Wie vermittelt man Wissenschaft?

Ein lesenswerter Beitrag auf Spiegel Online zum Thema: Wie wirkt und wie vermittelt man Wissenschaft. Einige dort aufgeführte Aussagen von Ernst Peter Fischer (studierte Mathematik, Physik und Biologie, lehrt Wissenschaftsgeschichte an der Uni Heidelberg) sind hier als Zitate gesetzt.

Basis vieler Äußerungen von Fischer ist, dass in den Redaktionen keine Reporter mehr sitzen, die auch fundiertes Wissen zu den Dingen haben, über die sie schreiben (resp. aus dem Internet zusammenschreiben). Haben wir auch im FlugundZeit-Blog schon mehrfach diskutiert. Stimmt leider noch immer.

Wissenschaft könnte man am ehesten über Personen bekannt machen, das zeigen doch andere Themen.

Spiegel Online widerspricht Fischer hier leider. Dabei gab es in den USA einige Beispiele dafür, wie das funktionieren kann. Die Extremste mit der Figur Charlie Eppes in der US-Serie Numb3rs brachte Logik, Mathe, Kombinatorik und Suchalgorithmen ins private Wohnzimmer. Spannend, nachvollziehbar und über sechs Staffeln hinweg sehr erfolgreich. Drehort für die Außenaufnahmen war das California Institute of Technology (CalTech) in Pasadena. Consultant für alle Fragen aus der Mathematik, die einen Hauptreiz der Sendung ausmachen, war Wolfram Research, die die mathematisch-naturwissenschaftliche Suchmaschine Wolfram Alpha entwickelten und betreiben. Die Serie umfasste insgesamt 118 Episoden und war der Vorgänger und die Voraussetzung für weitere erfolgreiche Serien wie CSI und NCIS.

Aus dem Vorspann von Numb3rs:

Wir wenden täglich Mathematik an. Um das Wetter vorherzusagen, Zeit zu messen, Geldgeschäfte abzuwickeln. Mathematik ist mehr als nur Formeln und Gleichungen. Sie ist Vernunft. Mit ihr kann unser Verstand die größten Rätsel lösen, die wir kennen.

In Österreich gab es vor Jahren eine Serie, die sich nannte: Alles Leben ist Chemie. Als Kind sah ich eine Vorabendserie, in der ein Mädchen in etlichen Folgen von der Flugbegeisterung bis zur erreichten Fluglizenz dargestellt wurde. So kann man Fliegen, auch locker die Theorie dahinter und die Luftfahrt in der Praxis nachvollziehbar für den Zuseher vermitteln.

TV-Sendungen, die sich um Wissenschaft drehen, sind hierzulande tröge. Ich kenne keine Ausnahme. Es sind auch selten Spielfilme, sondern Magazine. Entweder können die „Moderatoren“ nicht moderieren, sondern labern sinnentleert minutenlang mit den Wissenschaftlern, und/oder sie haben selber zuwenig Ahnung, worum es tatsächlich geht und stellen darum nur sinnentleerte Fragen, die und deren Antworten keinen interessiert.

Wir bräuchten ein „Literarisches Quartett“ für Sachbücher, einen Marcel Reich-Ranicki der Wissenschaftsdebatte!

Ja. Gerne. Aber bitte mit Menschen, die moderieren können UND den wissenschaftlichen Background haben, dass sie dem Zuseher etwas vermitteln können. Schon das Auswählen der Themen gehört dazu. Diese Menschen muss man aber suchen, respektieren, ihre Ausbildung achten und dem entsprechend bezahlen.

Würden Naturwissenschaften in Talkshows debattiert, wollten alle mitreden, und eine gesellschaftliche Debatte käme in Gang.

Genau. dann würde ich mir Talkshows auch wieder ansehen. Aber bitte nicht die ewig gleichen Gäste, die anscheinend direkt nur von Sendeplatz zu Sendeplatz wandern. Auch gute Populärwissenschaftler nutzen sich ab. Wesentlich spannender wäre es, mal jemand vor die Kamera zu holen, der sich sonst da nicht bewegt, aber dessen eigene Forschung (oder die seines Instituts) wirklich bahnbrechend ist. Dazu braucht es aber einen gestandenen Reporter, der diesen Menschen vor der Kamera „öffnen“ kann und in der Lage ist, dann die richtigen Fragen zu stellen. Siehe oben. Das kann nicht jeder Nullachtfünfzehn-vor-der-Kamera-laber-Fuzzi.

