
„Wir haben uns an die große Sicherheit in der kommerziellen Luftfahrt gewöhnt“, meint ein früherer Mitarbeiter der amerikanischen Luftfahrtbehörde FAA. Da kommt es natürlich gar nicht gut, wenn alle 50 weltweit ausgelieferten Boeing 787 wegen mehrerer Brände an Bord von der FAA auf unbestimmte Zeit gegrounded sind.
Der Grund für die Zwangsflugpause
Gewicht ist ein Kostenfaktor bei Treibstoffpreisen, die weltweit nur eine Richtung kennen, und die ist aufwärts. Die zunehmende Elektronik zur Steuerung und Navigation moderner Flugzeuge setzt redundante Ausfallsicherung voraus. Und da letztere im normalen Flugalltag ungebraucht mitgeschleppt wird, sollten Backup-Geräte möglichst leicht sein. Akkus sind eine der Notfall-Lösungen für den Stromausfall an Bord.
Der in Kraftfahrzeugen bewährte Bleiakku hatte schon bei Handys ausgedient: zu schwer, zu groß, veraltet. Lithium (Li), ein silbriges, schimmerndes Metall ist der zeitgemässe Nachfolger für Akkus transportabler Kleingeräte wie Laptops, Mobiltelefone und Herzschrittmacher. Diese Akkus sind klein, leicht und teuer aufgrund des seltenen Vorkommens von Lithium. Ihr zudem extrem reaktionsfreudiger Inhalt brachte schon Apple vor einigen Jahren eine Ersetzaktion für Li-Polymer-Akkus in seinen MacBooks ein.. Einige Akkus hatten durch Überhitzung Feuer gefangen und/oder waren explodiert.
Alle Laptop-Akkus überhitzten erst nach einiger Zeit im Gebrauch. Kein neues MacBook wäre mit bekannten Akku-Problemen ausgeliefert worden. Zumindest der Dreamliner der Fluggesellschaft All Nippon Airways flog bereits seit zwei Jahren und lud demnach etliche Male seine Li-Ionen-Akkus wieder auf. Könnte es sein, dass die Akkus im täglichen Einsatz, nach einiger Zeit, nach einer bestimmten Anzahl von Ladevorgängen, unbekannte Ausfallerscheinungen zeigen? Sich chemisch (oder physikalisch), bisher unerwartet, so verändern, dass es zur Überhitzung kommt?
Höhere Temperatur verstärkt die an sich schon extreme Reaktionsfähigkeit des Leichtmetalls weiter, Feuer erst recht. Beides muss also beim Einsatz unbedingt vermieden werden. Akkus an Bord haben ihren Haupteinsatz, wenn die normale Stromversorgung nicht (mehr) funktioniert. Eine Notsituation an Bord heißt aber auch, dass etwas oder vieles nicht so funktioniert wie im Handbuch beschrieben. Da ist der Ausfall von Kühlung, ein kleines Feuerchen als Beiwerk des ursprünglichen Auslösers gut möglich. In Kombination mit Lithium als Allheilmittel ist das Resultat denkbar schlecht.
Wie schließt man nun bei einem Akku aus, dass er sich nicht schon auf dem täglichen Flug zu sehr erwärmt? Überlastung bei der Ansteuerung vermeiden und beim Laden im Alltag wäre ein guter Ansatz.
Leichter als Lithium mit der Ordnungszahl 3 im Periodensystem der Elemente sind nur Helium und der Wasserstoff. Die Ordnungszahl gibt die Anzahl der Protonen in Atomkern an. Je mehr Protonen, je höher also die Ordnungszahl, umso schwerer ist das Element.
Jeder Akku, der nicht auf Lithium basiert, wird also schwerer. Und vermutlich auch größer. Platz ist in einem Verkehrsflugzeug auf der unteren Ebene aber nicht das Thema. Zumindest nicht, solange nicht ein neuer, anderer Akku genau an die Stelle des kleineren Vorgängers gezwängt werden muss. Dann helfen nur eine Neuanordnung des gesamten Akku-Ladesystems, andere Verkabelung und damit vermutliche größere bauliche Änderungen. Wenn man als Airline auf jedes Kilo schaut, das man bei der Bordausstattung einsparen kann, dann trifft ein höheres Gewicht bei einem Akku, der technisch gesehen, viel leichter sein könnte, natürlich hart. In jedem Fall müssen Akkus dreißig Minuten lang allem, was sie versorgen sollen, Strom liefern.
