Flugunfälle mit Airlinern, die nicht mehr aufgeklärt werden können oder werden, haben wir genug gesehen. Von der Crashlandung einer Emirates B773 am 3. August 2016 liegt nun ein Vorläufiger Untersuchungsbericht der Flugunfalluntersuchungsstelle in Dubai (GCAA) vor.
Die Fakten laut Bericht
Die B777-300 war in Indien (Thiruvananthapuram) gestartet und flog ohne Probleme bis zur Crash-Landung in Dubai. Alle Passagiere und die Crew überlebten, einige mit Verletzungen.
Das Flugzeug machte eine lange Landung, weit vom Bahnbeginn entfernt; beide Hauptfahrwerke setzten auf, trotzdem leitete die Crew ein Durchstartmanöver ein. Dabei wurde das Fahrwerk eingezogen und das Flugzeug stieg kurzzeitig auf 85 Fuß (25 Meter) Radarhöhe, die Geschwindigkeit sank dabei auf 134 KIAS (angezeigte Geschwindigkeit in Knoten, 69 m/s). Dabei war das Fahrwerk noch im Einfahren, es war weder in der verriegelten Ein- noch in der Ausgefahren-Position, als das Flugzeug erneut auf den Boden trifft. Erst drei Sekunden vor dem Aufprall werden die Schubhebel manuell von Leerlauf auf maximalen Schub geschoben. Dadurch geht auch das Autothrottle Computer-System von Leerlauf- auf Schub-Mode.
Im vorläufigen Bericht ist eine Seite aus dem Operating Manual abgebildet, das die Verfahren beim Durchstarten beschreibt und da heißt es: „Das Drücken der TO/GA* Schalter ist wirkungslos, so lange der Flieger am Boden ist.“ Sie werden erst wieder freigegeben, wenn das Flugzeug in der Luft ist.
Daraus folgt, dass man nur in der Luft das Durchstarten durch Drücken der TO/GA-Schalter einleiten kann. Dadurch setzt das Auto Flight System Leistung und die Flight Director gehen in den Go-Around Mode. Nach dem Aufsetzen kann das Durchstarten nur manuell eingeleitet werden.
Synopsis
Es dauert mehrere Sekunden zwischen Schubhebel Nachvorneschieben und abrufbarer Leistung im Jet-Triebwerk.
Deshalb muss das Setzen von Leistung die erste Aktion beim Durchstarten sein. Beim Steigen ohne gleichzeitige Zufuhr von Schub wird der Flieger gefährlich langsam bis zum Strömungsabriss und so knapp über dem Boden endet dieser im Crash.
Die vom RAAS**-Computer gewünschte Landezone beginnt auf der Bahn dort, wo ein Flugzeug landet, wenn es mit dem üblichen Sink(An)Flug von drei Grad direkt auf die Bahn zufliegt und das ist 1000 Fuß (305 m) ab Bahnbeginn. Die Landezone ist üblicherweise 2000 Fuß (600 m) lang.
Der ursprüngliche, erste Touchdown mit beiden Hauptfahrwerken am Boden von Flug EK-521 war sanft und eine normale Landung. Allerdings ist diese so weit von Bahnbeginn und außerhalb der Touch Down Zone entfernt, dass der RAAS-Computer meckert: “Long landing, long landing”. Das erste Aufsetzen erfolgte weiter als 3000 Fuß (915 m) vom Bahnbeginn entfernt. Die Bahn 12L in Dubai aber ist mehr als 4 Kilometer lang und da wäre der Flieger noch zum Stillstand gekommen.
Das Flugzeug flog rund 15 Stundenkilometer schneller als die gewünschte Anfluggeschwindigkeit (vapp). Durch das nach hinten Ziehen des Steuerknüppels wird die überflüssige (kinetische) Bewegungsenergie in Höhe umgewandelt – der Flieger steigt kurzzeitig. Selbst wenn das Flugzeug genau mit Vapp fliegt, fliegt es noch mindestens 30 Prozent über der Stall-Geschwindigkeit – das ist die Geschwindigkeit, unter der ein Flugzeug eben nicht mehr fliegt – und diese zusätzliche Energie kann es nochmals kurzzeitig in Steigen umsetzen. Ohne weiteren Schub aber balloont der Flieger nur und fällt kurz danach mit einem starken Plumps zurück auf die Bahn. Ist dabei das Fahrwerk auch noch eingefahren, dann knallt er ohne Fahrwerk auf die Bahn.
