BASE ist nicht Fallschirmspringen

Könnten Sie mal einen Artikel über die gefährlichste Form des Fallschirmspringens schreiben, dem (Wingsuite-)Base-Jumping bzw Wingsuite-Proxy-Flying. Ich schreibe dies, weil im August mit Alexander Polli und Uli Emanuele zwei echte Szenegrößen tödlich verunglückten, deren Youtube-Videos sehr bekannt und beliebt waren.

Wie stehen Sie zum Base-Jumpen? Suizidale Idioten oder Pioniere mit anderem Risikoverhalten, die an ihre Grenzen gehen und uns spektakuläre Aufnahmen hinterlassen?


Im obigen Post, der mich vor einigen Tagen erreichte, sind einige hammerharte Statements enthalten, zudem auch etliche berechtigte Fragen.

Fallschirmspringen, BASEen und Wingsuits sind drei Begriffe, die zwar für den normalen Fußgänger vielleicht zusammenpassen, in der Realität aber ein Mix aus unterschiedlichen Bereichen sind.

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Pilot Charles Lindbergh, der dreimal (in fliegerischen Notfällen) seinen Fallschirm öffnete

Fallschirmspringen ist nun ja, eben Fallschirmspringen. Mittlerweile fast schon ein Allerweltssport. Man springt alleine oder in Gruppen von einem Fluggerät aus der Luft ab und öffnet spätestens rund 800 bis 1000 Meter über Grund seinen Fallschirm, fliegt dann weiter mit diesem bis zur Landung. (Alles sehr platt, Springer mögen mir verzeihen.)

Das Wort B.A.S.E. ist ein Akronym, das aus folgenden Teilen besteht: B…Building (Gebäude), A…Antenna (Sendemast), S…Span (Brücke), E…Earth (Felsen, Klippen).

BASEer springen also von feststehenden Objekten. Sie haben auch andere Sprungsysteme als Fallschirmspringer. Das gilt für das Gurtzeug und auch den Fallschirm. Den Fallschirm, denn ein Objektspringer hat normalerweise keinen Reserveschirm (wie ihn Fallschirmspringer haben müssen) im Gurtzeug, weil für eine Aktivierung keine Zeit (=Höhe) vorhanden ist. Auch der Absprung ist anders: Der BASEer hält üblicherweise seinen Hilfsschirm beim Losrennen/Abspringen bereits in der Hand. Es gibt auch andere Auslösearten.

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Sprunganzug aus den 80ern für eine damals moderne Disziplin namens Freestyle (balletähnliche Bewegungen im Freifall). Buchcover.

Fallschirmspringen ist weltweit ein ziemlich gut durchorganiserter und durchregulierter Sport. Es gibt nationale Lizenzen, nationale und internationale Wettbewerbe, Weltmeisterschaften und alles, was eben zu einer Sportart gehört.

BASE-Springen ist in den meisten Ländern dieser Erde verboten. Genauer gesagt ist es überall dort verboten, wo es  nicht explizit erlaubt ist. Das gilt auch für Deutschland. Für BASE gibt es keine offiziell anerkannten Schulen oder Ausbildungsstätten. Und auch keine offen zugänglichen Lehrbücher.

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Einer der ersten BASEer: Carl Boenish. Beide Boenish-Bilder sind aus dem Buch (1971): The Wild, Wonderful World of Parachutes and Parachuting (so viel Zeit muss sein). Autor Bud Sellick verstarb 2015.

Ja, es gibt Fallschirmspringer, die auch BASEen. Sogar Weltklassespringer. Es macht sogar sehr viel Sinn, wenn man ein erfahrener Springer ist und erst dann mit dem BASEen beginnt, und wenn man dazu noch jung und extrem reaktionsschnell (Körper und Geist) ist.

Im Gegensatz dazu beginnen manche Fallschirmspringer erst mit 40 oder 50 Jahren. Und es gibt auch etliche 80jährige, die noch sicher für sich und andere springen.

Piloten haben in Notfällen mindestens mehrere Minuten Zeit, um ihre Handlungen zu entscheiden und umzusetzen, Fallschirmspringer wenige Sekunden und BASEer Sekundenbruchteile.

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Eine neue Erfindung sind Wingsuits definitiv nicht. Allerdings sehen sie heute besser aus und sind auch wirkungsvoller als die klobigen Baumwollanzüge der ersten Jumpsuits.

Nun zum Wingsuit. Erstaunlicherweise ist er eigentlich so alt wie das Fallschirmspringen selbst, das sich in den 1960ern aus den USA als zivile Sportart entwickelte. Die ersten “Sprunganzüge” hatten damals in Action-Filmen schon Stoff unter den Armen (ausgebreitete “Flügel”), weil man sich davon mehr Auftrieb erwartete.

Gypsy Moths (1969) mit Burt Lancaster, Gene Hackman und Scott Wilson ist ein uriger Film aus dieser Zeit. Dann wurden die Anzüge immer enger und  körpernaher (“Ganzkörperkondom”) bis man einsah, dass es mehr von der Ausprägung des einzelnen Springers (Gewicht zu Körpergröße) und von der ausgeführten Art des Freifalls abhängt, wie der Anzug beschaffen sein sollte.

