Rückschau Buchmesse 2016

Gleich vorweg: der VR-Schwerpunkt kommt noch, er ist nur aus den Buchmesse-Beiträgen gewandert.

Jetzt sehen wir uns erstmal noch einiges an, das an den Buchmessetagen bisher in FlugundZeit nicht erwähnt wurde, es aber dennoch verdient:

Wie bereits berichtet, gibt es die Storydrive als international hochkarätig besetzte Veranstaltung während der Buchmesse nicht mehr.

Als Ersatz tauchten in diesem Jahr zwei andere, ähnlich gelagerte Events auf: Der Business Club und ARTS+

Während der Business Club (gab es auch schon im Vorjahr) eine Fachtagung ist, die als Ziel auch das Connecten hat, war die ARTS+ dreigeteilt: zum einen der Runway, an dessen Vorträgen und Diskussionen zur digitalen Umsetzung von Inhalten aus künstlerischer Sicht jeder Messebesucher teilnehmen konnte; dann der geschlossene Bereich, für den man mindestens 580 Euro netto zahlen musste, um an den Veranstaltungen dabei zu sein; und das Arts Lab: zum Ansehen wieder offen für alle, in dem Teams digitale Projekte entwickeln und dann vor geldpotenten Business Angels pitchen konnten.

Kennengelernt habe ich dabei Europeana, eine Internetplattform, auf der die EU kostenlose Inhalte sponsert: Musik, Bilder, Informationen zum legalen Download.

Schwerpunkte von The ARTS+ waren der Einsatz von Artificial Intelligence in der Content-Entwicklung, 3D-Druck in Architektur und Mode und wofür und wie man Virtuell Reality für kreative Produkte nutzen kann.

The ARTS+ soll also Schnittstellen von Technologie und Kreativität untersuchen und darstellen.

Aufgrund des guten Zuspruches der Teilnehmer und der Veranstalter wird es The ARTS+ vermutlich auch im nächsten Jahr geben.

Hingehen. Ansehen. Mitmachen.

Noch ein Termintipp für Schnellentschlossene:

Vom 27. bis 31. Oktober 2016 finden in Stuttgart die Dragon Days statt, ein Crossmedia Fantastikfest.

Mit The Walking Dead Star-Zeichner Charlie Adlard; einem Einblick in die Entstehung der visuellen Effekte von Game of Thrones, bisher unveröffentlichten Konzeptzeichnungen und VFX-Artwork zu Der Herr der Ringe und vieles mehr.

Die Buchmesse ist auch stets eine prima Gelegenheit, um Wünsche und Anregungen direkt an den Hersteller zu liefern: Kalender, die „für jeden Tag im Jahr eine Seite bieten“ tun dies oft nicht fürs Wochenende. Da wird Samstag und Sonntag dann gemeinsam in eine Ecke geklatscht und beiden zusammen maximal so viel Platz gegönnt wie jedem Tag von Montag bis Freitag: eine Mogelpackung für alle, die auch an Wochenenden Termine haben oder genauso viel notieren möchten wie während der Woche.
Eine der großen Kalenderfirmen für Kreativschaffende, Leuchtturm, will das nun auf meinen (und wohl auch anderen Kundenwünschen) endlich ändern: Ab 2018 sollen nun auch Samstag und Sonntag ihren gebührlichen Platz bekommen. Wünschenswert wäre, dass auch andere Kalenderhersteller nachziehen.

Zuhören verbindet:
Eigentlich war das Projekt als Unterstützung zum schnelleren Eingewöhnen von Flüchtlingskindern in unsere Gesellschaft gedacht. Dann stellten die Mitarbeiter der Stiftung Zuhören fest, dass die zugehörigen Erwachsenen umso mehr ein Hilfsmittel und Anregungen zum Anerkennen des/der Anderen brauchen. Und das ließ sich sogar in einer Studie der Uni Gießen belegen.

