oder “ Vom Sinn und Unsinn, immer die (der Nase nach) billigste Variante zu wählen“.
Der Flugfunk an großen Flughäfen ist manchmal spannender als jeder Fernsehkrimi. In diesem Fall nicht einmal wegen starken (vollkommen unerwarteten) Schneefalls im Winter sondern mitten im August.
Vor einigen Tagen am Flughafen Frankfurt:
Während einer Wetterlage mit stark böigem Südwind ändert der Tower in Frankfurt kurzfristig von Anflugrichtung 07 auf 25, also statt nach Westen, nun den Anflug nach Osten auf die Bahnen.
Flugzeuge, die sich schon auf dem Gegenanflug zum Instrumentenanflug ILS auf die Bahn 07R befanden, bekamen nun wieder Vektoren für einen Anflug, nun auf die Piste 25L. Allen voran flog ein A320 der spanischen Billig-Fluggesellschaft Vueling.
Der Vueling Pilot, dessen Flugzeug nun auf die 25L anfliegen soll, fragt mit nervöser Stimme nach, ob es ein ILS (Instrumentenanflug) sein wird. Der Fluglotse antwortet mit: „Most probably yes. But to be sure prepare the VOR 25L because the ILS is still off the air as long as there is traffic on the ILS 07R.“
Ein Anflug mit einem ILS ist ein sogenannter Präzisionsanflug, bei dem die Technik fliegerisch den Piloten viel abnimmt. Allerdings müssen dazu viele Werte (zusammenpassend für die korrekte Bahn und Richtung!) in den Bordcomputer (FMS) eingegeben werden. Ein VOR Approach (Anflug) zählt zu den Nicht-Präzisionsanflügen, bei denen die Crew fliegerisch mehr selber machen muss. Die Flugsicherung vermeidet, die ILSe für beide Anflugrichtungen „überlappend“ eingeschaltet zu haben, da sie sich gegenseitig stören können. Und dann gibt es noch den Anflug nach Sicht (weiter unten erwähnt), bei dem weder das FMS, noch der Autopilot, noch der sogenannte Flight Director dem Piloten das Fliegen abnimmt – also ein Anflug, bei dem sich gerade unter schwierigen (Wind-)Bedingungen zeigt, ob der Pilot den Flieger beherrscht, oder ob er nur stur im tagtäglichen Einsatz nach vorgegebenen Prozeduren Knöpfe drücken und Checklisten abarbeiten kann.
Die Vueling Crew bestätigt den VOR Approach. Als sie im Queranflug ist, bietet ihr der Fluglotse nun doch das ILS 25L an, die Technik wurde rechtzeitig umgeschaltet. Der funkende Pilot der Billig Airline rastet nun verbal aus. In gebrochenem Englisch belehrt er den Fluglotsen, dass man bei diesem Flugzeug nicht alle paar Minuten den Anflug ändern kann, da das mit sehr viel Arbeit verbunden sei.
Extrem kostenbewusste Airlines setzen gerne 1:1 die Verfahren im Cockpit ein, die Airbus für ihre Flugzeuge veröffentlicht hat, anstatt eigene zu implementieren, da das billiger ist als für die Airline adaptierte zu entwickeln und diese ständig an die Technik anzupassen. Das Problem ist jedoch, dass die Verfahren von Airbus nicht etwa besonders gut und durchdacht sind im Hinblick auf einfache und schnelle Handhabung, sondern sehr komplex ausfallen und der Crew oft unnötig Handlungen und ausschweifende verbale Konversationen (Briefings) auferlegen. Sie sind eher darauf abgestimmt, dass im Falle eines Falles der Hersteller möglichst nicht belangt werden kann. Und auch, damit mit jeder Crew, unabhängig vom Ausbildungsstand, vom Land, der Sprache und den Sitten im Land (Hierarchiedenken, Machogehabe) ein Mindestmaß an Sicherheit gewährleisten sein soll.
Der Lotse nimmt die Beschwerde kommentarlos hin und gibt die Crew für den VOR-Approach frei. Die dahinter anfliegende A321 von Lufthansa, die vorher auch für den VOR Approach vorgesehen war, und dessen Daten bereits in ihr FMS (Bordcomputer) eingegeben hatte, erhält nun folgende Freigabe: „LH 123, turn left heading 280, cancel VOR, cleared ILS 25L“. Die Antwort der LH-Crew: “Heading 280 cleared ILS 25L“.
Der führende Deutsche Carrier setzte jahrzehntelang eigene Verfahren ein, intern von geschultem Personal erarbeitet, vom Luftfahrtbundesamt abgesegnet und angepasst an die gute Ausbildung der Lufthansa-Piloten, bei denen eben nicht jedes Krümelchen noch fünfmal besprochen werden muss, sondern man sich da auf die Leistung und die Kenntnis des anderen Piloten im Cockpit verlassen kann.
