Golf November – Hommage an alle Rettungsflieger

(c) Deutsche RettungsFlugwacht (DRF) Mannheim

Gestern, kurz nach meiner Landung in Mannheim mit der Cessna, landete auch der dort ansässige Intensivtransporthubschrauber der Deutschen RettungsFlugwacht (DRF) zum Auftanken. Alles, bei märchenhaftem, fast unwirklichem Sunset im aufkommenden Abenddunst. Da erinnerte ich mich an den wohl schönsten Song von Reinhard Mey.

Nein, nicht der Gassenhauer „Über den Wolken“, sondern eine musikalisch erzählte Geschichte über einen Rettungseinsatz der Hannoveraner Kollegen, der wohl tatsächlich stattgefunden hat.
(Mit Dank an die deutsche Hubschrauberpilotin Renate Strecker, Redakteurin des Aerokurier, die mich vor Jahren darauf aufmerksam machte.)

Titel des Songs ist „Golf November“,  eine Abkürzung des Kennzeichens des Hubschraubers D-HKGN (D für Deutschland, H für Hubschrauber und KGN als weitere Kennzeichnung); aus dem Album: Farben.

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Golf November

Die letzten Einkäufe gemacht
Der Dienst geht heut bis kurz vor acht,
Freitag, der 23. Dezember.
Ein Blick aufs Vorfeld, es schneit.
Da draußen steht sie startbereit,
Die D-HKGN.

Der Nachmittag nimmt seinen Lauf,
Der Doktor klart den Schreibtisch auf,
Der Flieger isst sein Wurstbrot mit Behagen.
So haben die zwei oft gewacht,
Zusammen manchen Flug gemacht
Und noch mehr Zeit zusammen totgeschlagen.
Der Wettermann sagt: schlechte Sicht
Im Westen Bremen ist schon dicht,
Minus vier Grad mit starken Niederschlägen;
Um drei Uhr ist die Kaltfront hier.
Der Flieger streicht sein Brotpapier
Und faltet es bedächtig: „Meinetwegen“.
Der Doktor rumort nebenan,
Sucht Filtertüten, macht sich dran,
Tassen zu spülen und Kaffee zu kochen.

Aber der Notruf kommt vorher:
Am Ostufer, Steinhuder Meer,
Ein Kind ist im dünnen Eis eingebrochen.
Der Doktor trommelt: „Tempo Mann!“,
Der Flieger läßt das Triebwerk an,
Ein Dutzend bunter Lämpchen sind zu testen,
Und kaum da er den Tower ruft,
Hat er den Vogel in der Luft,
Quer übern Platz und auf dem Kurs nach Westen.
Schon taucht er ein im düsteren Grau,
Hier kennt er jeden Busch genau,
Jeden Schornstein, alle Hochspannungsmasten.
Noch keine fünf Minuten sind
Verflogen, als er schon beginnt,
Sein Ziel in Bodennähe zu ertasten.
Ein zweites Flugzeug, Phönix III
In dreihundert Fuß ist dabei,
Den See in größ’rer Höhe zu umkreisen,
Um aus der bess’ren Übersicht
Der Golf-November, die ganz dicht
Über dem Wasser schwebt, den Weg zu weisen.

War da ein Schatten unterm‘ Eis?
Die Golf-November ist im Weiß
Von aufwirbelndem Pulverschnee verschwunden.
Da war’s, in Position neun Uhr,
Da drüben links, drei Meter nur,
Da ist es, ja, sie haben es gefunden!
Der Flieger setzt im Schwebeflug
Seine Maschine fest genug
Auf’s Eis, um mit den Kufen einzubrechen,
Und hält sie dann in Maßarbeit,
Wie festgeschraubt, zwei Fingerbreit,
Über den trügerischen weißen Flächen.
Der Doktor wagt’s und seilt sich ab,
Steigt auf die Kufe, viel zu knapp
Die Zeit, um Rettungsgerät zu besorgen,
Kniet hin aus waghalsigem Stand,
Packt zu und hat mit sichrer Hand
Die kleine, leblose Gestalt geborgen.

Leistung und Steuerknüppel vor:
Die Golf-November schießt empor,
Und wieder ist’s ein Wettlauf um Sekunden.
Und bald ist die kostbare Fracht
Behutsam versorgt und bewacht,
Hinter gläsernen Kliniktrür’n verschwunden.

Das war’s, die Anspannung schlägt um
In Müdigkeit, die Zwei steh’n rum,
Keiner hat ein Wort herauszubringen,
Während da drin mit aller Kraft,
All ihrer Kunst und Meisterschaft,
Ein Dutzend Menschen um ein Leben ringen.

Dreitausend Stunden auf dem Bock,
Und immer noch der gleiche Schock,
Den hilft keine Gewohnheit überwinden.
Eintausend Einsätze und mehr,
Und immer noch genauso schwer,
Sich mit unserer Ohnmacht abzufinden.

Die Front ist da, es dunkelt schon,
Und in der engen Wachstation
Sind bleiche Neonleuchten angegangen.
Der Flieger füllt den Dienstplan aus,
Der Doktor schaut zum Fenster raus,
Und ein Gedanke hält die zwei gefangen.
Doch keiner, der das Schweigen bricht.
Die winz’ge Chance nur, mehr nicht!
Beide würden sie viel dafür geben…

Und da zerreißt das Telefon
Die Stille in der Wachstation
Und eine Stimme sagt, das Kind wird leben.
Der Doktor hängt der Hörer ein.
„Der Kaffee dürfte bitter sein,
Egal, ich nehm ’ne Tasse, Du auch eine?“
Der Flieger nickt von seinem Platz
Und schreibt Anlass: Rettungseinsatz
Besondere Vorkommnisse : – keine

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Im iTunes Store (und sicher auch in anderen Online-Musikstores) gibt es eine kostenlose An-Hörprobe (Titel 11).
(1,29 Euro kostet der legale Download für die außergewöhnlichen 4 Minuten 33)

Link zu einem YouTube-Video

Und für die Gitaristen der Link zu den Noten

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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