Die künstliche Flugsicherung

Die Ideen stammen schon aus dem letzten Jahrhundert, als man anfing, gedanklich das gesamte Fluggeschehen durch Technik zu ersetzen. Also die (alleinige) direkte Daten-Kommunikation bei der Steuerung des Fluggeschehens und den Flugzeugen statt der menschlicher Kommunikation zwischen Fluglotsen und Piloten.

Da war die KI allerdings noch lange nicht soweit, dass dies auch nur ansatzweise zu realen Gedankenspielen führen konnte. Es war mehr eine Kosten/Nutzen-Analyse von Schreibtischtätern, die damit Kosten sparen wollten (und so die nächste Einkommensebene erklimmen).

Auch heute ist die KI noch nicht so weit, dass sie das gesamte Fluggeschehen ohne menschliches Zutun im Realeinsatz sicher durchführen kann. Wenn die Geschwindigkeit der KI-Entwicklung allerdings so fortschreitet, sind Gedanken zur Umsetzung langsam angebracht.

Tödlicher Mischmasch

Vielleicht ist die endgültige und komplette Umsetzung, die Elimination aller Menschen in der realen Flugsteuerung irgendwann tatsächlich sicher. Vorstellbar ist es. Problematisch allerdings ist der Weg dahin, der Mischmasch aus Vorgaben durch die voraus schauende Technik versus des vorausschauenden Blicks der Gesamtsituation von Lotsen und Piloten. Manchmal „sieht“ vielleicht die eine Seite mehr und kann einen Zusammenstoss verhindern. Aber wer hat die Oberhand? Der Mensch? Die Technik?

Das gemischte Doppel Mensch und Technik ging ja schon einmal gehörig schief. 2002 in Überlingen, als 71 Menschen starben, weil eine russische Passagiermaschine und eine US-amerikanische Frachtmaschine zusammenstiessen. Schon damals waren beide Verkehrsflugzeuge mit dem Kollisionswarnsystem TCAS (Traffic Alert and Collision Avoidance System) ausgestattet. Die Computer in beiden Flugzeugen sahen voraus, was kommen würde, und tröteten ihren Alarm in beide Cockpits. Als Lösung berechneten die TCAS-Systeme auf einander abgestimmte Ausweichempfehlungen.

Aber der menschliche Lotse gab davon abweichende Anweisungen und die Piloten eines Flugzeugs folgten der menschlichen Anweisung.

Um ähnliche Katastrophen zu vermeiden gilt seither die Sicherheitsempfehlung, dass TCAS-Kommandos für Piloten verpflichtend sind – unabhängig von den mündlichen Anweisungen der Flugsicherung.

Nun wieder zurück nach England. Eine KI zu entwickeln, die menschliche Fluglotsen ersetzt, ist ein heißes Eisen. Denn dazu braucht es nicht nur die programmierenden Ingenieure, sondern eben auch das Wissen der Fluglotsen und Piloten. Das sich wie bei einem Künstler schlecht in Befehle oder Vorgaben packen lässt, sondern auf dreidimensionalem Überblick und Erfahrung beruht. Bisher ist mir noch kein Lotse oder Pilot untergekommen, der an seinen kompletten Ersatz durch eine Maschine glaubt.

Projekt Bluebird

Bluebird ist eine Untersuchung über die Durchführbarkeit der Luftverkehrskontrolle (ATC) unter Verwendung von Künstlicher Intelligenz. Das Langziel ist, den zunehmenden Luftverkehr in Großbritannien und weltweit sicher zu steuern. Sicher soll es sein und treibstoffeffizientere Routen sollen dazu beitragen, für den britischen Luftverkehr bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen.

Das Projekt Bluebird arbeitet mit menschlichen Fluglotsen zusammen und versucht, automatisch einen Abschnitt (Sektor) des britischen Luftraums mit Live-Verkehr zu kontrollieren.

