. Anthologien, also Bücher mit Erzählungen unterschiedlicher Autoren zu einem Thema, sind oft inhaltlich oder stilistisch nicht überzeugend. Einige wenige gute Autoren als Zugpferde und etliche No-Names zur kostengünstigen Produktion des Herausgebers. Das ist bei dieser glücklicherweise anders.
Die Editoren Ed Finn und Kathryn Cramer wissen worüber sie editieren. Der gestandene Journalist und Stanford Absolvent Ed Finn ist Professor an der ASU und Gründungs-Direktor des CSI. Die Mathematikerin Kathryn Cramer war jahrelang Co-Editor von Year’s Best Fantasy Series und Year’s Best SF Series, und hat als Editor namhafte Preise erhalten.
Dementsprechend sorgfältig sind auch die Autoren des Buches selektiert: Entweder sind sie bereits bekannte SF Autoren oder sie haben sich in der Forschung und Publikation ihrer Forschung einen Namen gemacht.
Unser Ziel ist, große technische Ambitionen wieder zum Leben zu erwecken durch die Macht des Storytellings. Kühne Projekte wie der Hoover Damm, die Pyramiden, die Mondlandung, geschahen nicht nebenbei. Sie waren zuvor Visionen, die zur Realität wurden, um das Leben anderer Menschen zu verbessern. Wenn wir eine bessere Zukunft für unsere Nachfahren wollen, dann müssen wir mit besseren, mit stärkeren Visionen starten.
Ed Finn und Kathryn Cramer
Themenmäßig starten die Erzählungen an technisch möglichen Visionen aus der derzeitigen Forschung: Reisen zu anderen Planeten, Rohstoffgewinnung auf Asteroiden, der 20 Kilometer hohe Turm von der Erde aus darf natürlich nicht fehlen, Gehirnforschung mit Aktionenvorhersage und -Änderung, Wissensspeicherung, 3D-Drucker für Maschinen und menschliche “Ersatzteile”. Künftige Sensoren und Mensch-Maschine-Schnittstellen. Der Kampf der individuellen Freiheit gegen den alles beherrschenden Staat. Oder wie wäre es mal mit Problemen von zweidimensionalen Wesen?
Wichtig war den Editoren bei der Auswahl der Geschichten, dass sie aus heutiger Sicht in naher Zukunft technisch machbar sein sollen und so für den Leser nachvollziehbar sein sollen. Neben der Grundvoraussetzung der spannenden Handlung und der guten Schreibe.
Einige der Ideen haben bereits zu neuen Forschungsgruppen an der ASU geführt. So wird etwa der prinzipiell schon seit vielen Jahrzehnten diskutierte erdgebundene Turm als Startrampe nun genauer von Ingenieuren auf seine physikalischen Möglichkeiten untersucht. Was genau sind die Grenzen, an der eine Realisation (bisher) scheitert?
Auch wenn es sich süffig leicht liest, hat das Buch doch wissenschaftlichen Hintergrund. Der macht sich durch die Story Notes des Autors am Ende jeder Geschichte bemerkbar, sowie den Hinweisen und Links zu Online Diskussionen zum jeweiligen Thema. Zu jedem Autor steht am Ende des Buches auch ein kurze Tätigkeits-Beschreibung; was ihn in den erlauchten Kreis der Buchautoren geholt hat.
Zurzeit gibt es meines Wissens das Buch nur auf Englisch. Vielleicht findet sich ja ein (wissenschaftlicher?) Verlag, der sich der Übersetzung annimmt? Lohnen für die Zukunft würde sich die Kooperation über den Atlantik allemal.