Update: Piloten arbeiteten gegen falsche Trimmung der Automatik bis zum Crash

Update 28.11.

Heute wurde der preliminary (vorläufige) Untersuchungsbericht von der indonesischen Behörde KNKT veröffentlicht.

Darin bestätigt sich die in flugundzeit gemachte Aussage (Vermutung), dass im letzten, erfolgreichen Flug (F) vor dem Absturz der Cutoff/Out Switch vom Piloten beim gleichen Problem betätigt wurde.

Vor dem Flug F wurde der Angle of Attack Sensor gewechselt. Bei den letzten drei Flügen vor diesem Wechsel fielen die Geschwindigkeits- und Höhenanzeigen auf der Kapitänsseite aus. Gefolgt von weiteren Fehlermeldungen. Nach jedem Flug suchten die Mechaniker ausgiebig nach dem Fehler. Er trat jedoch immer wieder auf. So wurde vor dem Flug F der AoA gewechselt.

Auf dem Flug F gab es nun eine Geschwindigkeits- und Höhenanzeige auf der Kapitänsseite. Beide jedoch leicht fehlerhaft* abweichend von der Co-Pilotenseite. (*Es gibt Standby-Instrumente, die mit der Co-Pilotenseite übereinstimmten.)

Der neu eingebaute AoA Sensor zeigte jedoch einen um 20 Grad zu hohen Winkel an. Dies sowohl auf Flug F als auch auf dem danach folgenden Unglücksflug (UF).

Diese fehlerhafte Anstellwinkel-Information führte bei beiden Flügen zu falschen Korrekturen von Geschwindigkeits- und Höhenangaben im sogenannten Air Data Computer auf der Kapitänsseite. Außerdem zu den Problemen mit dem automatischen MCAS System und der falschen Überziehwarnung (Stick Shaker).

Die Crew auf Flug F reagierte wie folgt:

Sie ignorierten die Überziehwarnung nach dem Abheben und arbeitete die auswendig zu wissenden Punkte von der Checkliste bei diesem Fehlerfall korrekt ab. Durch den Cross Check der Instrumente erkannten sie, welches Instrument fehlerhaft anzeigte und verließen sich im weiteren Flug auf die Instrumente der Co-Pilotenseite.

Als nach dem Einfahren der Klappen (siehe unten in der Beschreibung) das automatische System MCAS aufgrund der falschen Eingabewerte falsch trimmte, wendeten sie die Prozeduren für Trim Run Away an, die es auf allen Boeing 737 gibt und schalteten (siehe unten) den Cut off/out Switch. Der weitere Flug verlief ereignislos bis zur erfolgreichen Landung.

Die Crew des Unglücksfluges UF

Offensichtlich wurde der Cutoff Switch beim letzten Flug nicht bedient, also die Trim Runaway Prozedur nicht angewendet.

Es ist noch nicht klar, welche Faktoren letztlich zum Kontrollverlust führten, warum die anfangs erfolgreiche Gegentrimmung der Piloten irgendwann nicht mehr ausreichend durchgeführt wurde.

Gab es dann weitere Hard- und/oder Software-Probleme?



Folgende Beiträge sind auf flugundzeit zu diesem Absturz bereits erschienen:
Gastkommentar
Update 2
Update 1
Ursprungsbeitrag

Das KNKT ist der indonesische nationale Verkehrssicherheitsausschuss und als solcher eine indonesische Regierungsbehörde. Am 22. November 2018 veröffentlichte das KNKT einen Zwischenstand der Untersuchungen. Danach enthielt der Flight Data Recorder 1790 Parameter von 19 Flügen. Die letzten beiden Flüge – der Flug von Denpasar nach Jakarta sowie der Unfallflug – zeigten dasselbe technische Problem.

IAS ist die Indicated Airspeed (Fluggeschwindigkeit).

Die IAS-Geschwindigkeitsanzeige rechts, auf der Seite des ersten Offiziers, war deutlich höher als die Geschwindigkeitsanzeige links (Kapitänsanzeige). Der Anstellwinkel (AoA) des Kapitäns zeigte rund 20 Grad mehr als der AoA des ersten Offiziers an.