Nun noch etwas Kurioses zum Abschluss (Vorsicht, kein Tiefgang): Wer keine Ahnung hat, welche charakterlichen Stärken er/sie aufweist, konnte dies durch Handlesen und Auswertung der Schrift per Computer bestimmen lassen. Der Computer dabei so richtig, wie es zum Handlesen passt – mit schnell drehenden Speicherbändern…

Buchmesse 3: Storydrive

Der Mensch denkt in Geschichten. Ein gute Geschichte sollte universell funktionieren: egal in welcher Sprache und in welchem Medium. Man lernt leichter, das gilt auch für auch technische Anleitungen, wenn sie anschaulich in eine Geschichte verpackt sind. Die Schwierigkeit ist nur: Was macht eine gute Geschichte aus? Und wie sieht die Zukunft aus von Handbüchern, Lernmaterialien und Vergnügungsliteratur?

Dazu trafen sich nun bereits zum fünften Mal auf der Buchmesse Menschen, die meinen, darauf die Antwort gefunden zu haben. Die Organisatorin der internationalen All-Media-Konferenz: Frankfurt StoryDrive, Britta Friedrich, hatte auch in diesem Jahr erstklassige Referenten gewinnen können.

Mit einem Rebell ging es schon morgens los: Cyber Philosoph Alexander Bard meint ketzerisch, dass der singuläre Held sich überlebt hat und von der Crowd abgelöst wurde. Die Prinzipien der Wüsten-veranstaltung Burning Man seien ein Vorbild, wie unsere Zukunft sich abspielen könnte.

Werbung habe sich überholt, die Zukunft ist online und dort hat Werbung den Wert von Spam.

Ich denke, also bin ich ist nach Bard etwas für Angejahrte, die Generation Y möchte nicht mehr einzigartig sein, sondern sich je nach Community anders darstellen, in andere Rollen schlüpfen. Ein Teil sein von etwas größerem als das Individuum allein.

Peter Gornstein, Cinematic Director von Crytek, meint, dass eine gute Geschichte Leidenschaft des Erzählers voraussetzt. Dann funktioniert sie, egal in welchem Medium. Ein Entwickler von Game Stories braucht einen Anfang und ein Ende; dazwischen spielt sich alles ab, was er erfindet. Wie das behind the scenes funktioniert, kann man hier im Video sehen.

Lars Lindström ist Drehbuchautor der Serie (bei uns auf ARTE zu sehen) Real Humans. Für Lindström muss eine funktionierende Geschichte sein Gehirn ansprechen, sein Herz berühren, und ein Unbehagen im Magen auslösen. Das hat er bei Real Humans bei den Zusehern recht gut erreicht. Lindström: Eine gute Geschichte ist nachvollziehbar, glaubhaft. Spannend auch, was er über die Hintergründe und die Überlegungen zur Serie erzählt.

Reif Larsen ist Autor des interaktiven Buches: The selected works of T. S. Spivit (Die Karte meiner Träume). Er beschrieb sehr humorvoll den schmerzvollen Prozess für einen Autor, wenn Hollywood ruft, aber deren Verständnis des Buchinhaltes bei der Verfilmung nicht dem seinem entspricht.

Patrick Müller (im Bild) und Robin Burgauer wollen Geschichten als Film erzählen, aber mit der Kombination von Text zum Nachlesen von Details. Also als Videobuch: eine Geschichte, erzählt in mehreren Ebenen. Und da es so etwas noch nicht gab, schufen sie auch eine eigene Plattform für Videobücher: Rund ein Dutzend Bücher gibt es bereits auf videobuch.de

Sven Ehmann will mit k.lab das Lernen in Schulen revolutionieren. Man müsste doch einfach nur mit seinem Tablet in ein Klassenzimmer gehen können, ohne Bücher, dafür mit Lernen, das Spaß macht. Mit HTML5, Javascript, CSS und einer Mongo Database entwickelt k.lab Apps, die das leisten sollen. Ehmann: „wie Spotify für Lehrer“.

Der italienische Drehbuchautor Stefano Bises kann auch aus dem Vollen schöpfen bei seinem Beitrag: Er schreibt bereits für die zweite Staffel der Serie Gomorrha, die an den Bestseller von Roberto Saviano angelehnt ist und bereits in über siebzig Länder, einschließlich den USA, verkauft wurde. Und er erzählt, wie man unter extremen Umständen – die Mafia und viele der dargestellten Personen existieren real – für eine Serie recherchiert.