Bluebird umfasst drei Themen

Der Probabilistische digitale Zwilling 

Dieses physikalisch basierte Echtzeit-Computermodell soll als Basis für die Entscheidungsfindung künftiger Flugbahnen und deren Wahrscheinlichkeiten vorhersagen. Es wird mit einem NATS-Datensatz von mindestens 10 Millionen Flugaufzeichnungen trainiert und soll die vielen Unwägbarkeiten in der Flugsicherung, wie das Wetter oder die Leistung der Flugzeuge berücksichtigen.

Steuerung durch maschinelles Lernen

Dabei geht es um den Aufbau des ersten hierarchischen Multiagentensystems, das in der Lage ist, den britischen Luftraum gemeinsam mit menschlichen Fluglotsen zu kontrollieren. Diese KI-Agenten konzentrieren sich gleichzeitig auf die unmittelbare, risikoreiche Erkennung potenzieller Flugzeugkonflikte und auf die risikoärmere strategische Planung des gesamten Luftraums, wodurch die Effizienz erhöht werden soll.

Sichere, vertrauenswürdige KI 

Bei der Entwicklung von Methoden und Werkzeugen für einen sicheren, erklärbaren und vertrauenswürdigen Einsatz von KI in Flugsicherungssystemen spielen auch ethische Fragestellungen eine Rolle, wie die Frage, wo die Verantwortung liegt, wenn ein Mensch-Kl-System einen Fehler macht, und wie ein System aufgebaut werden kann, das vertrauenswürdig ist.

Bluebird ist eine Partnerschaft zwischen der NATS, die für die Flugsicherung im Vereinigten Königreich zuständig ist, dem Alan Turing Institute, dem nationalen Institut des Vereinigten Königreichs für Datenwissenschaft und KI, der Universität Exeter und dem Engineering and Physical Sciences Research Council (EPSRC), der wichtigsten Fördereinrichtung für ingenieur- und naturwissenschaftliche Forschung im Vereinigten Königreich.


Hier geht es zur Übersicht über alle Beiträge des British Science Festivals 2023 auf flugundzeit.


Kommentare

3 Antworten zu „Die künstliche Flugsicherung“

  1. 2xhinschauen

    Ähnlich wie bei der vollautomatischen (wäre heute wohl schon möglich) oder gar ganz autonomen Flugdurchführung sehe ich hier weniger Probleme in der Safety als in der Security: Was programmiert werden kann, kann auch und wird auch gehackt werden. Dabei ist das Schadenspotential m.E. viel größer als wenn nur einzelne Menschen versagen.

    1. Das ist sicher ein wichtiger Aspekt, der wie in so vielen anderen Lebenssituationen heute berücksichtigt werden muss.
      Mir ging es darum, dass im Übergangszustand (ohne die Vollautomatisierung, die sicher einige Zeit dauern wird), der Zustand Mischmasch Mensch-Maschine, der Mensch ad-hoc (wenn er eingreifen muss) nicht den Überblick hat, warum die „Maschine“ (aka SW) ihre Lösung vorschlägt. Dem Menschen nicht klar ist, was dahinter steckt, um zu beurteilen, wie er/sie sich nun verhalten soll.
      Wenn alle Entscheidungen maschinell durchgeführt werden, kann natürlich auch Kokolores herauskommen, aber es wäre zumindest in sich stimmig, ohne dass eine der beiden Seiten der anderen quer schießt mit der Entscheidung.

  2. 2xhinschauen

    Ich kann offenbar gerade keine Zeilensprünge eingeben – sorry für die Optik meines Kommentars

    es wäre zumindest in sich stimmig, ohne dass eine der beiden Seiten der anderen quer schießt mit der Entscheidung.

    Zustimmung! Immer schon auch ein Problem in der Kommunikation zwischen Menschen, mit dessen Beherrschung also schon viel Erfahrung vorliegt.

    Wenn alle Entscheidungen maschinell durchgeführt werden…

    … hat man beim jetzigen Stand der künstlichen „Intelligenz“ das Problem, dass deren Entscheidung oft schwer oder gar nicht nachvollzogen werden können. Das steht dem Prinzip des kollektiven Lernens aus Fehlern entgegen , das im Luftverkehr vorbildlich praktiziert wird. Aber wir haben hier keinen grundsätzlichen Dissens.

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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