Als Ergebnis vibrierte die linke Steuersäule (soll den Strömungsabriss fühlbar machen, mechanisches System namens Stick Shaker) unmittelbar nach dem Abheben, nur mit einer kleinen Unterbrechung während eines kurzen Sinkfluges knapp nach dem Abheben bis zum Ende des Fluges.

Als das Flugzeug auf 5.000 Meter Höhe vom Steigflug in den Reiseflug überging, trimmte die  Automatik die Flugzeugnase nach unten, dem die Crew manuell entgegen steuerte.

Das automatisierte Trimm- und Überziehschutzsystem MCAS

Die Untersuchung nach dem Unfall ergab, dass Boeing MAX-Serie
mit einem automatisierten Trimm- und Überziehschutzsystem
namens MCAS ausgestattet ist. Das System
wird aktiviert, wenn das Flugzeug mit
eingefahrenen Klappen bei hohem Anstellwinkel
und hohen Lastfaktoren von Hand geflogen wird.

Es trimmt automatisch das Höhenleitwork (Stabilizer)
kopflastig (Nase runter) und kann nur
durch den Cutoff Switch (siehe flugundzeit)
oder Ausfahren der Klappen deaktiviert werden.
Das Trimm- und Überziehschutzsystem ist deaktiviert,
wenn der Autopilot aktiviert ist.

Die Nose Down Inputs erfolgten beim Lion Air Absturz vom Maneouvering Characteristics Augmentation System (MCAS). MCAS senkt die Flugzeugnase (eigentlich) ab, um in kritischen Situationen einen Strömungsabriss (Stall) zu verhindern.

Nach Aussagen von 737-MAX-Piloten von Southwest und American Airlines hatten auch sie bisher zu wenig Kenntnisse über die Wirkungsweise von MCAS. Dei Dokumentation sei mangelhaft und daher würde das System auch nicht ausreichend im Simulator trainiert.

Die Piloten arbeiteten erfolglos gegen die Trimmung bis zum Aufschlag

Nach Aussagen der indonesischen Untersucher versuchte die Crew das automatische Absenken der Nase bis zum Aufschlag manuell zu korrigieren.

Gegen Ende des Fluges dominierte die automatische Kopflastige Trimmung, die Gegenkorrekturen der Piloten wurde weniger. Insgesamt bewegte sich die Stabilisator-Trimmposition zunehmend in Richtung Nase nach unten.

Während des gesamten Fluges gab es keine Probleme mit den Triebwerken. Beim vorherigen Flug von Denpasar nach Jakarta bestand das gleiche Problem, die automatischen Trimmeingaben traten jedoch nicht so ausgeprägt auf. Deren Besatzung muss etwas unternommen haben, um zu verhindern, dass das MCAS-System die Nase-Down-Trim-Eingänge erzeugt. Im Anschluss an die Präsentation veröffentlichte das KNKT erste Informationen auf Indonesisch einschließlich einiger FDR-Grafiken.

Der Flug vor dem Unglücksflug (DPS – CGK)

1 Unten sind die beiden Geschwindigkeitsanzeigen grün und orange. Sie sind fast deckungsgleich. Die grüne (Co-Pilotenanzeige) zeigt eine geringfügig höhere Geschwindigkeit.

6 Die blaue trapezförmige Kurve zeigt die Flughöhe.

2 Die hellgrüne Linie zeigt die Stellung des Klappenhebels, nicht notwendigerweise auch die der Klappen selbst (Ausgefahren, eingefahren während des Fluges und dann erst wieder zur Landung voll gefahren).

3 Darüber: Die grüne und die rote Kurve zeigen den gemessenen Anstellwinkel der beiden Sensoren links und rechts. Der Sensor auf der Kapitänsseite (rot) zeigt kontinuierlich einen 20 Grad höheren Anstellwinkel als die Co-Pilotenseite.

4 Die darüber liegende gezackte Kurve, bei der orange und grün fast deckungsgleich verlaufen, zeigt die Rückstellkräfte des Steuerhorns. Das ist ein Maß für die Auslenkung der Steuerung (Höhenruder, Elevator).

5 Darüberliegend grün und braun sind die Stick Shaker Kurven. Man sieht, dass der Stick Shaker auf der Co-Pilotenseite nie auslöst (keine Strömungsabrisswarnung) und auf der Kapitänsseite kontinuierlich während des gesamten Fluges aktiviert ist.