Zurück zum Traumflugzeug mit Problemen. Boeing arbeitete schon bei der Entwicklung des Dreamliners eng mit der Zulassungsbehörde FAA zusammen. Das ist an sich nicht ungewöhnlich, auch mit der Europäischen Behörde EASA macht ein Hersteller das bei einer Flugzeug-Neuzulassung idealerweise so. Denn dann kann die Behörde bei der Zulassung später nicht sagen: „Oh, wenn Sie das so und so implementiert hätten, dann wäre das perfekt. Aber genau so wie das jetzt realisiert ist, können wir ihre Konstruktion leider nicht Flugtauglich schreiben.“
Die FAA und Boeing einigten sich darauf, dass Lithium-Ionen-Akkus im Dreamliner eingesetzt werden können und dürfen, solange bei einem Brand während eines Fluges Flammen und Rauchentwicklung unter Kontrolle gehalten werden können ohne weiteren Schaden anzurichten. Die Akku-Zulassung, eine Sondervereinbarung der FAA mit Boeing, beinhaltete auch, dass im Falle des Falles der Akku von selbst geordnet abbrennt ohne den Einfluss von Menschen. Das genügte der Vereinigung der Linienpiloten ALPA (Air Line Pilots Association) schon damals nicht. Sie forderte, dass ein Akkufeuer von der Crew aktiv löschbar sein muss. Dies wiederum setzt neben dem Vorhandensein von tragbaren, stets griffbereiten (Halon-)Feuerlöschern im Flugzeug auch die schnelle Erreichbarkeit des Akkus für die Crew voraus. Miteingeschlossen wäre das regelmässige Training, ein Lithium-Ionen-Akkufeuer sicher zu beenden.
Im Januar 2010 gab die FAA einen Abschlussbericht zu einer eigenen Sicherheitsüberprüfung über die Entflammbarkeit von Li-Ionen und Li-Ionen-Polymer-Akkus in Flugzeugen heraus: Flammability Assessment of Lithium-Ion and Lithium-Ion Polymer Battery Cells Designed for Aircraft Power Usage. Dieser Abschlussbericht ist 30 Seiten dick und kommt zum (nicht wirklich überraschenden) Schluss, dass Li-Ionen und Li-Ionen-Polymer-Akkus heftig auf externes Feuer reagieren können. Beim Test traten entflammbare Elektrolyte aus, entzündeten sich und heizten so das bereits bestehende Feuer unter großem Druck- und Temperaturanstieg weiter an.
Ein Hand-Feuerlöscher mit Halon 1211 konnte im FAA-Test sowohl Li-Ionen- als auch Li-Ionen-Polymer-verursachte Feuer zunächst löschen. Bei Li-Ionen-Polymer-Akkus konnte das Halon ein Wiederaufflammen des Brandes nicht verhindern.
Der Stand
Schon zum ganz normalen In Betrieb nehmen eines Verkehrsflugzeugs ohne Bodenstrom brauchen die Piloten aufladbare Batterien (Akkus). Erst so kann alle weitere Elektrik gestartet werden.
Die Generatoren an den Triebwerken sorgen für die primäre Stromversorgung im Flugzeug. Fällt diese in der Luft aus, sind mehrere Backup-Lösungen gefordert: Akkus liefern sofort Strom wenn die Triebwerke ausfallen, bis nach einigen Sekunden der Notfall-Propeller, Ram Air Turbine genannt, durch den Fahrtwind anläuft. Dieser Not-Propeller produziert primär Hydraulikdruck und zudem auch Strom. Das dritte Backup, wenn die Stromerzeugung über die Triebwerke fehlt, wäre die APU (Auxiliary Power Unit), eine tatsächliche Turbine, die mit Treibstoff betrieben wird. Bei abgeschalteten oder ausgefallenen Triebwerken wird die APU über einen Akku gestartet.
Mitte Januar 2013 gerieten Li-Akkus sowohl in einer Boeing 787 der Japan Airlines (am Boden in Boston) und in einer 787 der Fluggesellschaft All Nippon Airways (im Flug) in Brand. Dreamliner von United Airlines und Qatar Airways hatten im Dezember 2012 ebenfalls Probleme mit ihrer Elektrik. Die JAL-Boeing wurde von der amerikanischen Behörde NTSB untersucht, da der Vorfall in Boston stattfand. Der ANA-Dreamliner wurde von den Japanern unter die Lupe genommen, da er sich auf einem japanischen Inlandsflug befand. Die zunächst angenommene Überlastung bei der Ansteuerung des Akkus fällt offenbar weg: Beide Kommissionen kamen unabhängig voneinander zur Erkenntnis, dass keine Überspannung vorlag.