Die Verfahren alle intern nochmal zu erstellen und auf Stand zu halten, kostet Geld – wo es doch vom Hersteller Airbus bereits Procedures gibt, die von Nigeria Airlines bis zum Nordpol gültig und einsetzbar sein müssen. Nun wird im Zuge der Sparmaßnahmen seit Neuestem auch bei Lufthansa zu 90% nach Airbus Verfahren geflogen. In einem westlich orientierten Land, in dem (noch) eine vorzeigbare Firmen-Kultur, ein Mitdenken unter den Crews herrscht, wird die Rückkehr zu allgemeingültigen Herstellerverfahren von angestammten Lufthansa-Piloten als Rückschritt in die fliegerische Steinzeit gesehen und sehr beanstandet.
Die meisten Co-Piloten und Kapitäne, die schon länger bei Lufthansa fliegen, haben die „neuen“ Procedures von Airbus nur widerwillig gelernt. Sie sehen nicht ein, warum man sich verschlechtern muss, nur um intern innerhalb einer Fluglinie auf Standards zu gehen, die auch schlecht ausgebildeten Piloten und aus unterschiedlichen Ländern zusammengewürfelten Crews ein Mindestmaß an Sicherheit geben sollen.
Als die Vueling sich nun dem Sinkflug Profil des VOR Approaches nähert, erhält sie folgende Freigabe: „Maintain 170 knots till 6 miles final“. Die Antwort der Crew darauf: „Unable! This is a Non Precision Approach. We have to reduce to final approach speed now!“ Der Lotse: „Okay, reduce now and contact Tower on …“
Es ist problemlos möglich, mit einem A320 einen Non Precision Approach mit dem gleichen Geschwindigkeitsprofil zu fliegen, wie ein ILS. Selbst die Airbus Verfahren sehen das als Ausnahme vor, doch dafür muss man natürlich wissen, was man macht. Anstatt stur ohne Nachzudenken nur Prozeduren zu folgen – wohin der Trend der Piloten-Ausbildung auch bei führenden Carriern leider geht.
Zudem befanden sich die Flugzeuge zu diesem Zeitpunkt in Sichtflugbedingungen, die Landebahnen waren deutlich erkennbar für die Crews und man hätte zu jedem Zeitpunkt nach Sicht weiterfliegen können.
Durch die unerwartete und absolut unnötige Bremsaktion der Maschine auf dem VOR Approach mussten nun auch alle dahinter anfliegenden Maschinen ihre Anflugsgeschwindigkeiten reduzieren. Das Resultat: Ein Stau in der Luft.
Der Lufthansa-Flieger wurde gebeten, auf 170 Knoten zu reduzieren und der Vorausfliegenden nach Sicht zu folgen und selbständig Abstand zu halten und ebenso den Tower zu rufen. Was die Crew ohne Mullen und Knullen akzeptierte.
Auf der Towerfrequenz diskutierte die nun genervt wirkende Vueling Crew mit dem Lotsen, welches Fehlanflugverfahren denn nun zu fliegen wäre, wenn wegen des böigen Windes ein Durchstarten notwendig wird. Im FMS sei aus unerklärlichen Gründen der Fehlanflug für das ILS codiert, man fliege aber nun ja den VOR Anflug. Der Towerlotse sagte, ihm sei es egal und gab die Landung frei.
Beide Fehlanflugverfahren sind im wesentlichen gleich. Sie basieren beide auf dem Funkfeuer der Frankfurt VOR. Ein Umstand, den die überforderte Crew nicht mehr verarbeiten konnte.
Die Lufthansa wurde nun gefragt, ob sie auch auf der 25C landen könne, um wieder Luft zu schaffen für die als Perlenkette aufgestauten Flieger im Endanflug. Die Crew willigte sofort ein und wurde für den Sichtanflug auf die 25C freigegeben. Ohne FMS, ohne die Unterstützung eines Autopilots und ohne Flight-Director landete der Lufthansa-Airbus mit 20 Knoten Seitenwind sicher auf der 25C, während der Billig Carrier nach dem Durchstarten seinen Go Around abflog.
Ob es die Lufthansa-Crew stolz gemacht hat, dass der Towerlotse sie mit den Worten: „Danke LH-123!“ an den Vorfeld-Kollegen weiter geschickt hat, sei dahingestellt. Vermutlich waren ihre Gedanken eher bei den Passagieren und der Crew des vorausfliegenden Vueling Flugzeugs.
Dass dieser Billig-Carrier zum Verkehrshindernis und latent zum Sicherheitsrisiko für etliche dahinter anfliegende Flugzeuge wurde, liegt nicht an den handelnden Personen an Bord des Flugzeugs. Es liegt am fehlenden Verantwortungsbewusstsein des Managements solcher Airlines und an der Unwissenheit der Passagiere, die sich diesen Seelenverkäufern anvertrauen.
Wenn man Piloten nicht mehr ihrer in der Praxis geforderten Qualifikation nach bezahlt, sondern die Piloten nehmen muss, die für 40000 Euro im Jahr keinen besseren Job für ihre Qualifikation bekommen, dann sieht die Passagierwelt künftig bedeutend schlechter aus. Auch bei uns.
🙂 Und noch etwas: Es trudeln immer wieder Anfragen ein, wohin sich die 50jährigen Lufthansa Kapitäne wenden können, damit sie endlich auch nur ansatzweise die im Spiegel und der übrigen Presse stets gebetsmühlenartig wiederholten 200000 Euro Jahresgehalt bekommen können. Hinweise bitte an den FlugundZeit-Blog.