7 Die grüne Kurve darüber zeigt die Trimm Inputs der Automatik – grüne Ausschläge: Nase nach oben; violette Ausschläge: Nase nach unten.

9 Ganz oben: die gelbe Linie ist die Null-Linie der elektrischen Trimm Inputs der Piltoen. Gelb ist die Null-Linie und der Ausschlag nach unten, in blau sind die Trimm Commands nach oben (Nase hoch).

8 Die blaue Linie darunter ist die aktuelle Position des Stabilizers (Höhenleitwerks) mit Ausschlägen nach unten und oben.

Daraus folgt

Man erkennt, dass nach dem Einfahren der Klappen fast kontinuierlich Systemseitige Trimminputs nach unten vorhanden sind. Diese werden durch manuelle Inputs des Elevators und manuelle Trimminputs der Piloten (Nase nach oben) stets korrigiert. Bis sie schlagartig noch während des Steigfluges bei rund 10000 Fuß aufhören.

Da auch keine manuellen Trimm Inputs mehr aufgezeichnet sind, scheint das gesamte elektrische Trimmsystem (automatisch und manuell durch Piloteneingabe) nicht mehr zu arbeiten.

Vermutung: Cutoff Switch wurde bedient wegen Trimm Run away?

 

Das ist das seit Jahren (Boeing 737-300) bekannte Verfahren im Falle, dass die elektrische Trimmung in die falsche Richtung wegläuft.

Der schwarze Kasten im Text bedeutet, dass dieses Verfahren aus dem Gedächtnis bei Gegebenheit auswendig anzuwenden ist.

Einige Zeit später, noch im Steigflug gibt es wieder eine ganz kurze Episode in der der Auto Trimm nach vorne (runter) trimmt und die manuelle elektrische Trimmung dagegen hält.

Vermutung: kurzzeitiges Wiedereinschalten /(Reset) des Cutoff Switches. Fehler scheint weiter da zu sein und daraufhin wurde der Cutoff Switch wieder gesetzt.

Die Cutoff-Switch-Kurve ist leider auf dem Datenplot nicht enthalten.

Im restlichen Flug gibt es weiterhin Änderungen der Trimmung des Höhenleitwerkes. Allerdings keine elektrischen Inputs mehr. Also erfolgte die Trimmung über das manuelle Drehen des Trimmrades.

Der Unfallflug (Accident Flight PK-LQP)

Die Proportionen der Kurvendarstellung sind hier anders als oben, da sie nur einen viel kürzeren Zeitraum bis zum Crash abbilden und keinen Gesamtflug.

(a) Beginn des Startlaufs [Takeoff Run] (b) Abheben (c) Klappen wieder einfahren (d) Beginn des Kontrollverlusts

Auch hier geht der Kapitäns-Stickshaker sofort nach dem Abheben an. Denn auch hier zeigt dessen AoA-Sensor einen um 20 Grad höheren Anstellwinkel an.

Mit dem Einfahren der Klappen kommt es auch hier zum Nose down Trimm, dem diesmal nicht so deutlich entgegen gearbeitet wird. Die automatische Trimmung stoppt, als die Klappen sofort wieder ausgefahren werden: Unterschied zum Flug davor.

Hierbei wird die zulässige Höchstgeschwindigkeit (siehe Geschwindigkeitskurve) bei ausgefahrenen Klappen überschritten. Nach Erreichen von 5000 Fuß und Übergang in den Geradeausflug fährt die Crew die Klappen wieder ein. Nun beginnt die Automatik-Nase-Runter Befehle wieder zu wirken und werden durch manuelle Inputs (Nase nach oben) über die elektrische Trimmung weiter korrigiert. (Gezackte blaue Kurve).

Gleichzeitig erfolgen viele manuelle Elevator Inputs (grün rote gezackte Kurve) am Steuerhorn.

