2. Update 24.3.: Absturz B737 in China

Eine Boeing 737-800 der China Eastern Airlines, Registrierung B-1791, ist am 21.3.2022 abgestürzt. Der Flug mit der Flugnummer MU5735 sollte von Kunming nach Guangzhou (China) führen. Es waren 123 Passagieren und 9 Besatzungsmitgliedern an Bord. Das Flugzeug flog auf einer Höhe von 8900 Metern/FL291 etwa 130 nm westlich von Guangzhou und war kurz vor dem Beginn des geplanten Sinkflugs, als das Flugzeug plötzlich an Höhe verlor und etwa 119 nm westlich von Guangzhou in bergigem Gelände auf dem Boden aufschlug. Die Such- und Rettungsaktion ist im Gange.

Nach Berichten der chinesischen Zivilluftfahrtbehörde (CAAC) war der Kontakt zum Flugzeug in der Region Wuzhou (etwa 120 km westlich von Guangzhou) abgebrochen.


Fakten-Ergänzung 24.3.22

1
Der CVR (Cockpit Voice Recorder), der gestern bereits gefunden worden war, ist zwar von außen relativ intakt, aber die Speicherkarte sei beschädigt, so die Untersuchenden der chinesischen Behörde CAAC.

2
Während fast alle bisher gefundenen Teile auf engem Raum (30 Meter Radius) gefunden wurden, schlug ein großes, nicht näher definiertes Wrackteil rund 10 Kilometer entfernt am Boden auf.

Anmerkung FuZ

1
Auch wenn sich die Untersuchenden viel vom CVR versprechen, weil die Kommunikation bereits vor dem Absturz abbrach, – es ist möglich, im Cockpit die Sicherung zu ziehen, ab dann wird nicht mehr aufgezeichnet. (FuZ: Das Sicherungziehen kann in verschiedenen Situationen erforderlich sein, auf die hier nicht näher eingegangen wird. Aber again: Das Anzunehmen wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt Unterstellung.)

2
Um gleich die nun folgenden Bombenerklärungen der schnellen Presse zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu vermeiden:
In der Fachwelt werden erneut Vorkommnisse an (ebenfalls) relativ neuen 737-800 aus 2019 diskutiert, bei denen ein strukturelles Teil, mit dem der Rumpf eines Flugzeugs an der Flügelstruktur befestigt wird (Pickle Fork), gebrochen oder angeknackst war. Dieses Teil ist strukturell so wichtig, das sein Design eigentlich so ausgelegt ist, dass es ohne Risse zu entwickeln mehr als 90 000 Landungen und Starts (Flugzyklen )aushält. Eigentlich.
Nur als Beispiel für ein anderes zum Zeitpunkt mögliches Szenario. Noch genauso unbestätigt in diesem Fall.

Fakten-Ergänzung 23.3.22

An Bord befanden sich 123 Passagiere (alle Chinesen, kein Ausländer), 3 Piloten, 5 FlugbegleiterInnen und 1 Sicherheitsbeauftragter. Das Flugzeug hatte seinen Erstflug am 22. Juni 2015 und seitdem 18.239 Flugstunden in 8.986 Flugzyklen absolviert.

Die Kommunikation mit der Flugsicherung war bis zum Abbruch der Kommunikation normal (kein Notruf oder Berichte über Schwierigkeiten), Wetter war kein Problem.

Der Kapitän hatte insgesamt 6.709 Flugstunden, der erste Offizier 31.769 Flugstunden, der zweite Offizier 556 Stunden, alle lebten in guten Familienverhältnissen.


Erklärung FuZ

Die Bezeichnung: Erster Offizier, eher bekannt unter First Officer, hat zwei Bedeutungen: zum einen ist es ein Rang, ein Stand der Piloten-Erfahrung und -Ausbildung, zum anderen ist es bei einem bestimmten Flug eine Position: Derjenige der rechts sitzt ist (für diesen Flug) nicht der Kapitän, auch wenn er höher qualifiziert ist.

So kann also auch ein Checker rechts sitzen auf der First Officer Position, wenn der Kapitän „überprüft“ werden soll. Das trifft etwa nach (Corona- oder anderen Ausfall-bedingten) Requalifizierungen oder anderen Pilotenüberprüfungsflügen zu. Diese werden auf der ganzen Welt und bei allen Fluglinien auf regulären Passagierflügen durchgeführt.

Kommentar FuZ

Das könnte eine der Erklärungen sein, warum der rechts sitzende „First Officer“ auf diesem Flug eine Flugstundenanzahl hatte, die auf ein hohes Flugalter schließen lässt. Vor allem im Vergleich zum Kapitän dieses Fluges. Könnte. Fundiert, aber Spekulation.

Es könnte aber auch simpel und einfach der eigentlich vorgesehene First Officer für diesen Flug (krankheitsbedingt) kurzfristig ausgefallen sein und der einzige aus dem Standby schnell verfügbare Pilot war ein erfahrender Kapitän und/oder Checker. Je höher ausgebildet der Ersatz(joker) ist, umso vielfacher ist er oder sie einsetzbar. Könnte. Würde. Sollte. Müsste.

Tatsache: Das einzige, was wir zum jetzigen Zeitpunkt als Tatsache wissen, ist, dass der „Co“ wesentlich mehr Flugstunden hatte als der Kapitän.

Anstatt daraus schnelle, auch naheliegende („Experten“-)Schlussfolgerungen zu ziehen, wie ich es besipielhaft hier vorgeführt habe, gilt die seröserweise einzig korrekte Journalistenfrage für weitere Nachforschungen:
WARUM ist dies der Fall?

Was ich hier schreibe, ist nur ein Beispiel, um zu zeigen, wie viele denkbare unterschiedliche Erklärungs-Möglichkeiten es alleine hier gibt, selbst bei auf den ersten Blick klar vorliegenden Fakten.

Und, dass deshalb alles „Experten“-Gequatsche, das es auch hier wieder unmittelbar nach dem Absturz gab, Kokolores, Blödsinn, aus der Luft gegriffen und dumm ist.

Ich bringe gerne im folgenden einige wahllos herausgegriffene Beispiele für vorgetäuschte Wahrheiten.

Der Tagesspiegel online am 22.3.

(c) Tagesspiegel

Tolle Grafik. Muss ich neidlos zugeben. Blöd nur, dass sie erstens nicht zum Text passt und zweitens Tatsachen suggeriert, die nicht stimmen müssen.

Falsch – Tagesspiegel:

Das Flugzeug gewann selbst nach dieser Grafik nie an Höhe. Es sank nur langsamer. Das hat jetzt nicht einmal etwas mit Flugwissen zu tun, sondern nur mit etwas Logik, Hinsehen und Mitdenken.

Zum anderen: Was immer da oben vorgefallen ist vor dem jähen Sturzflug, legt nahe (auch nicht notwendigerweise!), dass Systeme an Bord nicht mehr so funktionieren hätten können, wie sie sollten. Welche Systeme wäre wieder Spekulation, aber dass man ohne weitere Überprüfung (Vergleich mit Black Box) hier von berechneten oder Sensor-Werten nicht ausgehen sollte für eine großspurige Ansage, ist wohl klar.

Falsch – Deutsche Welle (DW) 22.3. online:

Nein, eine Boeing ist ein amerikanisches Flugzeug, kein chinesisches. Die Fluglinie war China Eastern Airlines. Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen Fluglinie und Flugzeug. Auch für Nicht-Piloten.

Man muss als Journalist (oder zumindest Online-Schreiber) nicht alles für eine reißerische Headline tun…

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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