Offizielles Statement von Boeing:
Alle modernen Düsenverkehrsflugzeuge sind mit Batterien ausgestattet. Die vermehrt elektrische Architektur der 787 hat mit den Batterien wenig zu tun. Die maßgebliche Innovation, die die verbesserte Effizienz ermöglicht, ist die gesteigerte Erzeugung von elektrischer Energie und die Eliminierung von Hochdruck-Zapfluft (pneumatischen) Systemen. Die Funktionen, die vorher durch Druckluft betrieben wurden, werden nun elektrisch angetrieben.
Dazu wäre anzumerken: Im Gegensatz zum Englischen gibt es im Deutschen einen Unterschied zwischen Batterie (nicht aufladbar) und Akku (aufladbare Batterie). Bei allen derzeit diskutierten Li-Ionen-Problemen handelt es sich um Akkus – einmal Nutz- und dann Wegwerf-Batterien aus diesem kostbaren Rohstoff wären in einem Flugzeug fehl am Platz und zudem sinnlos überteuert.
Statement der FAA:
„Auswirkungen des Akkuversagens waren entflammbare Elektrolyte, Schäden durch Hitzeeinwirkung und Rauch an zwei 787-Flugzeugen. Wenn diese Bedingungen nicht behoben werden, könnten sie Schäden an kritischen Systemen und Strukturen und ein Feuer im elektrischen Compartment nach sich ziehen.“
(“The battery failures resulted in release of flammable electrolytes, heat damage, and smoke on two Model 787 airplanes. These conditions, if not corrected, could result in damage to critical systems and structures, and the potential for fire in the electrical compartment.”)
Nach einem Report der Seattle Times letzte Woche hatte eine amerikanische Firma namens Securaplane Technologies, die an der Entwicklung der elektrischen Ladesysteme des Dreamliner beteiligt war, bei einem Akku-Test ein so starkes Feuer erzeugt, dass ein ganzes Gebäude unkontrolliert niederbrannte.
Lithium Akkus sind auch in anderen modernen Verkehrsfliegern im Einsatz, etwa in Airbus- und Embraer-Flugzeugen. Allerdings sind die Akkus dort von einem anderen Hersteller und in ihrer Leistung wesentlich kleiner. Der Dreamliner-Akku soll die Größe einer Umzugskiste haben. Viele Verkehrsflugzeuge setzen Nickel-Cadmium-Akkus ein. Nickel hat die Ordnungszahl 28, mit 48 ist Cadmium sogar ein Schwermetall. Schwerer, weniger leistungsfähig und hochgiftig ist auch nicht die gesuchte Lösung für die Zukunft.
Wie geht es weiter?
Das Entgegenkommen für Boeing in der Dreamliner-Zulassung wird der FAA nun von einigen Seiten angekreidet: Zu große Kompromisse für die Industrie seien auf Kosten der Sicherheit bei der Sonderbehandlung gemacht worden. Die FAA reagierte prompt. Nun bleiben alle 50 bisher weltweit ausgelieferten Dreamliner am Boden, bis die Ursache der Akku-Brände und eine sichere Lösung für leistungsstarke und leichte Akkus für den Dreamliner gefunden ist.
So schnell wie Hersteller Boeing sich wünscht, dass dieses Problem aus der Welt ist, wird es wohl nicht gehen. Vor der Lösung des Problems muss erst die Ursache der Brände gefunden werden. Ist die Ursache ein Designfehler im Flugzeug oder liegt es eher an der Akkucharge, an einer fehlerhaften Produktion des Herstellers? Da sind die amerikanischen Untersucher von Boeing, der Untersuchungsstelle NTSB noch anderer Meinung als die japanischen Kollegen des Akku-Herstellers GS Yuasa und der japanischen Untersuchungsbehörde JTSB. Auch wenn offiziell alle vorbildlich zusammenarbeiten bei der Fehlersuche.
Bisherige Ansätze haben noch kein Ergebnis gebracht. Auf Boeing werden vermutlich hohe Kosten zukommen: Entschädigungszahlungen wegen der Flugausfälle, (größere) Änderungen am Flugzeug und eine neue Genehmigung des Akku- und Elektrosystems sind gute Kandidaten dafür. Lufthansa ist von den Dreamliner-Problemen nicht betroffen – die deutsche Airline hat keine Boeing 787 im Einsatz.

Elektroniktest im ANA-Dreamliner vor der Auslieferung/Fotos: Helga Kleisny