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I-Bird ein Einsteigermodell zum Wingsuitfliegen. Foto: TonySuits

Wings, also ausfaltbarer Stoff zwischen Armen und dem Körper und zwischen den Beinen sollen den Fall verlangsamen. Das begannen zuerst nur die Fotografen zu nutzen, als sie noch mehrere Kilos an Video- und Foto-Kameras am Kopf trugen. Die Höhe über dem Boden, ab der der Freie Fall beginnt, bestimmt die Zeit, die einem vor der Öffnung des Fallschirmes und damit einer sicheren Landung bleibt. Wenn ich bei gleicher Höhendistanz zum Boden aber mehr horizontale Distanz fliegen kann, dann ist mehr Zeit für Spaß und Sicherheit übrig.

Das nutzen Fallschirmspringer, aber eben vor allem auch BASEer, bei denen die Freifallzeit aufgrund der niedrigen Absprunghöhe extrem kurz ist, um diese zu verlängern und damit auch größere horizontale Distanzen im Freifall zurückzulegen. Wingsuits dienen also aufgrund der verlängerten Freifallzeit der Sicherheit und sind nicht per se gefährlich.

Allerdings sind Wingsuits eine weitere Komplexität, die ich als Springer zu beachten habe (mehr Handgriffe, mehr Möglichkeiten, dass etwas schief geht). Komplexität kann man aber auch durch beabsichtigte Wasserlandungen, Event- oder Rekordsprünge oder vieles andere mehr erhöhen. Man sollte eben wissen, was man tut, und was welche Konsequenzen hat. Ein ausgezeichneter Artikel fürs Beginnen mit dem Wingsuit-Fliegen stammt von Rolf Brombach; er war entweder im FreifallXpress oder in den Pink News (für Springer).

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Masai – das Trackingmodell Foto: TonySuits

Unter Proximity Flying versteht man das Fliegen über Hängen und entlang der Bergrücken. Das kann man mit Fallschirmen (eher Gleitschirmen) machen, aber auch mit Wingsuits. Letzteres ist riskant und man sollte über die Auf- und Abwinde an welchen Hängen zu welcher Tageszeit im Fluggebiet Bescheid wissen. Mit Planung und Wissen ist vieles machbar; nicht für jeden, aber sicher für einige.

Zu spezifischen BASE-Abstürzen möchte ich mich nicht äußern. Diese Beurteilung steht mir nicht zu. Im Gegensatz zu Flugunfällen lässt sich hier nicht immer im Nachhinein genau bestimmen, was der Grund des Absturzes bei einem erfahrenen BASEer war. Was er gedacht hat und warum er eine vielleicht notwendige Handlung nicht (schnell genug) gesetzt hat.

Dass es immer im Leben Menschen gibt, die etwas sehen und denken: ach, das kann ich auch locker – obwohl ihre Kenntnisse und auch ihre Disziplin weit davon entfernt sind, ist leider Tatsache.

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Um mit dem Jedei zu fliegen, sollte man schon einige Erfahrung mit Wingsuits haben. Foto: TonySuits

BASEen ist stark risikobehaftet, dessen ist sich aber jeder im Klaren. Es ist wie immer im Leben eine Abwägung von persönlichem Einsatz/Aufwand und Output. BASEer generell (Ausnahmen gibt es wie überall) sind sicher keine “suizidalen Idioten”. Ja, es sind Menschen, die an ihre Limits gehen. Wie Rennfahrer und andere Extremsportler. Sie tun das meist für sich und weniger, um “anderen spektakuläre Aufnahmen zu hinterlassen“.

Zwei Aspekte, deren Diskussion sicher ohne Ende ist und ohne einer unwiderlegbaren Zahl als einfachen Output:

1 Auf die Gefahren beim BASEn mit Proximity Flying durch Wingsuits fokussiert dieses Video.

2 Dass Menschen, die das tun, ihr Leben leichtsinnig aufs Spiel setzen, streite ich ab (erneut, generell gesehen, die Mehrheit, einzelne sind stets ausgenommen). Springer sehen wie alle Menschen, die an ihre Grenzen gehen, das Leben als etwas Besonderes, aus dem man mehr herausholen kann, als auf der Couch zu sitzen und von da aus über andere und deren Leben zu lamentieren. Die intensive Vorbereitung zu einem Extremsprung und das Absagen dessen, wenn etwa der Wind dem Tag absolut nicht passt, gehören genauso dazu wie der Sprung selbst. Zu Leben, heißt Leben zu erfahren, mit jeder Faser Deines Körpers zu spüren und die Zeit, die du auf diesem Planeten hast, bestmöglich zu nutzen. Letzteres ist für jeden etwas anderes. Für manche langt eine Fahrt auf der Achterbahn, andere erleben das bei ihrem ersten Sprung (und danach), und bei wieder anderen setzt dies erst beim Proximity Flying ein. Darüber zu urteilen, wie jemand dies umsetzt (ohne anderen dabei zu schaden!) halte ich für anmaßend.

Ein Link zum VDO (Verein Deutscher Objektspringer), dem hiesigen BASE-Verband (so etwas kann es auch nur Deutschland geben 😜). Wer sich ernsthaft fürs legale BASEen in Deutschland interessiert, möge bitte vor seinem ersten Sprung Kontakt mit dem VDO aufnehmen.