Offen bleibt

  • warum der Cutoff Switch bei diesem Flug nicht aktiviert wurde.
  • plötzlich sinkt das Flugzeug von den 5000 Fuß, da die elektrischen Nose Up Inputs der Piloten weniger werden als die automatische Nose Down Trimmung.
  • gleichzeitig scheint es zu unterschiedlichen Elevator Inputs an den beiden Steuersäulen zu kommen. Die grüne und die rote Kurve sind nicht mehr deckungsgleich.
  • der AoA-Sensor scheint nicht gebrochen oder fest verklemmt zu sein, sondern irgendwie zu funktionieren (wenn auch nicht korrekt), da er sich korrekt mitbewegt in der richtigen Richtung, aber eine konstante Ablage zum richtigen Wert anzeigt.
    Frage: War der AoA Sensor verdreht eingebaut?

 

2 Gedanken zu “Update: Piloten arbeiteten gegen falsche Trimmung der Automatik bis zum Crash

  1. Eine technische Frage: wenn ich die Kurven richtig verstehe, dann haben die AoA-Sensoren doch von Anfang an unterschiedliche Werte – also schon beim Beschleunigen noch vor dem Abheben. Solange das gesamte Fahrwerk noch am Boden ist, kann das ja schon mechanisch gar nicht stimmen und sollte doch sofort eine fette Warnung o.ä. auslösen?!?
    Ich weiß jetzt nicht, wie so ein AoA-Sensor funktioniert (kenne nur die simplen Stall-Warner bei Schleppflugzeugen) – vielleicht ist eine gewisse Abweichung bei Seiten- oder Scherwind während des Starts möglich, aber 20 Grad?

  2. Hallo Astroklaus,

    die AOA-Sensoren sind „Fähnchen“ die in ihrem Schwerpunkt gelagert sind. Sie sind seitlich am Rumpf angebracht. Meist relativ weit vorne in der Nähe der Türen 1 rechts und 1 links.

    Am Boden ist es nicht ungewöhnlich, dass z.B. alle drei AOA-Sensoren eines A320 drei total unterschiedliche Winkel anzeigen. Denn auch wenn sie noch so gut ausbalanciert sind, durch die unweigerlich eintretende Verschmutzung im täglichen Betrieb liegt der Schwerpunkt dann doch nicht mehr auf der Drehachse und ohne Anströmung „gewinnt“ dann doch die Gravitation.
    Macht aber normalerweise nichts, denn während der Beschleunigung auf der Bahn richtet die nun wieder vorhandene Anströmung die AOAs aus und alles ist gut.

    Die AOAs werden bei Airbus z.B. erst nach dem Abheben und bei mehr als 100 Knoten Anströmung ausgewertet. D.h. der Fehler wird erst nach dem Abheben bemerkt.
    Ich stimme Dir zu: Es wäre eine feine Sache, wenn zum Beispiel ab 100 Knoten am Boden die AOAs, die ja nun alle das gleiche, nämlich in etwa 0 Grad, anzeigen müssten, verglichen würden und am besten der oder die fehlerhaften AOAs dann auch gleich „aussortiert“ oder zumindest zur Anzeige gebracht würden. Ich kenne aber kein Flugzeug, wo das so ist.

    Was ich aber weiß ist, dass bei allen Flugzeugen mit AOA Sensoren, die ich je geflogen habe, das Prozedere „Stall Warning at Lift-Off“ existiert. Und bei allen ist es nahezu identisch:

    Thrust -> TOGA (Maximaler Schub)
    Pitch -> 15 Grad (Das ist sowieso die normale Pitch Attitude after Lift-Off)
    Bank -> Wings level (da sind sie nun normalerweise after Lift-Off)
    If Stall Warning continues -> consider it as spurious

    Also kurz zusammengefasst: Mache nichts (außer Thrust nachschieben, wenn der T/O mit reduziertem Schub durchgeführt wurde).

    Was ich übrigens inzwischen von Kollegen gelernt habe, die die B737 fliegen, ist, dass bei der 737 bei unterschiedlichen AOA-Werten eine Warnlicht namens „AOA Disagree“ angeht. Das muss dann wohl auch bei diesem Unfall an gewesen sein. Mit dieser Warnung und der – offensichtlich „spurious“ – Stall Warning auf der Kapitänsseite ist dann eigentlich sofort klar, dass der AOA auf der Kapitänsseite der fehlerhafte ist.

    Man hätte also gleich nach dem Flug vor dem Unfallflug darauf kommen können, dass der gerade neu eingebaute AOA auf der Kapitänsseite Blödsinn anzeigt.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.