Wenn Bambi-Preisverleihung ist, wird eine dreistündige Direktübertragung im Fernsehen gemacht. Die Nobelpreis-Verleihung bekommt zehn Sekunden in der Tagesschau.

Zu dem Zitat braucht man eigentlich nur mehr einen Haken setzen. Wie viel spannender wäre es, zeitnah mit eigenen Sendungen die Forschung zu präsentieren, die die Nobelpreisträger zu ihren Preisen gebracht hat? Statt in einer Opulenz die 100underststen Gräueltat optisch und akustisch auszuwälzen und damit auch noch einer falschen „Würdigung“ der Täter, endlich mal wieder was Neues, etwas wirklich Informatives und Spannendes vermitteln. Dazu braucht man aber die entsprechenden Leute. Siehe oben.

Zitat von Holger Wormer (studierte Chemie und Philosophie und lehrt Wissenschaftsjournalismus an der Uni Dortmund):

Die Euphorie der Wissenschaft, künftig alle medialen Kanäle bedienen zu können, ist totaler Humbug. Ich hoffe, dass die Forschungseinrichtungen davon herunterkommen. Sonst wird deren Kommunikation irgendwann so aussehen wie das Privatfernsehen in den USA…

…Es gibt in Forschungsinstituten die Idee, man könne unter Umgehung der bösen kritischen Journalisten, die sowieso immer nur falsch berichten, direkt den Endnutzer erreichen.

Häkchen. Denn: Was genau an Wissensvermittlung hat das bisher umgesetzt und an den Leser/Zuseher vermittelt? Es nimmt nur den Fachjournalisten den Job, wenn das Institut oder die Firma für alle den Stream eines Events live und unkommentiert ins Netz stellt.

Jeppesen Minimum Vectoring Chart

MoPo und Spiegel Online: Hauptsache "Crossmedial"

Journalismus muss jede Sekunde neu definiert werden. Multimedial und jeder Schnickschnack muss enthalten sein; alles was die Technikpalette hergibt.

Inhalt?
Korrekte Recherche?
Verständnis vom Thema?

Nein.

Wenigstens Ahnung vom Thema?

Wozu?

Der Leser goutiert es eh nicht.

Gestern gingen gleich zwei Möchte-Gern-Zukunftsjournalismus-wegweisende-Projekte „crossmedial“ online:

Spiegel Online mit einer umfangreichen Mafia-Reportage (Recherchepool von Funke-Investigativ-Ressort und WDR), sowie die Berliner Morgenpost mit einer Daten-Visualisierung mit Ton unterlegt.

Beides haut mich nicht vom Hocker. Mafia ist nicht mein Thema und wird es auch nicht nach Text und Video, und Text und Video, und Text und Video usw. Ebenso ist die Innovation des MoPo-Beitrages mir nicht ersichtlich. Ähnlich animierte Grafiken über tatsächlich geflogene Flugrouten gibt es in der Flugsicherung schon seit Jahrzehnten (Stanly, Fanomos). Da ist nichts neu daran.

––– Bewegte Bilder mit Ton?
Ach herrje. Diese zukunftsweisende Neuigkeit …ist aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts.

Schlimmer aber ist – und deshalb ist das Ganze hier einen Beitrag wert – der Inhalt des MoPo-Beitrages. Während sich die Journaille-Szene an der „wunderbaren Crossmedialiät“ der beiden genannten „Stories“ erfreut, hinterfragt keiner mehr den Wahrheitsgehalt des Betrages.

Wozu auch. Der Leser… siehe oben…

Nun zum Inhalt des MoPo-Beitrages und dessen Richtigstellung

Hier reicht es nicht, die mangelde Qualität von Journalisten zu bedauern – hier müßte man mit Klage und Strafandrohung bei Wiederholung tätig werden – oder mit einer Gegen- darstellung in einem tradi- tionellen Massenmedium – ich wüßte aber keines, das sich dafür engagieren würde. („Peter aus KW“)

Zu Beginn erzählt die Sprecherin, dass es prinzipiell erlaubt sei, ab einer Höhe von 1500 Meter (5000 Fuß) eine Flugroute (gemeint ist hier genauer gesagt, eine Abflugstrecke (SID, Standard Instrument Departure)) zu verlassen. Diese Aussage ist so noch korrekt.

