Als die Computer spielen lernten

Gravity ist ein widersprüchlicher Film, der einerseits sehr spannend und ungewöhnlich ist, 2013 viele Auszeichnungen gewann, aber auch ich hatte nach dem Sehen eine Liste aller Dinge erstellt, die mich störten, weil sie wissenschaftlich inkorrekt sind. An 2001 Odyssee im Weltraum (1961) kommt Gravity nicht heran. Trotzdem ist es anregend, das Making of, hinter die Tricks der Umsetzung der Schwerelosigkeit, sehen zu können.

Zugegeben: Die Animation im Film und die digitale Kunst kommt erst gegen Ende der Ausstellung: Digital Revolution im Filmmuseum Frankfurt, die noch bis 10. November 2019 zu sehen ist.

Aber Storytelling, die Bildgestaltung und die Produktionsprozesse zählen zu den Höhepunkten der Ausstellung. Filme sind seit den 1970er Jahren stark von digitalen Technologien beeinflusst. Darum gleich noch einige Bilder zu den Visual Effects von Gravity – dann machen wir alles der (zeitlichen) Reihe nach, wie es sich gehört.

Die Pre-Visualisation von Gravity dauerte mehr als ein Jahr. Zunächst zeichnete man die Bewegungen der Schauspieler(in), des Sets und der Kameras genau auf. Dieses Film-Mockup wurde dann am Computer digital beleuchtet, also mit Licht und Schatten versehen. Danach wurde die Beleuchtung extrahiert und auf das reale Filmset mit den Schauspielern angewendet. Damit soll das Zusammenfügen von realem Set und Computergeneriertem Filmmaterial für den Zuseher nahtlos zusammenpassen.

Digitale Zeitreise

Es ist eine digitale Zeitreise, die das Filmmuseum da anbietet. Wobei der Name FilmMUSEUM insofern irreführend ist, weil es eine super interaktive Ausstellung ist. An fast jedem ausgestellten Computer lässt sich ein Spiel ausprobieren.

Ziemlich am Anfang der digitalen Revolution stehen Apple und frühe elektronische Musikgeräte wie der erste digitale Synthesizer mit einfacher Sampling-Technik Fairlight CMI (1979) oder der Heimcomputer Sinclair ZX80:

Eines von Steve Jobs Lieblingsspielen: Breakout. Die weiße Platte unten (der Querstrich) muss so (schnell) bewegt werden, dass der Ball (zwei weiße Pünktchen im Bild) darauf springen kann und oben dann die Platten beim Auftreffen weg schießt.

Links oben der Fairlight und rechts das WWW, der Vorläufer unseres heutigen Internets.

Hinter dem digitalen steckt immer auch Mathematik, auch wenn die Oberfläche schön bunt und fast kindlich anmutet. Die Vorläufer unserer heutigen KI Algorithmen. Links oben kann der Besucher aus zwei Gesichtern ein daraus neues, mathematisch Gemixtes, erstellen. Macht Spaß und das Ergebnis ist sicher unerwartet. Auch die beiden anderen Bilder sind interaktiv entstanden.

Das hier funktioniert ähnlich wie die Gesichter weiter oben. Die grüne Schlange rechts (A4) kombiniert verrechnet mit dem Gewächs aus B2 ergibt links oben die neue grüne Schlange auf A1.

Einige meiner beruflichen Ex-Arbeitsgeräte, jetzt im Museum zu besichtigen. Der Ausstellungskurator meinte grinsend, dass beim Anblick der (aus heutiger Sicht hässlichen) beigen Apple Computer öfter Erwachsene in Wiedersehensfreudentaumel ausbrechen.

Die Ausstellung begeistert Besucher jeden Alters. Gerade die Kleinen setzen sich ohne Hemmung vor den Computer und legen los. Mädels wie Jungs. Einfach mal spielen dürfen. Pac Man ist dabei genauso begehrt wie Super Mario, Angry Birds und Warcraft.

Die Ausstellung zeigt die Entwicklungen bei Spielen, Filmen, Musikvideos, Computern, Telefonen und vielen anderen Medien, die zu einem Teil unseres Lebens geworden sind. Hier kann man die digitale Welt spielen, berühren und erleben.