Man kann einen Mafioso nicht zum Helden stilisieren. Der Zuseher muss immer noch Grauen und Abscheu empfinden. Andererseits muss ein Zuseher sich mit den Hauptfiguren irgendwie identifizieren können. Eine Gratwanderung für den Autor.

Grant Faulkner machte Werbung für den NaNoWriMo: Ein Buch im November zu schreiben mit einer Online Community zur mentalen Unterstützung.
Irina Ignatiew stellte eine Serie vor, die nächstes Jahr zu sehen sein soll. Ungewöhnlich ist der Produzent: Amazon. Die Dreharbeiten für die erste Staffel mit dem Polizistenhelden Harry Bosch (Autor: Michael Connelly) sind zur Hälfte absolviert. Kann das ein weiteres Standbein des auf dem Verkaufsmarkt des bereits beherrschenden Firma werden?

Ken Beard (im Bild) und Komponist Norman Ritter haben sich als Ziel gesetzt, die Kultserie Knight Rider aus den 1980ern wieder aufleben zu lassen. In einem Videospiel als APP und kostenfrei zum Download. Noch rund ein Jahr soll es dauern, bis das Spiel fertig ist.

Linda Aronson ist international gefragt für ihr Wissen und ihre Gedanken zum modernen Storytelling. Aronson will keine linear erzählten Geschichten mehr, der alt bewährte und noch aus der Antike stammende 3-Akt-Aufbau ist ihr nicht mehr zeitgemäß. Sie will paralleles Erzählen, beginnen schon mal mit dem Mittelteil und einem sehr viel früheren Wendepunkt der Geschichte.

Odile Limpach war Managing Director eines traditionsreichen, deutschen Games Studios, das unter anderem für Episoden von Games wie Die Siedler und ANNO schuf. Sie zeigt, was Games Entwickler von der Filmindustrie abgeguckt haben: Auch Computerspiele brauchen eine Geschichte.

Michael Bhaskar sieht ebenso die Zukunft der narrativen Games. Der britische Verleger will Geschichten über eine Kombination aus Buch und Video erzählen. Nach der App-Adaption von Mary Shelleys „Frankenstein“ ist das 80 Days Project die nächste Adaption eines Abenteuerromans zu einem interaktiven Multiplayer-Spiel. Bhaskar will zeigen, dass auch Klassiker der Weltliteratur zukunftsfähig sind und setzt dabei auf crossmediale Zusammenarbeit bei Game, Buch, Literatur und Interaktion.

Ewan Morrison versuchte zu beweisen, dass die Menschheit in Einheiten der Zahl sieben lebt und denkt. Und, dass man das daher in einer guten Geschichte nutzen sollte: 7 Basic Plots für Geschichten von Christopher Booker (2004), sieben Basisemotionen (traurig, zufrieden, ängstlich…), sieben Todsünden, sieben Götter der Griechen (die Auswahl erschließt sich mir nicht), sieben Genres für Geschichten, sieben Bedürfnisse in der Maslow’schen Pyramide und so weiter.

Nun ja, wenn es hilft, eine gute Geschichte zu erzählen…

Als Highlight und zum Abschluss der diesjährigen Veranstaltung erzählte Lynda Obst, Produzentin aus Hollywood, wie die Sachlage in der (Noch-)Filmhauptstadt ist. Nicht ganz so rosig, wie sie einmal war.

Die amerikanische Filmindustrie krankt an den drei Anforderungen an einen Film, damit er überhaupt in Erwägung gezogen wird zur Produktion:

  • Pre-awareness („pre-Bewusstsein“): Die Idee, dass der Zuseher mit dem Konzept des Films bereits vertraut ist – damit die Studios Marketing-Ressourcen sparen
  • der Film muss sich auch außerhalb der USA verkaufen
  • der Film muss für Fortsetzungen geeignet sein

alle Bilder (c) hkl