Ab 5000 Fuß können die SIDs ohne besonderen Grund verlassen werden. Die Initiative dazu kann sowohl von der Cockpit Crew als auch vom Fluglotsen erfolgen. In der Regel vereinfacht ein so genannter Direct (Direktes Routing ohne Kreuz- und Querfliegen und damit ohne weiterem, unnötigem Überfliegen von Gebieten) die Arbeit auf beiden Seiten.

Im nächsten Satz erzählt die Sprecherin, dass ein Verlassen der Route unterhalb von 1500 Meter eigentlich verboten ist. Auch das ist prinzipiell korrekt, doch wird peinlichst vermieden, zu erklären, was hinter dem Ausdruck eigentlich steckt. Dies zu Erörtern ist aber wichtig, um etwaige Abweichungen zu verstehen und bewerten zu können. Dazu später mehr.

Was jetzt aber in der Grafik gemacht wird, schlägt dem Fass den Boden aus. Es werden plötzlich alle Flugwege, bei denen das Flugzeug irgendwann die SID verlässt, in Rot dargestellt, also auch diejenigen, die erst nach dem Passieren von 1500 Meter die Route verlassen. Somit wird hintenrum nun doch wieder allen Abweichungen unterstellt, dass sie nicht erlaubt seien.

Das ist simpel und einfach falsch!

Mit ein wenig Recherche und Wissen hätte man es korrekt darstellen können. Das ist ganz einfach. Deshalb hier korrekt:

Jede SID kann jederzeit verlassen werden. Dies bedarf der Freigabe durch den zuständigen Lotsen. Sollte die SID, unterhalb der minimalen Vector Höhe* verlassen werden, dann sind die Piloten für die Hindernisfreiheit verantwortlich. Die Freigabe durch den Lotsen ist deshalb nötig, damit es zu keiner Staffelunterschreitung (Near Miss) mit anderen Flugzeugen kommt.

*Die Minimale Vector Höhe ist die geringste Höhe, in der ein Fluglotse ein Flugzeug abseits einer Flugstrecke führen kann. Die minimale Vector Höhe liegt 300 Meter über allen Hindernissen. Also deutlich unter 1500 Metern.

Eine SID hat prinzipiell zwei Funktionen

  • Sie ist ein sicherer Flugweg, der frei von Hindernissen ist (und verhindert somit furchtbar laute Zusammenstöße und Abstürze)
  • Sie ist ein Flugweg, der den abfliegenden Verkehr vom anfliegenden Verkehr fern hält, also staffelt (und verhindert somit…)

Sollte es den Piloten nach dem Abheben nicht möglich sein, mit dem Abfluglotsen zu sprechen, so ist die SID einzuhalten, da man da frei von Hindernissen und frei von anderen Verkehr ist.

Dies ist die einzige Aufgabe einer SID weltweit.

Hier in Berlin kommt nun als dritte Forderung hinzu, dass der Flugweg der SID zusätzlich auch noch lärmempfindliche Gebiete meiden soll. Deshalb wird eine SID um Berlin (und viele andere Ballungszentren) nicht nur nach den Kriterien der Flugsicherung (Hindernisfreiheit und Staffelung) sondern auch nach den Wünschen einer jeweiligen Lärmkommission entworfen. Dabei wurde festgelegt, dass ab einer bestimmten Höhe (hier 1500 Meter) die Zuständigkeit der Lärmkommission aufhört. Deshalb ist ein Verlassen einer SID nach Passieren von 1500 Meter Höhe auch jederzeit möglich, wenn die Vorgaben der Flugsicherung erfüllt sind.

Unterhalb von 1500 Meter gilt aber immer, dass die sichere Flugdurchführung Vorrang vor Lärmschutz hat. Sollte aufgrund von Wetter (Gewitterzellen) oder aus irgend einem anderen Grund (etwa technisches Problem) ein Verlassen der SID sicherer sein als das sture Abfliegen, dann muss sowohl von Seiten der Piloten als auch von Seiten der Flugsicherung der Flugweg sofort koordiniert angepasst werden.

Korrekt hätte es also in der Darstellung der MoPo so aussehen müssen:

  • Alle Abweichungen oberhalb von 1500 Meter müssen auch grün dargestellt werden.
  • Jede Abweichungen unterhalb von 1500 Meter muss einzeln überprüft werden. Erst wenn dabei kein sicherheitsrelevanter Grund festzustellen ist, dann kann ein solcher Flug rot dargestellt werden.
Jeppesen Minimum Vectoring Chart, Werte sind Fuß und nicht in Metern