Das Flugzeug prallte nach dem Strömungsabriss mit einer Sinkrate von 900 Fuß pro Minute (4,5 m/s) auf die Bahn und das wäre auch mit Fahrwerk eine extrem harte Landung geworden. Nach offizieller Definition ist jede Landung mit mehr als 600 Fuß pro Minute (3 m/s) Sinkrate eine harte Landung.
Kommentar eines Linienpiloten zur Entscheidung der Emirates Crew Durchzustarten: “Entweder startet man vorher durch, weil man sieht, dass es eng wird. Aber wenn das Hauptfahrwerk links und rechts den Boden bereits sicher berührt hat, und die Bahn ausreichend lang ist, landet man. Die Schubhebel waren im Leerlauf (idle), die Spoiler (Bremsflügel) waren ausgefahren, das Flugzeug war konfiguriert für die Landung. Es gibt einen weiteren RAAS-Callout, der besagt, dass die verbleibende Bahnlänge nicht mehr ausreicht für eine sichere Landung, aber das war hier nicht der Fall.”
Unterschied: Airbus- und Boeing-Flugzeuge beim Durchstarten
Bei Airbus-Flugzeugen wird das Durchstartmanöver durch das manuelle Nachvorneschieben des Schubhebels eingeleitet. Damit wird auch der Schub (Thrust) für den Go-Around gesetzt.
Bei Boeing gibt es einen sogenannten TO/GA*- Knopf, der beim Durchstarten von der Crew gedrückt werden muss. Glaubt allerdings der Computer, dass das Flugzeug bereits gelandet ist, dann muss zusätzlich manuell Schub mit dem Schubhebel gesetzt werden. Die Denkweise des Programmierers versucht offensichtlich zu vermeiden, dass ein unbeabsichtigtes Drücken des Schalters am Boden die Triebwerke auf Power setzt.
So wie die Fakten liegen, war sich die Crew nicht bewusst, was genau im Falle eines Aufsetzens oder Durchstartens im Computer passiert beziehungsweise gesetzt ist. Den TO/GA-Schalter zu drücken reicht in diesem Fall eben nicht aus. Man sollte wissen, dass in diesem Fall nach einer Landung zusätzlich manuell Schub gegeben werden muss.
Das Befolgen von Regeln ohne ausreichendem Hintergrundwissen nimmt in der Fliegerei generell zu. (Zitat von Cpt. Sully Sullenberger, der in einem extremen Notfall einen Airbus im Hudson gelandet hat und alle Menschen an Bord durch sein technisches Fachwissen und seine Menschenkenntnis sicher gerettet hat.)
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*TO/GA… Thrust für Takeoff und Go Around = Schub fürs Abheben und für Durchstartmanöver
**RAAS… Runway Awareness & Advisory System von Honeywell
RAAS liefert den Piloten Informationen, mit denen sie ihre aktuelle Position überprüfen können. Lufthansa war aktiv an der Entwicklung des RAAS beteiligt.
Ergänzung zum Bericht im Spiegel 35/2016 zur Übermittlung der Daten der Emirates Boeing
Noch vor Veröffentlichung des Vorläufigen Berichtes der GCAA gab es im Spiegel letzter Woche einen eine Seite langen Bericht zur unmittelbaren Datenübermittelung aus dem Flugzeug nach dem Crash. Das wurde da als Zukunftsversion einer idealen Black Box für alle geschildert.
Das stimmt so nicht ganz.
Würde ein Lufthansa-Flieger (was hoffentlich nie passiert!) in Frankfurt crashen, dann würden die Daten auch heute bereits unmittelbar gezielt an die Flugsicherheitsabteilung von Lufthansa geschickt werden, solange der QAR (Quick Access Recorder) Computer noch Strom hat. QAR sammelt die gleichen Daten wie die Black Box zur statistischen Auswertung der Flugdaten. QAR ist im Gegensatz zur Black Box nicht Crash geschützt.
Früher wurden die Daten auf CDs gespeichert. Sobald die Festplatte bis zu einem bestimmten Wert voll geschrieben war, wurde eine CD erstellt und diese manuell getauscht. Das war umständlich. Die Technik ändert sich.
Mittlerweile werden die Daten per Handynetz versandt. Das allerdings aus Kostengründen nur, wenn der Flieger im Heimatland am Boden ist.