Der Spiegel – das Märchenmagazin

Man sollte ja meinen, dass der Spiegel aus der Relotius-Affaire etwas gelernt hat. Nein, hat er nicht.

Auszug aus: Der Spiegel No. 6, vom 1.2.2020, Seite 22: Mia san hier

Legendär ist etwa die Moskauvisite von Söders Vorvorvorvorvorgänger Franz Josef Strauß, der 1987 eigenhändig mit einer Cessna die russische Radarüberwachung unterflog, direkt vor dem Kreml auf dem roten Platz landete und den verdutzten Michail Gorbatschow von der deutschen Wiedervereinigung überzeugte sowie zur Auflösung der Sowjetunion überredete.

Legendär ist da gar nichts. Nur vom Autor selbst schlecht erfunden und zusammen gestöpselt.

Den Flug 1987 in 700 Meter Höhe bis nach Moskau in einer C172 mit Landung am roten Platz führte ein 18jähriger Gymnasiast namens Mathias Rust aus.

FJS war Pilot, sogar mit Berechtigung für 2Mots. Dass er allerdings 1987, ein Jahr vor seinem Tod, noch ein Medical (medizinische Berechtigung) für eine gültige Single Pilot Fluglizenz hatte, wage ich zu bezweifeln. Dazu noch, bei allem Respekt, realistisch gesehen: das Platzproblem in einer C172… Der Autor scheint von der Fliegerei und Kenntnissen darüber ungefähr soweit weg zu sein wie die Realität in seinem Beitrag.

Der Spiegel ist ein Nachrichtenmagazin – zumindest erhebt er den Anspruch – und keine Märchensammlung.

Oder?


Kommentare

7 Antworten zu „Der Spiegel – das Märchenmagazin“

  1. Werner Pfändler

    FJS hatte eine Citation 500-Berechtigung, liebe Helga Kleisny. Aber: Das ist ja auch eine Art 2-Mot.

  2. Werner Pfändler

    FJS flog zum Schluss seiner Piloten-Karriere eine Cessna (C500). Ich denke aber, dass man mit dem Spiegel-Autor etwas Nachsicht haben sollte. Schließlich kennt kaum ein Journalist den Unterschied zwischen einer Cessna C172 oder einer Cessna C500 – letztere ein zweistrahliger Jet.

    1. Hi Werner,

      erstmal: Ein herzliches Welcome to flugundzeit! Freue mich immer über kompetente Leser vom Fach wie Dich!
      (Auch wenn natürlich „Nur“-Interessierte an der Luftfahrt genauso willkommen sind! Die Bandbreite machts 😉 )

      Danke. 🙂 Ok, ich hätte zweistrahlig schreiben sollen, aber zwei Antriebe (to be precise 🙂 ) waren es. Das war auf einem Flugtag in Oberschleissheim, bei dem wir (eine Gruppe von Fallschirmspringern) Demo gesprungen sind. Dann kam FJS angeflogen und parkte seine Citation (danke für den Hinweis) direkt VOR unserer großen Packmatte. Wir mussten daraufhin warten und konnten im Prinzip nochmal von vorne mit dem Schirmpacken beginnen, als die Triebwerke abgestellt waren und er rechts ausgestiegen war.
      Es war alles etwas beengt, gebe ich zu, trotzdem war das Einparken seines Flugzeugs von bedenkenlos bis rücksichtslos uns anderen Performern gegenüber…

      Soweit mein Erlebnis mit dem Piloten FJS… In einer 172er kann ich ihn mir allerdings noch immer nicht vorstellen…


      Nein, mit einem Spiegel-Redakteur, besser der Spiegel-Redaktion, habe ich als langjähriger Abonnent kein Mitleid oder Nachsehen.

      Wenn man das führende NACHRICHTENmagazin des Landes sein will, muss da mehr (an Fakten) sein. flugundzeit ist eine One-Woman-Show (plus, zugegeben, extrem guten Connections in allen Luftfahrtrelevanten Bereichen). Die Spiegelredaktion umfasst wie viele Redakteure, die gegenlesen können?
      Die Dokumentationsabteilung (neu aufgestellt nach Relotius) besteht noch immer aus 60 (!) Menschen. Echt jetzt? Was genau tun die?

  3. Nikolaus Neininger

    Vielleicht ist das aber doch genau „Die Methode“ ™?
    Man nimmt ein paar zusammenhanglose Erinnerungsbruchstücke, wie sie vielleicht beim Zähneputzen im Halbschlaf durch den Kopf wandern. Nach dem ersten (oder vielleicht auch dem dritten) Kaffee ist dann der politische Kompaß wieder auf Redaktionslinie und dann bastelt man aus den Stückchen einen Satz, einen Absatz oder vielleicht sogar einen ganzen Beitrag.

    Die älteren Leser haben noch vage Erinnerungen an „Landung auf dem Roten Platz“, „FJS“, „Gorbatschov“, die jüngeren haben Teile davon vielleicht mal erzählt bekommen – und alle nehmen das als Auffrischung „ja, so war’s“, ohne groß darüber nachzudenken, ob es wirklich stimmen kann.

    Man liest gerne das, was man gerne glauben möchte…

    1. Man nimmt ein paar zusammenhanglose Erinnerungsbruchstücke,

      Kann man machen.
      Nur sollte man dann nicht für ein Magazin schreiben, zu dessen „journalistischen Standards, die als Teil des Relotius-Aufarbeitungsprozesses entstanden sind, gehört: Fakten schlagen die vermeintlich literarische Qualität. Sie gelten für alle in der Redaktion und der Dokumentation verbindlich und sollen regelmäßig überprüft und überarbeitet werden.“ Aus den Spiegel Standards, Zitat von Chefredakteur Steffen Klusmann.

      Man muss als Journalist auch nicht alles selbst miterlebt haben, das kann der Nachwuchs gar nicht. Aber dann würde Recherche helfen. Oder eine Überprüfung durch die groß angelegte Dokumentationsabteilung…

      🙂 Was mein Erlebnis mit FJS betrifft: Das war ziemlich prägend an dem Sprungtag und kein Bruchstück. Für jeden (Demo-)Springer nachvollziehbar, für andere vermutlich weniger…

  4. Sehr geehrte Diskutierende,

    vielen Dank für Ihr Interesse an meiner Glosse im letzten SPIEGEL. Tatsächlich ist mir bekannt, dass FJS nicht auf dem Roten Platz gelandet ist, auch hat er kaum Gorbatschow zur Wiedervereinigung überredet. Es handelt sich um einen satirischen Text über die sich allzu wichtig nehmende Außenpolitik von CSU-Ministerpräsidenten. Offenbar hätte die Ironie deutlicher sein müssen, das Missverständnis bedauere ich.

    Beste Grüße
    Stefan Kuzmany

Über die Autorin

Die Journalistin Helga Kleisny ist diplomierte Physikerin (TU Wien), Fallschirmspringerin und Pilotin. Nach Arbeitsorten weltweit (Wien, Taipeh, Boca Raton (FL), München, Frankfurt…) sind ihre Haupt-Lebens- und Arbeitsorte nun in Deutschland und in den USA. Sie schreibt als freie Luft- und Raumfahrtjournalistin. Ihre Begeisterung für alles Technische und die Natur, am besten in Kombination, zeigt sich in ihren Büchern und in Seminaren und Vorträgen.

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