Das ist digitale Archäologie. Als 2009 die Webserver von Geocities für immer offline gingen, sicherten einige Menschen noch 650 GB an Inhalten. Mit The Deleted City schuf Richard Vijgen daraus eine interaktive Straßenkarte der frühen Web-Experimente. Man kann scrollen, hineinzoomen und so in Hollywood versinken. Aus der Gegend sind die Files.
Clouds nennt sich diese Installation von James George und Jonathan Minard aus 2013. Die Erstellung der Software wurde über eine Crowd finanziert:
Clouds basiert auf einer Datenbank mit zahlreichen getaggted Interviews. Für Sie als Zuschauer beginnt die Geschichte mit Ihrer Neugier. Sie geben eine Frage oder einen Suchbegriff als Ausgangspunkt ein und legen die Anfangstrajektorie fest. So wie ein alltägliches Gespräch oftmals durch eine Reihe von Abschweifungen fließt, bietet jedes Thema, dem Sie begegnen, verzweigte Pfade zu unerforschten Bereichen der Videosammlung. Für Sie wird ein ein einzigartiges narratives Erlebnis generiert. Sie können sich zurücklehnen und die Geschichte mitverfolgen oder sich von Ihrer Interaktion mit dem System zu überraschenden Ergebnissen führen lassen.“

Kunst und Digitales

Jetzt sind wir schon mitten in der Kunst. Denn gerade der unerwartete Output bei unterschiedlichem Input bringt anscheinend Künstler auf ganz ungewöhnliche Ideen. Die digitale Revolution definiert Kunst, Kommunikation und Wahrnehmung neu.

Creative Spaces ist eine Abteilung der Ausstellung, die zeigt, wie sich herrschende Annahmen über Zeit, Raum und Erzählung mit digitalen Hilfsmitteln neu definieren lassen.

Von computergenerierten Filmteilen handelte schon der Beginn dieses Beitrages. Digitale Spezialeffekte (VFX), vorab visualisierte Animation und maßgeschneiderte Beleuchtung (Lightbox) wurden zur Normalität beim zeitgenössischen Film.

Robots of Brixton: Im Film ist Brixton zu einer heruntergekommenen Gegend verkommen, das von Londons neuen Robotern bewohnt wird – Robotern, die gebaut wurden, um alles zu erledigen, was Menschen nicht mehr ausführen wollen.

Zu sehen und hören ist auch Björks App Biophilia (2011), das erste Musikalbum mit (iPad-)App und einige weitere interaktive Musikvideos anderer Künstler wie Brian Eno oder Radioheads.

Interaktiv. Das ist das Highlight für die Kids. Selber das aktive Filmgeschehen verändern. Die eigene Aktion vor der grünen Wand (Green Screen) wird auf der Leinwand vorne in unterschiedliche Filme gekonnt hinein projiziert.

Und wenn man schon einmal im Filmmuseum ist und es noch nicht schließt, wenn man sich endlich von den interaktiven Spielen loseist, dann gibt es hier natürlich auch noch die Dauerausstellung:

Das Filmmuseum

Wer schon immer mal einen echten Oscar von der Nähe sehen wollte, bitte sehr:

Oder lieber etwas martialischer? Geht auch:

Mimik und Ausdruck sind im Film so wichtig, dass sich Schauspielerinnen wie Martina Gedeck dazu Notizen machen (rechts unten), links Romy Schneider.

Disney und Tim Burton (The Nightmare Before Christmas, der Albtraum vor Weihnachten) haben natürlich auch ihren Platz. Das spindeldürre Gerippe Jack Skellington, der Star von Halloweentown, passt gerade gut zur Jahreszeit.

Man kann im Filmmuseum Filmschnipsel zu einem Film zusammenfügen (Cutten) oder sich als Beleuchter versuchen. Das eigene Bild sehen unter: Horrorbeleuchtung, Nacht, Neon oder mit weichem Licht, Marilyn-Monroe-Beleuchtung genannt.

Das alles war nur ein kleiner, subjektiver Ausschnitt aus vielen interaktiven Gelegenheiten, sich kreativ zu betätigen. Alter, Geschlecht und Vorlieben des Besuchers sind egal.

Für Nerds, Filmschaffende, Kinder, Simensianer, Eltern mit Kindern, alleine oder lieber mit Gleichaltrigen – egal. Spaß ist garantiert.

Ansehen!

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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